Geschichten:Fluss der Erkenntnis – Leichenschmaus

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Schloss Gerbaldsaue, Kaiserlich Gerbaldsmark, Travia 1039 BF:

Der Rittersaal war dem Ereignis entsprechend geschmückt. Der ganze Hofstaat hatte sich versammelt und auch aus benachbarten Baronien waren einige Adlige angereist. Das Festmahl sollte der krönende Höhepunkt werden.

Edorian von Feenwasser saß mit einigen anderen Auserwählten als Ehrengast etwas erhöht auf einem Podest. Die Ereignisse um die Jagd waren nicht so gelaufen wie es sich Edorian gedacht hatte. Er hatte die Möglichkeit gehabt, sich ein Problem vom Hals zu schaffen. Alleine, im Wald, mit dem Reichsvogt. Der rasende Eber kam unvorbereitet und bot Edorian eine einmalige Chance. Es spielte sich alles noch einmal vor dem geistigen Auge des Junkers ab. Wie er mit seinem Bogen auf Mulziber gezielt – und dann doch im letzten Moment den Pfeil in Richtung des Ebers abgeschossen hatte. Volltreffer. Nun war er, Edorian, der Held des Tages. Der, der den Reichsvogt vor einem wütenden Eber rettete. In einem Moment noch der potenzielle Mörder, im nächsten der glorreiche Held. Welch eine Ironie. Wie nah doch alles beieinander lag.

So fand sich der Waldsteiner nun also an der Seite von Mulziber wieder, der soeben das Festmahl eröffnet hatte. Musikanten spielten, die Anwesenden waren bester Laune, nur Edorian konnte sich nicht mitreißen lassen. Er fühlte sich fehl am Platze. Er wollte nur noch weg. Welch ein Tag. Die Fasanenbrust mundete Mulziber augenscheinlich sehr. Edorian hingegen hatte keinen Appetit, zwang dann aber anstandshalber den ein oder anderen Bissen herunter. Das Unwohlseins seines Ehrengastes blieb vom Reichsvogt nicht unbemerkt.

„Feenwasser, Ihr seid zu bescheiden. Ein verbreiteter Charakterzug der Waldsteiner möchte ich meinen, aber zu diesem Anlasse vollkommen unangebracht. Erfreut Euch an Euren Taten und nutzt die Gelegenheit. Dies ist eine vorzügliche Gelegenheit Euren Namen in aller Munde zu halten.“ Mulziber lächelte Edorian an. „Seht, ich habe Euch etwas mitgebracht.“

Der Reichsvogt holte eine lederne Mappe hervor. Edorian gefror das Blut in den Adern. War das die Mappe von der Linai gesprochen hatte? Die Mappe mit den Trenck-Dossiers?

„Ich habe etwas für Euch, ein Geschenk.“ Mulziber öffnete die lederne Mappe und holte ein Schriftstück hervor. „Seit wir uns bei unserem lieben Freund Leomar in den Tiefen des Reichsforstes das erste Mal getroffen haben, musste ich unentwegt an Euch denken. Daher, verzeiht die jugendliche Verzücktheit eines alternden Mannes, habe ich Euch dieses Gedicht verfasst. Meine Worte und Gedanken sind nichts für die Ohren der tumben Höflinge hier, sie sind einzig für Euch. Daher werde ich meine Zeilen jetzt nicht vortragen, würde dies aber gerne in einem etwas privateren Kreise nachholen, so Ihr erlaubt.“

Edorian riss seine Augen weit auf. Er konnte kaum fassen was er gerade vernommen hatte. Mulziber schleppte nicht etwa die gestohlenen Dokumente mit sich rum, sondern nur ein Gedicht. „Ich …. ich weiß nicht was ich sagen soll … das kommt wirklich sehr unerwartet.“ Nach einigen Augenblicken hatte er sich wieder etwas gefasst. „Ich bin wirklich sehr gerührt, Eure Zeilen ehren mich. Sehr gerne könnt Ihr mir Euer Werk später vortragen. Es wäre mir ein Vergnügen.“

„Das freut mich über alle Maßen“, Mulziber lächelte erfreut, „so lasst uns darauf anstoßen.“

Der Reichsvogt winkte den Munschenk herbei und dieser füllte die silbernen Kelche der hohen Herrschaften. Mulziber erhob sich mit dem gefüllten Kelch in der Hand.

„Verehrte Herrschaften, wir sind hier zusammengekommen um den Göttern, Firun voran, für eine erfolgreiche Jagd zu danken. Der Grimmige war uns hold. Hier vor mir liegt der Speer des Waidmannes Firnbald Eberstecher. Diesem firungefälligen Recken gelang es vor 150 Götterläufen den Wilden Eber von Moosbrisken zu erlegen. Dieser Eber, ein seelenloses Wesen aus den Tiefen der Dämonenbrache, war gefürchtet und griff immer wieder aus heiterem Himmel die Bäuerlein des Weilers an und tötete so einige unschuldige Seelen. Der tapfere Firnbald machte diesem unheiligen Wesen ein Ende und stach dieser Bestie sein Speer tief in die schwarzen Eingeweide. Solch eine Bestie, vermutlich entsprungen aus dem Schoß von Dämonen, hätte auch heute wieder ihren Tribut eingefordert, als mich dieser Koloss unerwartet angriff. Doch Dank des beherzten Eingreifen des Junkers Edorian von Feenwasser, blieb mir ein solches Schicksal erspart.“

Mulziber forderte Edorian, unter dem anerkennenden Beifall der Anwesenden, auf, sich zu erheben.

„Edorian von Feenwasser, als Anerkennung für Eure heldenhafte Tat überreiche ich Euch den Speer des Firnbald. Möge es uns alle eine Mahnung sein, denn die Brache und ihre Kreaturen schlafen nicht, sie greifen immer wieder ihre dämonischen Krallen nach uns. So sei ein jeder wachsam. Ich erhebe meinen Kelch und trinke auf Euch, werter Edorian.“

Dieser Moment, das musste Edorian zugeben, war Balsam für seine Seele und die dunklen Wolken in seinem Kopf verschwanden. Mulzibers Worte und seine Gesten hatten ihn berührt. Würgegeräusche rissen ihn aus seinen Gedanken. Es war der Reichsvogt, der sich mit nunmehr hochroten Kopf an den Hals fasste. Mulziber taumelte, nach Luft ringend fegte er durch unkontrollierbare Zuckungen in seinem Körper den Fasan vom Tisch, der ihm wenige Momente zuvor noch so gemundet hatte. Von Schmerzen gekrümmt, tat Mulziber von Tannengrund seinen letzten Atemzug und blieb mit Schaum vor dem Mund am Boden liegen. Totenstille. Seneschall Reto Eorcaïdos von Aimar-Gor ließ umgehend nach dem Hofmagier schicken. Doch dieser konnte auch nichts mehr tun. Edorian war leichenblass. Was für ein Ende!