Geschichten:Erlenstamm nach dem Höllenwaller Durchmarsch - Teil 2

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Alissa hatte sich zum Schlafen gelegt, doch sie fand diese Nacht keine Ruhe. Die Ereignisse der letzten Tage waren zu aufregend gewesen. Tausend Gedanken drehten sich in ihrem Kopf im Kreis und liessen sie nicht schlafen. Das beständige Wälzen im Bett bescherte ihr keinen Frieden, sondern schürte nur ihren Ärger und damit ihre Rastlosigkeit. So stand sie auf, entzündete eine Kerze und machte sich auf, in die kleine Bibliothek zu gehen, um nach einem guten Buch zu suchen. Vielleicht, so hoffte sie, würde sie so auf andere Gedanken kommen und besser einschlafen können. Und wenn nicht, hätte sie wenigstens etwas Unterhaltung gehabt.

Auf dem Weg zur Bibliothek kam sie am Arbeitszimmer vorbei, welches - wie alle Räume - lange leer gestanden hatte und nun offenbar für die Zeit ihres Aufenthaltes von der Baronin genutzt wurde. Die Tür war nur angelehnt. Ein dünner Lichtkeil fiel auf den Gang, und es waren Stimmen zu hören. Es waren unverkennbar die Stimmen der Baronin und ihres Sekretarius Arth Baldus. Offenbar hatte sie ihren Diener nicht verstossen, wie man hätte vermuten können. Eigentlich war es nicht Alissas Art, zu lauschen, aber die gerade angesprochenen Themen interessierten sie zu sehr. Und so blieb sie regungslos vor der Tür stehen und hörte mit.

Baronin: Haha, wenn da nicht ein Hauch von Freiheit zu spüren ist. Es ist also beschlossen. Wir stellen ab sofort alle Abgaben und Steuern an die "Fremden Vögte" ein. Was in Erlenstamm verdient wird, soll in Erlenstamm bleiben. Und wer anderer Meinung ist, soll nur versuchen, es sich zu holen.

Sekretarius: Sehr wohl, zumal der Graf als Lehnsherr seiner Pflicht nicht nachkam, uns, seine Vasallen, gegen die Frevel des Junkers zu schützen bzw. uns beizustehen.

Baronin: Ha, ich hätte von dem kurzbeinigen Ingramm auch nichts Anderes erwartet. Er und Gareth dürften auch kaum noch die Mittel haben, ihren seit je lächerlichen Anspruch durchzusetzen.

Sekretarius: Allerdings, zumal unsere Baronie doch recht gut weggekommen ist - etwa im Gegensatz zu Wehrheim oder Gareth.

Baronin mit einem finsteren Grinsen: Oh ja! Nun aber was anderes. Es sind unsichere Zeiten, und wir müssen uns egal gegen wen wieder rüsten. Wir können nun viel Geld an Abgaben einsparen, aber haben auch weniger Einkünfte. Wir müssen nun die Prioritäten auf die Ausbildung neuer Soldaten und die Aufrüstung unserer Truppe setzen. Wir brauchen, um die alte Stärke zu erlangen, 50 Männer und Frauen. Geeignete Personen - egal welchen Standes - müssen nun so schnell als möglich - nötigenfalls unter Zwang - eingezogen und ausgebildet werden. Daneben aber will ich eine neue Einheit von etwa 20 Bogenschützen ausbilden lassen, die heimlich überall in der Baronie, vor allem an deren Grenzen, unterwegs sind. Wenn mich diese Geschichte hier etwas gelehrt hat, so ist es, dass in einem Konflikt Geschwindigkeit, Beweglichkeit, Täuschung des Feindes und die Tarnung sehr wichtig sind. Wir haben ja auch gesehen, wohin rondrianische Tugenden führen können. Eine Einheit von "Waldläufern", wie ich sie nennen will, kann bei der Verteidigung der Baronie überaus nützlich sein. Vielleicht nehmen wir sie auch aus den 50 Soldaten, die rekrutiert werden müssen, und reduzieren unseren offiziellen Bogenschützenbestand, um Zeit und Geld zu sparen.

Sekretarius: Wie soll das konkret von statten gehen?

