Geschichten:Elmenbarths Lehre - So sicher, wie in Borons Schoß

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Ritterherrschaft Falkenhof in der Grafschaft Eslamsgrund. Praios 1037 BF


Mit schreckgeweiteten Augen blickte sich Kunibald in alle Richtungen um. Er hasste und fürchtete diesen Ort. Wer konnte es ihm schon verübeln. Vor Geistern und verfluchten Plätzen machte man lieber einen Bogen. Doch wie immer bestand sein Schwertvater auf Kuniblads Begleitung, um diese „abergläubische Furcht“ abzuschütteln.

Er hatte die Bauern über den Ort reden hören. Ein friedliches beschauliches Dorf war es einst. Bis die Oger von einigen Götterläufen aus dem Gebirge kamen und den Großteil der Bevölkerung massakriert hatten. So viel Leid, so viel Furcht und Grauen war diesem Dorf wiederfahren, dass Golgari selbst diesen Ort scheute, so sagte man hinter vorgehaltener Hand. Deswegen könnten die toten Seelen nicht übers Nirgendmeer in Borons Hallen getragen werden. Der ein oder andere Bauer meinte sogar Gespenster aus der Ferne über der Wallstatt klagen gesehen zu haben. Daher mieden viele Falkenhofer das nahegelege Haulingen, obwohl einige sogar Verwandte hier hatten. Kunibald konnte es ihnen nicht verübeln.

Von der Ferne betrachtet, könnte man denken, man sehe ein ruhiges friedliches Dorf. Doch beim Näherkommen, war diese unnatürliche Stille das Erste was einem einen Schauer über den Rücken jagte. Keine Regung, keine Rufe, Gelächter, Kindergeschrei, Tiergeräusche, Werkzeugklang. Nichts! Sogar die Natur schwieg still. Nur der Wind, der über die Bäume strich, und das Krächzen der Raben, die vom Tod kündeten, war zu vernehmen.

Nachdem man den äußersten Dorfrand, von noch einzelnen intakten Häuserwänden, hinter sich gebracht hatte, erkannte man das Ausmaß der Verwüstung. Im Dorfzentrum hatten kaum ein Gebäude den Ansturm der Menschenfresser überstanden. In ihrem Verlangen nach Fleisch hatten sie ganze Gebäudemauern niedergeworfen, Karren zertrampelt und Fässer durch die Luft gewirbelt. Noch immer wirkten die Gassen des Ortes wie ein Schlachtfeld… nur ohne Leichen. Kunibald konnte und wollte sich nicht das Grauen ausmalen, welches hier an der Schicksalhaften Nacht am 8.Praios 1032BF gewütet haben muss. In den Erzählungen der Leute wurde sie stets als Nacht des Grauens erwähnt.

Ein geächztes „Hilfe Hilfe“ ließ Kunibald erschrocken in seinem Sattel herum fahren. Eine lose in den Angeln hängende Tür schwang im Wind hin und her und knarzte dabei leise. Nun, wo er die Tür sah, erkannte er, dass das Geräusch von den rostigen Scharnieren kam. Dennoch raste sein Herz noch lange nach. Er blickte wieder zurück zu Angrist, welcher weiter unbewegt durch die Ruinenstadt ritt. Auch wenn der Ritter sich nichts anmerken ließ, wusste Kunibald, wie sehr der Anblick vom übriggebliebenem Haulingen seinen Schwertvater schmerzte.

Nachdem sie den Dorfplatz passiert hatten und sich dem besterhaltenstem Haus des Ortes näherten, ein kleiner einstöckiger Bau aus festem Mauergestein, trat lautlos eine dunkel gewandete Gestalt aus dem Schatten des Gebäudes, welches inzwischen ein umgebauter Boronsschrein war, auf sie zu. Auch wenn Kunibald die gealterte zurückgezogene Borongeweihte bereits mehrmals bei seinen vorherigen Besuchen in Haulingen erblickt hatte, schauderte es ihn, die Frau in dieser Umgebung wandeln zu sehen. Wie konnte jemand nur in dieser trostlosen, erdrückenden Traurigkeit einsam und zurückgezogen leben?

Der Ritter und die Geweihte tauschten einen wortlosen Gruß aus, indem sie beide ihr Haupt neigten. Dann trat die Geweihte näher und Angrist stieg von seinem Pferd ab. Dann löste er die monatliche Spende, in Form eines großen Stoffbündels, vom Sattel und überreichte es der Boroni. Sie neigte dankend ihr Haupt, bevor Angrist in das Innere des Schreins trat, um ein Gebet an die Toten abzuhalten.

Voller Unbehagen rutschte Kunibald auf dem Sattel hin und her, blickte immer wieder zwischen der Ruinenstadt und der Geweihten hin und her. Die Boroni legte das Bündel neben der Tür des Schreins ab, und wendete sich dann Kunibald zu, um ihn mit ihren unergründlichen grauen Augen zu fixieren. Der Knappe konnte ihren Blick nicht lange standhalten, welcher so schwer auf ihn lastete, als wolle sie ihn schelten, als könne sie seine Angst vor den Toten spüren. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der die Alte ihn musterte, deutete sie ihm dann mit einer fahrigen Handbewegung ihr zu folgen, bevor sie langsam hinter das Gebäude verschwand. Verunsichert blickte Kunibald ihr nach. Er hoffte nur, dass sein Schwertvater schnell sein Gebet beenden würde, damit sie wieder Heim reiten konnten, doch erfahrungsgemäß würde es sich noch eine Weile hinziehen. Widerwillig stieg der Knappe schließlich von seinem Pferd ab. Auch wenn er eine andauernde Gänsehaut im Nacken spürte, war es bestimmt nicht klug die Bitte einer Geweihten abzulehnen.

