Geschichten:Frühlingssturm - Vor Rondras Auge: Der Turnierauftakt

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Auszug aus Angareth

Der nächste Tag zeigte sich etwas frühlingshafter als der vorangegangene: Zwar hatte sich der Wind nicht entschlossen, das Blasen einzustellen und es war nur ein wenig wärmer als am Tag zuvor, doch über Nacht waren die Wolken aufgerissen und so gelang es Praiosauge immer wieder, ein paar Blicke auf den Boden zu werfen. Wo sein Auge auf das Grün der Bergwiesen fiel, sah er zwischen einzelnen Schneeflecken tsagefällig bunte Tupfer der ersten vorwitzigen Blumen, die sich seiner Gabe begierig entgegenreckten. Doch – nach dem langen Winter – noch immer nicht so recht in Form, geruhte die Sonne immer mal wieder ein kleines Päuschen hinter einer der Wolken einzulegen, die wie Kissen und Laken noch den meisten Teil des Himmels verdeckten. Dennoch wirkte die ganze Szenerie schon um einiges heller als noch am gestrigen Tage und es versprach ein guter Turniertag zu werden. Die weißen Mauern der Arveburg lagen zu Tagesbeginn noch im Schatten des angrenzenden steilen Berghanges, aber von der anderen Seite des Tales leuchtete Leuenfels im Morgenlicht herüber und die weißen Schneefelder weiter oben an den Hängen taten ihr ihriges dazu, den Anblick zu erheben.

Nachdem alle ihre Vorbereitungen abgeschlossen hatten, öffneten sich die äußeren Tore Angareths für einen prächtigen Zug, zum großen Teil zu Pferde: Die Spitze bildeten die Geweihten der Leuin. Ihre Zahl auf der Arveburg war kurz vor dem Ausmarsch noch um ein weiteres halbes Dutzend angeschwollen. Unter der Führung von Schwertbruder Eofin Leogard von Fairnhain waren sie von Leuenfels gekommen, um dem Schwert der Schwerter ihr Geleit zu geben. Ayla Armalion ritt dem Zug der Turnierstreiter unter dem Schutz der Weißen Garde voran.

Einundzwanzig waren es an der Zahl, die sich heute in der Tjoste messen wollten und noch einige mehr, die sich nur für den Fußkampf gemeldet hatten. Sie alle hatten Pferd und Rüstzeug herausgeputzt – oder putzen lassen – und boten, begleitet von ihren Knappen und Gefolge, in herrschaftliches Bild, am Ende des Zuges schlossen sich zuerst die edlen, dann die weniger edlen Zuschauer der Turnei an. Der gesamte Zug strebte über den gewundenen Weg von der Burg hinab dem etwa zwei Meilen entferntem Urnenfeld zu, an dessen Fuß das Tjostefeld lag und an dessen Kopf die Weihe des Altars zum Gedenken an die Gefallenen zelebriert werden sollte.

Dankward von Fuchsbach war unter den letzten aus der Reihe von Streitern, welche die Tore von Burg Angareth hinter sich ließen und unter den neugierigen Blicken der Schaulustigen zum Turnierplatz hinab ritten. Ein kurzer Seitenblick verriet ihm, dass sich sein Neffe Fredemar so stolz aufplusterte wie der Hahn auf dem Mist, weil er seinen Ritter im Gefolge des Schwertes der Schwerter und der anderen hier anwesenden Großen begleiten durfte. Die Banner und Fähnlein an den Lanzenspitzen knatterten fröhlich in der steifen Brise, die nicht zuließ, dass die Strahlen der Praiosscheibe schon allzu wärmend hernieder fahren konnten.

Gerade hatte die Spitze des Zuges die Nadelöhrkurve direkt am Steilhang erreicht, ab der es dann endlich talwärts gehen würde, da lösten sich weiter oben am Hang einige große Steine und rollten polternd als kleinere Lawine auf den Zug zu. Sofort waren die Frauen der Weißen Garde zur Stelle und deckten ihren erhabenen Schützling, doch war ihre Sorge unnötig: Die Felsen rollten etwas weiter vorne über den Weg, trafen jedoch niemanden. Hochwürden von Fairnhain war noch der, den es am ehesten erwischen hätte können, doch er lenkte sein Ross gekonnt zur Seite und die Felsen verfehlten auch ihn. Weiter hinten hatte sich indes auch Unruhe breitgemacht, als einer der Knappen aufgeregt auf den Hang in der Nähe des Ursprungs der Lawine deutete: Dort oben am Steilhang war für einen Augenblick eine einzelne Gestalt aufgetaucht, nun aber wieder verschwunden. Sofort bellte der Landvogt einen Befehl im Dialekt der Erlgrimman und vom hintersten Ende des Zuges machten sich einige Leute unter Garalds Führung auf, die Verfolgung aufzunehmen. Doch auch für die klettererfahrenen Bergbewohner war der Vorsprung des mysteriösen Schattens zu groß und obwohl sie sich eilten, war nicht sicher ob sie ihre Beute einholen würden. Aldron, der in seiner prächtigen Rüstung aus poliertem Messing und dem schwarzen Wappenrock an der Spitze der Turnierstreiter geritten war lenkte seinen Rappen etwas weiter nach vorne und wandte sich an Ayla. „Verzeiht, euer Erhabenheit. Seit vier Jahren schon treiben sich hier immer noch Schergen des Feindes herum. In den Wirren der letzten Zeit konnte daran noch nichts geändert werden ...“ Leiser setzte er hinzu: „Aber das werde ich sehr bald in Angriff nehmen, bei meinen Ahnen.“