Baronin: Bevor wir diese Sache an die Hand nehmen, muss ich mir über etwas Anderes im Klaren sein. Nämlich über mein Verhältnis zu meinen Nichten Alissa und Greifdane. Beide können kämpfen. Alissa ist mir treu ergeben, sie ist aber von ihrer Natur her eher eine Frau des Wortes als des Schwertes. Manchmal scheint sie mir zu weich. Dennoch oder gerade deshalb kann ich auf sie nicht verzichten. Sie ist gebildet und kann in der Politik nützlich sein, wobei ich mich immer zu 100 % auf sie verlassen kann. Und sie ist von Stand im Gegensatz zu Euch, Baldus, der Ihr nicht mir, sondern nur meinem Amt treu seid.

Sekretarius: Wollt Ihr mich durch Eure Nichte ersetzen?

Baronin: Keineswegs Baldus. Ihr seid ein wertvoller Diener, und ich kann und will Euch nicht entbehren, aber ich kann Euch Alissa als Vorgesetzte vor die Nase setzen. Es wäre mir lieb, wenn sie mit mir auf Freudenstein residieren würde. Bedenkt auch Baldus, dass sie jung und hübsch ist, nebst ihren anderen Qualitäten. Weder beabsichtige ich, Euch zu ersetzen, noch meine Geschäfte aus der Hand zu geben. Aber Erlenstamm wäre mit Alissas Gesicht nach aussen besser bedient als mit meinem oder Eurem Gesicht. Denkt Ihr nicht aus?

Sekretarius: Dem kann ich wahrlich nicht widersprechen.

Baronin: Ihr braucht mir da nicht so eifrig zuzustimmen :-). - Ja, und da sie von Stand ist, will ich ihr auch mehr Verantwortung übertragen. Sie wird in meine Entscheidungsfindung einbezogen werden und meine Emissärin sein. Und wenn sie will, darf sie Richterin sein. Ich bin es leid, mich mit den Streitereien der Bevölkerung zu plagen. Ich denke auch, dass sie einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat. Ach ja, das ist auch so etwas. Wir machen Schluss mit den fremden Richtern. Aber darüber vielleicht ein anderes Mal. Das hat noch Zeit. Jedenfalls werdet Ihr, Baldus, natürlich bei uns auf Freudenstein bleiben.

Sekretarius: Sehr wohl.

Baronin: Mein Verhältnis zu Greifdane ist zwiespältig. Auch auf sie kann und will ich nicht verzichten. Fürs Grobe ist sie viel geeigneter als Alissa. Sie ist durchtrieben und hasst - wie ich - die Kurzen. Anderseits scheint sie mir nicht so treu ergeben zu sein. Sie könnte Ränke schmieden, sich offen gegen mich auflehnen oder Schlimmeres.

Sekretarius: Was gedenkt Ihr zu tun?

Baronin: Ich bin nicht sicher. Ich denke, ich werde sie zunächst mit der Leitung der Aushebung und der Ausbildung der Neuen betrauen. Dann setze ich sie vielleicht dem Hauptmann vor die Nase. Meinetwegen darf sie sich dann Majorin nennen.

Sekretarius: Wohl eher Major.

Baronin: Was?

Sekretarius: Die weibliche Form von Major ist auch Major.

Baronin: Dummschwätzer! Wie auch immer. Ich werde dann aber mit dem Ole noch reden müssen und ihn und seine Leute auf mich einschwören. Nicht, dass die Greifdane meint, sie könnte mich irgendwann mit meiner eigenen Truppe stürzen.

Sekretarius: Ihr könntet auch Alissa zur Hauptfrau der Waldläufer machen.

Baronin: Ich will sie bei mir auf der Burg haben ... aber warum eigentlich nicht?

Sekretarius: Und wie gehen wir nun morgen vor?

Baronin: Wie besprochen. Der grösste Teil der Truppe bleibt hier, ein kleiner Teil wird nach Freudenstein und ein kleiner Teil nach Murmelstein geschickt. Ausserdem sollen Greifdane und Ole so rasch als möglich die Aushebungen an die Hand nehmen. Mit den ersten Vorbereitungen dazu kann zumindest Greifdane morgen schon beginnen. Und Alissa werde ich auf ihre neuen Aufgaben vorbereiten. Es wird Eure Sache sein, Baldus, ihr in der ersten Zeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie wird deshalb mit Euch schon Morgen nach Freudenstein zurückkehren. Ich komme irgendwann nach, kann aber noch nicht sagen, wann.

Sekretarius: Ist das alles?

Baronin: Ja, Baldus. Ich bin müde. Zeit, sich zurückzuziehen.

Es folgten die Geräusche von raschelnden Pergamenten, rückenden Stühlen und näher kommenden Schritten. Doch noch bevor Baldus das Zimmer verlassen hatte, war Alissa längst in der kleinen Bibliothek verschwunden.