Vorsichtig umrundete er das Gebäude und erblickte endlose Reihen von Gräbern. Er musste unweigerlich an einen Obsthain denken, wo die Bäumchen ebenfalls akribisch genau aufgereiht waren. Nur, dass diese geflochtenen Zweige keine Fürchte mehr trugen und lange abgestorben waren. Davor stand die Boroni, den Rücken ihm zugewandt. Zögerlich trat Kunibald neben ihr und senkte den Blick. Die Geweihte stand wortlos da und blickte einfach nur auf die Grabstätten. Der Knappe wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, also tat er es ihr gleich. Nun erkannte er auch, dass kleine Täfelchen an den Boronsrädern befestigt waren, wo in mühevoller Kleinarbeit die Namen der Toten eingeschnitzt waren. Algunde Feldlieb, Warnhelm Feldlieb, Traute Kutscher, Filbert Kutscher,… Kunibald erkannte, dass man sich bemüht hatte, Angehörige beieinander zu bestatten. Er mochte sich gar nicht ausmalen, wieviel Zeit und Arbeit diese Prozedur in Anspruch genommen hatte.

„237“ durchbrach die Stimme der Geweihten die Stille.

„237…“ wiederholte Kunibald die Zahl fassungslos. So viel Tot…

„Viele suchen noch nach Erlösung.“ Die Stimme der Geweihten klang jünger, als er sie bisher eingeschätzt hatte.

Traurig senkte er den Blick, während ein paar Raben ein Klagenkrächzen anstimmten.

Die Hand der Geweihten legte sich auf seinen Rücken. Die Berührung wirkte unerwartet trostspendend. Er schaute zur Boroni auf, welche seinen Blick erwiderte. In ihren Zügen konnte er den Anflug eines Lächelns erahnen.

„Ein Gebet mehr für die Toten wird nicht schaden.“ Sagte sie aufmunternd und kniete sich auf den Boden.

Kunibald tat es ihr gleich und faltete seine Hände. Die Boroni schloss die Augen und formte mit ihren Lippen tonlose Worte. Der Knappe atmete tief ein und schloss ebenfalls die Augen. Aus innigstem Herzen richtete er ein Gebet an Boron, wie er es noch nie in seinem Leben getan hatte. In Gedanken wünschte er den Opfern dieses Grauens, dass sie endlich Frieden finden mögen, dass sie vereint mit ihren Liebsten in Borons ewigen Hallen eingehen mögen, um in einem Paradies weitab dieses Ort des Schreckens die Ewigkeit zu verweilen.

Als er die Augen wieder öffnete, nahm er wieder das Krächzen der Raben war. Die Boroni war inzwischen verschwunden. Kunibald erhob sich wieder und klopfte sich etwas Erde von der Hose.

Dabei bemerkte er seinen Schwertvater, der an der Gebäudemauer lehnte und seinen Knappen nicht ohne stolz beobachtete.

„Bist du bereit?“ fragte Angrist schwach lächelnd.

Mit dem erleichternden Gefühl sein bestmöglichstes für die Verstorbenen getan zu haben, nickte Kunibald und sie gingen wieder zurück zu den Pferden.

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Nachdem die Besucher die Ruinenstätte wieder verlassen hatten, trug die Boroni das Bündel ins Innere. Beim Auspacken entdeckte sie die üblichen Spendenabgaben. Brot, Hartkäse, etwas Schinken, Äpfel, Zwiebeln, Kartoffeln, Kerzen, Zunder…und ein merkwürdig hartes Bündel. In einem Pergament war ein Steinbruchstück eingewickelt. Die Geweihte drehte den Stein im schwachen Kerzenschein und erkannte ein Relief auf der einen Seite. Es zeigte eine verschlungene Wellenform zu dessen Füßen gewappnete Krieger wimmelten. Auf dem Pergament stand eine Botschaft.

Werte Schwester Marbotreu,
 
 
 
 
ich bitte euch inständig dieses Steinfragment sicher zu verwahren. Verliert kein Wort darüber und händigt es niemanden aus, außer mir persönlich, falls ich euch deswegen wieder aufsuchen sollte.

Finstere Mächte recken ihre Klauen nach diesem Artefakt aus, und ich möchte verhindern, dass es Feinden der Zwölfe in die Hände fällt. Verbrennt den Brief, nachdem ihr ihn gelesen habt, und zögert nicht, einen geheimen Ort für den Stein zu finden.

Möge Boron weiterhin über eure großmütige Tat wachen.
 
 
 
 
Angrist von Rond

Die Boroni faltete das Pergament wieder und hielt es in die Kerzenflamme.

Stillschweigen bewahren? Das sollte kein Problem darstellen…



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Texte der Hauptreihe:
P10. Briefe
K83. Zweifel
Pra 1037 BF zur abendlichen Firunstunde
So sicher, wie in Borons Schoß
Briefe


Kapitel 1

Bruchstücke
Autor: Nellkir