Geschichten:Elfentod

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Teil 1: Die Verschwörung


„Und Du hast genau getan, was ich gesagt habe?“ Die leise Stimme des Mannes ließ darauf schließen, dass er sehr ungehalten werden konnte, wenn man ihn über Gebühr reizte. „Aber sicher Herr! Ihr könnt Euch auf mich verlassen! Bei dieser Strasse ist es nur eine Frage der Zeit.“ Der kleinere der beiden Männer rieb sich beflissentlich die Hände, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das ruhige Schnauben eines der Pferde unterbrach ihr Gespräch. Der Geruch des Stalles war durchdringend, aber wenn man sich in Ruhe unterhalten wollte, musste man eben Orte aufsuchen, an denen es nur wenig menschliche Ohren gab. Claudio di Conserrano lächelte müde. “Schön, wir werden ja bald sehen, ob Du Deine Arbeit ordentlich gemacht hast, mein Freund.”

Der kleinere Mann räusperte sich und fuhr sich nervös durch den Bart. „Wenn das alles klappt, wie Ihr es Euch gedacht habt, dann könnt ihr doch sicherlich mein Weib wieder frei…“ Claudio legte den behandschuhten Zeigefinger auf seinen Mund und lächelte frohlockend. „Natürlich mein Bester, mach Dir mal keine Sorgen. Deinem Weibe geht es ausgezeichnet und das wird auch weiterhin so sein, denn schließlich bist Du mir ja zu Diensten, wie gewünscht, nicht wahr?“

Verängstigt brachte der Mann ein Lachen hervor. „Jaja, Recht habt Ihr schon, mein Herr, aber ich dachte…“ Der Liebfelder hielt dem Kerl abrupt den Mund zu und neigte sich etwas näher heran: „Hör jetzt zu, Mann. Denken ist etwas für schlaue Leute und wenn Du schlau sein willst, dann halt endlich die Klappe.“

Erschrocken nickte der Angesprochene und suchte seine Furcht zu verbergen. Noch vor einer Woche hatte er ein ruhiges Leben als Knecht der Junkerin von Ferinstein geführt. Dann war eines Nachts dieser Fremde aufgetaucht und hatte gesagt, dass er sich fortan um das Wohl seines Weibes kümmern würde und er ihm dafür dankbar sein sollte. „Verschwinde jetzt.“ Claudio wedelte beiläufig mit der linken Hand, als wollte er eine Fliege verjagen.

Unterwürfig zog sich der Knecht zurück. Soweit verlief alles wie geplant.


Teil 2: Aufbruch ins Grüne


Es war ein leicht bewölkter Tag, an dem Aidaloê mit ihrem kleinen Gefolge aufgebrochen war. Wie meist, reiste sie in einer eher bescheidenen Kutsche in der Gesellschaft einiger ihrer Getreuen. Ihre Zofe Odana hatte entsprechende Kleider zurecht gelegt und alles sorgsam für die Reise verstauen lassen. Die Junkerin Ferinsteins hatte beschlossen erneut ihre jungen Güter in der Baronie Schwarztannen aufzusuchen. Auch dort wollten die Geschäfte geregelt sein und der Vogt der Baronie legte großen Wert auf der Halbelfe Anwesenheit.

Jetzt saß sie in dem stabilen, aber nicht unbedingt herrschaftlich anmutendem Gefährt, welches sich Kutsche schimpfte, und wollte soch ganz den Freuden einer Reise unter bewölktem Himmel hingeben. Doch ihr Schreiber Hagen hatte darauf bestanden, noch einige Schriftstücke mitzunehmen, für die die Junkerin noch keine Zeit gehabt hatte. Leicht gelangweilt lauschte die Halbelfin den Ausführungen ihres pedantischen Schreibers und ertappte sich dabei, dass sie dem Vortrag die letzten Augenblicke zwar zugehört, aber kein Wort wirklich aufgenommen hatte.

„Verzeih, ich…,“ sie konnte ein Gähnen kaum unterdrücken. „Ich habe heuer nicht den rechten Sinn für solch trockene Dinge.“ Leicht irritiert zog ihr Schreiberling eine Augenbraue nach oben, nickte aber, während er das Pergament verstaute. Ruhig und in dem Gewissen, von seiner bescheidenen Herrin – so seltsam sie auch sein mochte – gebraucht zu werden, lehnte er sich dann in die mehr praktische als bequeme Bank der Kutsche zurück und gedachte der zahlreichen Geschäfte, welche der Junkerin von Ferinstein und Edlen von Weißenhain harrten. Hagen von Rohden genoss das Vertrauen Aidaloês – und das bedeutete dem Mann aus ärmlichen Verhältnissen sehr viel.

