Geschichten:Familienfrieden - Willkommen bei der Landwehr
Willkommen bei der Landwehr
Rondra 1034 BF, Landwehrlager bei Broien in Eslamsroden
„Und das Ganze noch einmal von vorn. Piken in Position! Ausrichten! Gurvane, die Spitze muss niedriger. So holst du nur die Blätter vom Baum. Schau auf Tannrik neben dir. Der macht es richtig. So, und nun die Wende. Achtung, jetzt!“
Innerhalb von Sekunden war aus dem eben noch geordneten Landwehrbanner ein Haufen übereinander stolpernder Leiber und verhakten Piken geworden. Ardo riss sich zusammen um nicht vor Verzweiflung die Hände vors Gesicht zu schlagen.
„Praiossanctus, gib mir Kraft oh Götterfürst.“ Nach diesem kurzen Stoßgebet ließ er seine Kasernenstimme wieder über der Feld schallen.
„Halt das Ganze! Halt habe ich gesagt Gurvane! Und jetzt ausrichten! Bei Rondra, da geht es ja in jedem Hühnerstall geordneter zu! Piken hoch und Augen zu mir! Wenn der Ork jetzt hinter euch gewesen wäre, wäret ihr abgeschlachtet worden wie tobrische Schafe!“
Die betretenen Mienen sprachen Bände. Unzufrieden wandte Ardo sich an den Unteroffizier neben sich, der sofort Haltung annahm. „Korporal Hamfast! Ihr lasst die Wende bis zum Abend weiterüben. Vor dem Abendessen will ich Fortschritte sehen. Macht ihnen Beine!“
„Jawohl Herr Hauptmann!“
Ardo ließ Hamfast und die Landwehr stehen und stapfte zurück in sein Zelt. Der Schweiß stand ihm in den Stiefeln und er ahnte, dass er im Moment nicht besser roch als ein Schweinebauer. Kurzentschlossen streifte er den Wappenrock und das Kettenhemd ab, nahm sich ein Leinentuch und machte sich auf zur Badestelle vor dem Lager.
Der kleine Bach war gerade ein paar Schritt breit und nur an dieser einen Stelle mehr als hüfttief. Dort, wo das Bachbett wieder flacher und breiter wurde, gab es eine kleine Furt wo der Feldweg aus Broien über den Bach führte. Ardo legte seine Kleidung am Ufer ab und stieg in das kühle Nass. Genießend ließ er sich das Wasser über Schultern und Kopf laufen, tauchte ein paar mal und blieb wohl ein viertel Stundenglas im Bach, bis er endlich glaubte alles an Staub und Schweiß des heißen Vormittags abgespült zu haben.
Gerade als er sich daran machte aus dem Wasser zu steigen, hörte er den Hufschlag eines einzelnen Pferdes. Es kam aus Richtung Broien und schon bald erkannte Ardo einen Wappenrock der Mark. Die junge Reiterin verlangsamte ihr Tier und kam auf dem Weg zur Furt heran. Auch sie hatte Ardo entdeckt, der noch immer bis zur Hüfte im Wasser stand.
„Rondra zum Gruße, Soldat. Wo finde ich das Zelt des befehlshabenden Offiziers?“
Ardo wollte schon aufbrausen, als ihm einfiel, dass er ohne Rüstung und Wappenrock nur schwer als Baron und Hauptmann zu erkennen war. Belustigt über die Situation musste er grinsen, was bei der jungen Frau ein verärgertes Stirnrunzeln hervorrief, das ihre schönes Gesicht mit einem Mal hart erscheinen ließ. Sie mochte glauben, dass der Soldat vor ihr sie nicht sonderlich ernst nahm.
Er blickte auf ihre Rangabzeichen. Leutnant also. Das war dann wohl die angekündigte Stellvertreterin. So jung wie sie aussah mochte sie selbst gerade erst aus der Ausbildung kommen. Vielleicht gar nicht verkehrt, da war das Wissen noch frisch. Er vertraute darauf, dass man ihm keine Niete geschickt hatte. Noch immer ruhte ihr fragender Blick auf ihm.
„Rondra zum Gruße, Frau Leutnant. Das Zelt des Hauptmanns könnt Ihr nicht verfehlen. Gleich das erste rechts im Lager. Der Hauptmann selbst ist gerade nicht dort, aber ich werde dafür sorgen, dass er sogleich zu Euch stößt.“
Die Frau schaute kurz unschlüssig, ließ es dann aber auf sich beruhen. Sie grüßte dankend, ritt durch die Furt und strebte dem Zeltlager zu. Ardo sah, wie sie vor seinem Zelt abstieg, das Pferd anband und nach kurzem Zögern eintrat. Schließlich stieg er aus dem Bach, trocknete sich mit dem Leinentuch ab, streifte sich Hemd und Hose über, stieg in seine Stiefel und legte zügig die zweihundert Schritt zu den Zelten zurück.