Ayla nickte schweigend und wandte ihren Blick den Berg hinauf. In ihren grünen Augen loderte ein heißes Feuer, derweil ihre Hand sich um den Knauf ihres Langschwertes schloss.

An der neu errichteten Gedenkstätte inmitten des Urnenfeldes angekommen, wurden einige von der nur kurzen Andacht, die das Schwert der Schwerter hielt, überrascht. Die meisten hatten angenommen, der Altar – ein altertümliches Gebilde ungewöhnlicher Form – würde noch vor Beginn des Tjoste geweiht. Nach ihrem abschließendem Segen, in dem sie den Tag ihrer Göttin weihte und alle Teilnehmer an die Gebote von Ehren- und Ritterlichkeit ermahnte, hub Ayla ein weiteres Mal und nun weniger formell an.

“Ich sehe, dass Ihr anderes erwartet habt?! Seid versichert, der Altar wird seine Weihe erfahren, doch nicht vor, sondern nach den Kämpfen zu Ehren der Gefallenen und der Herrin Rondra. Am Abend, wenn feststeht, wem ihre Gunst an diesem Tag galt, werden wir uns wieder hier versammeln, unsere Stimmen erneut erheben und die Weihe zelebrieren. Seid eingedenk dessen, wenn Ihr nun in die Schranken reitet, Hohe Damen und Hohe Herren. Der Blick der Alveransleuin ruht auf Euch.”

Das Turnierfeld war dank des Eifers der Einwohner von Heerelagen noch am Abend fertig gestellt worden: Zwei Turnierbahnen waren vorbereitet worden für die Tjoste und für die Zuschauer von hoher Geburt oder Berufung waren unter einer Zeltbahn Stühle aufgestellt worden. Eine wirkliche Tribüne gab es nicht, doch der Boden stieg an der Stelle neben den Tjostebahnen bereits an, so dass aus den hinteren Reihen dennoch etwas zu sehen sein würde. Solide Holzstämme bildeten eine etwa hüfthohe Bande vor den ersten Sitzreihen und waren mit weißem Tuch behängt.Beiderseits neben der Überdachung für die hohen Gäste schlossen sich einfache Stämme an, auf denen das einfache Volk Platz nehmen konnte und an den Stirnseiten schließlich begannen die Zelte der Turnierteilnehmer, in denen sie sich wappnen und versorgen konnten. Eines dieser Rundzelte barg ein provisorisches Feldlazarett, in dem die Feldschere der Gardebanner sich um die übelsten Verletzungen kümmern würden.

Gegenüber der Sitzplätze in Richtung der fröhlich rauschenden Grene war ein einzelner Tisch aufgebaut. Dort bezog zum Auftakt des Turniers Gneisbald von Cravoldshaag Position und stellte mit gewichtiger Miene einen Samtbeutel ab, in dem es leise hölzern klackte. Während man sich auf die Plätze begab, rollte er ein Pergament aus, beschwerte es mit Steinen und bedeutete einem Schreiber sich bereit zu machen. Dann erhob er die Stimme: „Wir werden nun zur Auslosung der Paarungen schreiten. Da es nur einundzwanzig Streiter sind, werden elf sofortig in die Runde der Sechzehn einziehen, die anderen erst nach ihren ersten gewonnenem Kampf. Von diesen bilden den Auftakt ... Ritterin Ilke von Cravoldshaag gegen ... Ritterin Inelde von Seehof. Das nächste Gefecht werden Welfert von Mersingen, Baron zu Aschenfeld, und ... Seine Hochgeboren Wallbrord von Löwenhaupt-Berg zu Vellberg ausfechten...“ Hier und da kam ein aufgeregtes Flüstern auf bei der Nennung der beiden Barone. Das Turnier versprach von Anfang an spannend zu werden!

Allmählich las Gneisbald so Name für Name die Paarungen des Turnieres vor. Der Schreiber neben ihm hielt alles sauber auf Pergament fest. Hinter beiden stand ein Geweihter der hohen Wacht, der als Zeuge fungierte, doch wohl keinen Grund sah, während des Prozederes einzuschreiten.



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Texte der Hauptreihe:
5. Ing 1030 BF
Vor Rondras Auge: Der Turnierauftakt
Lanzelund macht Mirl die Aufwartung


Kapitel 38

Auf der Suche nach Vergebung