Geschichten:Gähnende Leere - Zahlengedächtnis

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30. Travia 1043, Burg Reinherz

Nadyana von Nadoret war angespannt, als sie schließlich vor Seginhardt Raultreu von Ehrenstein gerufen wurde. Die letzten Wochen und Monate hatte ihr Gatte Anshold in Höllenwall für Recht und Ordnung gekämpft und in Nadyana war die Ansicht gereift, dass die Baronie, nach dem Ende der Helburger eine neue starke Hand brauchen würde und sie gedachte diese starke Hand zu sein. Drum war sie in den Kosch gereist um bei ihrer Base Neralda Cella vorzusprechen. Entgegen dem Vorurteil über arme Koschbarone hatte Neralda mehr als Gold um ihrer Base ein großes Darlehen in Aussicht zu stellen. Der Erwerb einer weiteren Baronie hatte ihre machtbewusste Base als äußerst unterstützenswert eingestuft.

Der Säckelmeister der Grafschaft wirkte etwas müde und genervt, hatte er doch sicher schon etliche Bittsteller empfangen und winkte Nadyana herbei, ohne selbst aufzustehen. "Was wünscht Ihr, Wohlgeboren?", fragte er unwirsch.

Nadyana ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, setzte sich hin und ordnete ihr Kleid. "Ich habe einen Vorschlag für Euch." Der Säckelmeister schaute auf. "Achja."

Nadyana holte tief Luft, um die Unfreundlichkeit des Mannes zu ignorieren, und fing stattdessen an, in einem freundlichen Tonfall zu sprechen: "Wie Ihr sicher wisst, streitet mein Gatte bereits seit Wochen in Höllenwall, um dort für Ordnung zu sorgen." Seginhardt wirkte skeptisch. "Streiten tun sich dort viele, an Ordnung aber mangelt es."

Nadyana ließ sich nicht beirren. "Das ist sicher wahr, bedenkt aber, dass das Haus Nadoret ein äußerst praiosgefälliges ist, etliche meiner Vettern sind Geweihte des Götterfürsten und meine Familie stiftete einst ein Kloster auf ihrem Land."

Seginhardt zuckte mit den Achseln "Auch das mag sein. Baron von Höllenwall aber wollen viele werden, ich nehme an, dass Ihr darauf abzielt. Hierzu muss aber einiges bedacht werden. Zunächst einmal zum Beispiel muss die Praioskirche den dortigen Umtrieben auf den Grund gehen." Nadyana nickte ernst „Und mein Haus wird die Kirche des Götterfürsten dabei nach allen Kräften unterstützen. Aber irgendwann werden auch die letzten Überreste der namenlosen Umtriebe getilgt sein. Ich werde also frei sprechen. Eine bessere Besetzung werdet ihr nicht finden. Mein Haus ist streitbar, fromm und seinen Freunden und Verbündeten gegenüber stets loyal, es ist aber auch reich. Wenn Ihr mein Anliegen positiv bescheidet, so wird mein Haus dem Grafen diesen Zuschuss zu seinen Kriegskosten geben." Mit diesen Worten schob sie Seginhardt einen Zettel herüber. "Denkt ruhig darüber nach und beratet Euch. Ich erwarte von Euch keine eilige Antwort, denn solch wichtige Anliegen wollen gut überlegt sein." Mit diesen Worten erhob sich Nadyana und schritt mit hoch erhobenem Haupt zur Tür aus dem Arbeitszimmer, unsicher, ob ihr Unterfangen von Erfolg beschieden sein würde – aber die ehrgeizige Nadoreterin war zu machtbewusst, um die Baronie Höllenwall nicht zu erwerben zu versuchen. Eine solche Gelegenheit bot sich schließlich nicht alle Tage. Bevor sie jedoch mit dies4en Gedanken die Tür erreichen konnte, hielt Seginhardt sie zurück: „Das sind viele Ziffern, Wohlgeboren. Aber ich kann Euch jetzt schon eine Teilantwort geben: Die Debrekskrone interessiert sich für die Vorfälle und dürfte das Verfahren an sich reißen. Dann ist Höllenwall nicht mehr allein des Grafen Angelegenheit – oder Eure. Man kümmert sich dann im Zedernkabinett darum. Und für dieses sind das zu wenig Ziffern.“

Seginhardt zerriss den Zettel fein säuberlich, zwinkerte Nadyana jedoch zu, als er die Schnipsel achtlos auf den Boden streute: „Aber ich habe ein sehr gutes Zahlen- und Namengedächtnis, Euer Wohlgeboren.“