Geschichten:Fluss der Erkenntnis – Gesucht, Verloren

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Hochnjerburg, Königlich Neerbusch, Mitte Hesinde 1038 BF:

Salpion Hoogensiel stieg die gefühlt unzähligen Stufen der `Langen Hallermine´ empor. Sein rechtes Bein schmerzte. So langsam wurde er zu alt für diese Mühen. Warum musste das Arbeitszimmer des Kronvogtes auch im obersten Turmzimmer des höchsten Turms der königlichen Festung sein? Die unteren Stockwerke des dreiflügeligen Palas boten wahrlich genug Platz. Aber Leomar stand, bzw. arbeitete nun mal gerne über den Dingen. Nun ja, arbeiten? Das taten hier eigentlich nur die Kastellanin und sein ehemaliger Schüler Edorian.

Mit einer Mischung aus Unbehagen und Irritation, ja gar zuweilen Abscheu, betrachtete Salpion das höfische Treiben auf der Hochnjerburg. Kronvogt Leomar hatte kein Interesse an der Verwaltung dieses Lehens. Ihm ging es um den Titel, um das Prestige, um die Repräsentation. Und eines musste man dem Zweifelfelser lassen, repräsentieren konnte er. Der hiesige königliche Hof war ein Paradebeispiel der adligen Dekadenz und die meisten anderen Höflinge waren wie ausstaffierte Puppen. Puppen, denen man die Kleider entrissen hatte, denn das höfische Leben spielte sich fast nur noch in der Königlichen Therme ab. Rahjagefällig unbekleidet natürlich. Die Gemahlin des Kronvogtes hatte an diesen unkonventionellen und freizügigen Hofleben selbstverständlich einen großen Anteil.

Neben all der höfischen Dekadenz mit all ihren sinnbefreiten Hofschranzen, war der Hof doch auch ein Hort für gelehrte Geister, wie Salpion einer war. Denn der Kronvogt ließ der Schreibfeder der Poeten und der Zunge der Barden zumeist freien Lauf. Allerdings sollten diese freien Seelen es tunlichst vermeiden den Kronvogt selber oder seine Familie zu verspotten oder zu beleidigen. Solch ein armer Strolch landete dann freilich im Kerker des alten Gemäuers.

So konnte der aus Festum stammende Hoogensiel hier ungestört und ohne Restriktion seiner schriftstellerischer Tätigkeit nachgehen. Und nicht nur das. Er hatte auch die Möglichkeit, sich hier mit anderen gelehrten Männern und Frauen auszutauschen. So wie mit der Hofmagierin und Leibärztin Simiane Sumudai vom Mandlaril, die mit ihren fähigen Schüler Iserion ebenfalls am Hofe weilte. Seit einigen Monden hatte die gelehrte Dame eine weitere Schülerin, allerdings mied diese aus irgendeinen Grund die Öffentlichkeit. Auch wäre da noch die geheimnisvolle Madane von Zolipantessa. Eine äußerst eloquente und gebildete Dame aus hohem Hause, die als Gast auf der Hochnjerburg weilte. Salpion genoss die morgendlichen Spaziergänge mit der Perricumerin durch den Rahjagarten auf der Udilbert-Bastion immer sehr. Auch ihrer beiden Begleiter waren sehr angenehme Gesprächspartner. Namenhafte Barden und Lyriker fanden sich mitunter bei Hofe ein, wie etwa die wohlbekannte Caldare von Falkenstein. Doch viel mehr freute er sich über den baldigen Besuch des Universalgelehrten Danos Grauweis.

Bei all den privaten Vergnügen eines Gelehrten, stand Salpion dem Kronvogt als Sekretär und Berater zu Diensten. Genauer gesagt eher der Kastellanin, die die hiesige königliche Verwaltung führte. Auch unterrichtete er die Pagen in Lesen und Schreiben. Den besonders wissbegierigen Knappen Thallion und Gisborn lehrte er auch weiterführendes Wissen in den Bereichen Historie, Derographie und Philosophie.

Schnaufend, die vielen Stufen innerlich verfluchend, erreichte Salpion schließlich die schwere Eichentür des kronvögtlichen Arbeitszimmers. Er schob den gusseisernen Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um und öffnete die knarrende Tür. Der Anblick, der sich ihm bot, traf ihn bis ins Mark. Die Schränke und Schubladen waren aufgerissen, deren Inhalt überall auf dem Fußboden verstreut. Die Pergamente auf dem Schreibtisch waren nicht mehr dort. Jemand hatte sich hier Zutritt verschafft und musste etwas gesucht haben. Zielstrebig ging er zum Schreibtisch und tastete nach dem Geheimfach und öffnete es. Es war leer! Wie war das möglich? Die Dokumente, die Darion der Trenck abgenommen hatte waren verschwunden. Eine Katastrophe! Er musste unbedingt einen Boten zu Edorian schicken.