Ohne Umschweife betrat er sein Zelt und fand die junge Frau in aufrechter Haltung vor dem Besprechungstisch stehen. Verwirrt sah sie ihn an, als hinter ihm nicht wie erwartet ihr neuer vorgesetzter Offizier eintrat.
„Stehen Sie bequem und machen Sie Meldung.“
Ardo ging an ihr vorbei zu seiner Truhe und holte eine Flasche Wein und zwei Zinnbecher hervor. Er hatte vor seiner neuen Stellvertreterin die Begrüßung und den kleinen Scherz zu versüßen.
„Soldat? Was hat das zu bedeuten? Erklärt Euch!“
Mit einem feinen Lächeln stellte Ardo die Becher auf den Tisch und öffnete die Flasche.
„Ardo von Keilholtz, Baron zu Kressenburg, Hauptmann der Märkisch Greifenfurtschen Armee. Und jetzt steht endlich bequem und macht Meldung.“
Praiadne wurde abwechselnd rot vor Scham und blaß vor Schreck und die Überraschung ließ ihr Kinn nach unten sacken. Sie hatte sich gehörig blamiert, noch bevor sie ihren Dienst überhaupt angetreten hatte. Zu allem Überfluss war ihr Vorgesetzter auch noch ein Altkeilholtzer! Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Boden versunken oder schnurstracks zu ihrem Pferd gerannt um zu ihrer Familie ins nahe Weidensee zu flüchten. Doch die Abschiedsworte des Schellensteiners kamen ihr wieder in den Sinn und sie nahm stattdessen all ihren Mut zusammen um dem Kressenburger in die Augen zu sehen und zu salutieren.
„Leutnant Praiadne Leuinherz Keilholtz meldet sich zum Dienst, Herr Hauptmann.“ Etwas kleinlauter fügte sie den Versuch einer Entschuldigung an. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Euch unwissentlich beleidigt habe, Euer Hochgeboren.“
Ardo, der gerade den Wein hatte einschenken wollen, erstarrte für einen Moment und fixierte sie mit seinem Blick, bevor er lachend und den Kopf schüttelnd fortfuhr.
„Praiadne Keilholtz, fürwahr. Da seht Ihr Eurer Schwester so ähnlich und ich habe Euch doch sehenden Auges nicht erkannt.“ Noch immer lachend reichte er ihr einen der Becher. In den Zinn war sehr detailliert und fein das Wappen der Baronie Kressenburg eingestanzt, was sie im Halbdunkel des Zeltes erst jetzt erkennen konnte. „Seid mir willkommen, werte Base und zukünftige Schwägerin. Auf das Herzlichste willkommen. Auch an Euch die Bitte, spart Euch hier im Lager das Hochgeboren, der Rang reicht völlig.“
Die Verwirrung stand Praiadne ins Gesicht geschrieben. Zukünftige Schwägerin? Dann musste dieser Mann hier derjenige sein, von dem ihre Schwester ihr vor Wochen voller Wut, aber ohne einen Namen zu nennen, geschrieben hatte. In Gedanken verglich sie ihren Gegenüber mit den Attributen mit denen er von seiner Verlobten bedacht worden war. Alt und hässlich, schwach und feige, unangenehm und dumm, stinkend und faul. Wie konnte das derselbe Mann sein? Auf den ersten Blick war er in den meisten Punkten das genaue Gegenteil. Sicherlich, sie sah ihn das erste Mal. Das zweite Mal wenn man die Szene am Bach mitzählte. Aber auch Ifirnia hatte ihn kaum öfter gesehen. Wollte ihre Schwester vielleicht nur nicht sehen was für ein Mann ihr Verlobter hinter seinem Namen war?
Verlegen senkte Praiadne den Blick, als ihr bewusst wurde, dass sie Ardo wohl eine volle Minute angestarrt haben musste. Noch immer hielt er die Hand ausgestreckt um ihr den Wein zu reichen. Als sie wieder aufblickte lag ein Lächeln auf ihrem vor Verlegenheit gerötetem Gesicht. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, griff sie nach dem Begrüßungswein. Sie hatte sich entschieden. Ardo war ihr Vorgesetzter. Egal was Ifirnia von ihm halten mochte, Praiadne konnte sich keine Vorurteile erlauben. Sie musste selbst erkennen ob sie sich im Notfall auf ihren neuen Hauptmann würde verlassen können. Er hatte sie offensichtlich trotz des generationenalten Konflikts zwischen ihren Häusern vorbehaltlos akzeptiert und er hatte es sich damit verdient, dass sie ihm ebenso unvoreingenommen entgegen trat. Schweigend und sich gegenseitig neugierig betrachtend tranken sie aus, bevor Ardo sie schließlich zum Übungsplatz führte um sie der Truppe vorzustellen.