Die Junkerin blickte wieder versonnen nach draußen, wo Efferds Gaben reichlich in langen kalten Fäden vom Himmel stürzten. Eine Stunde nach ihrem Aufbruch hatte es zu regnen begonnen und es schien, dass der Herr Efferd ordentlichen Gefallen an diesem Wolkenbruch gefunden hatte. Das Wasser strömte unaufhörlich herab und Aidaloê wickelte sich leicht fröstelnd enger in ihren warmen Mantel.

Plötzlich tat es einen gewaltigen Ruck, begleitet von einem Geräusch, welches nur berstendes Holz verursachen konnte und alle Insassen der Kutsche wurden durcheinander gewirbelt. Odana Hoeckmann, die junge Zofe, stieß einen spitzen Schrei aus und versuchte sich verzweifelt irgendwo fest zu halten. Der hintere Teil der Kutsche war abgesackt, die Räder seitlich von der Achse gesprungen. Erschrocken wich die kleine Eskorte der Edlen, angeführt vom treuen Rittersmann Ailgrimm von Fuchsstein, zur Seite. Man hörte das Rufen des Kutschers und des Pferdeknechtes, die sogleich zur Tür eilten, um nachzusehen, ob den Herrschaften nichts geschehen sei. „Nein, nein...,“ brachte Aidaloê ächzend hervor, während sie das linke lange schladderige Bein ihres Sekretärs aus ihrem Schoße wuchtete., „...mir geht es gut.“ Sie hatte sich den Kopf gestoßen, aber das war nicht weiter schlimm. Hagen hielt sich die linke Hand, offenbar hatte er auch eine Beule davon getragen. Lediglich Odana schien unberührt, aber leichenblass vor Schreck.

Die Junkerin wollte sich ein Bild des Debakels machen und stieg vorsichtig und unter Hilfe eines aufgescheuchten aber galanten Wachmannes aus dem Gefährt. Der kalte Regen hatte die Strasse aufgeweicht und der Schlamm spritzte an ihren Stiefeln und Beinlingen hoch. Ein frischer Wind schlug ihr feucht ins Gesicht und steigerte ihr Unbehagen noch weiter. Das tiefe Grün des Waldes umfing den schmalen brauen Weg, der sich durch das Gewächs bahnte, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.

„Was war das?“ fragte sie schließlich und sah aber das Problem schon. Die hintere Achse musste gebrochen sein, eines der Räder hatte sich in diesem Prozess wohl auch in Einzelteile zerlegt. Der Kutscher hatte die Rösser angehalten und beruhigt, während Ritter Ailgrimm und der verbliebene Knecht das Ausmaß des Schadens inspizierten. „Herrin,“ begann der Knecht leise, „wenn’s dem Herrn Ingerimm Recht ist, sind da einige Stunden Arbeit fällig. Die Achse ist zerstört und zumindest das eine Rad muss ausgetauscht werden.“ Aidaloê unterdrückte einen Stoßseuzfer. Als sei diese Reise verflucht. Erneut betrachtete sie sich den Schaden, zuckte aber nur unwissend mit den adligen Schultern. „Wie lange wird das dauern?“ fragte sie dann missmutig, aber mit elfischer Melodie in ihrer Stimme. Denn trotz allem elfischen Erbteiles gab es für die Tochter des Hauses Gorsingen besseres als mitten in einem Wolkenbruch in einem Wald für Stunden fest zu sitzen.

„Nun,“ schnaufte der Knecht, „wenn mir ein paar starke Hände zur Seite stehen, bekommen wir das bestimmt in drei oder vier Stunden wieder hin, sofern wir ein gutes Stück Holz finden oder schlagen, welches wir dann als Ersatzachse nehmen können.“ Aidaloê beglückwünschte sich innerlich diesmal einen zusätzlichen Knecht mitgenommen zu haben. „Gut dann, fang an.“ Sie drehte sich zu ihrer Bedeckung, einfachen Männern aus ihrem Lehen. „Ihr da, geht dem Knecht zur Hand, auf das wir hier nicht noch bis zur Nacht fest sitzen.“ Beflissentlich machten sich die Männer ans Werk. Ritter Ailgrimm beobachtete die Umgebung aufmerksam, es schmeckte ihm offenbar nicht hier in der Wildnis fest zu sitzen.


Teil 3: Wolken- und Achsbruch


Seit einer Stunde schon saß die Reisegruppe fest. Es regnete noch immer im Strömen und es ging nur langsam mit den Arbeiten voran. „Da kommt jemand,“ erwähnte Ritter Ailgrimm und beobachtete weiter aufmerksam den Weg. Auch die Junkerin war neugierig und streckte kurz den Kopf aus der Kutsche, zog ihn aber zügig zurück, um nicht noch nasser zu werden.

„Die Zwölfe zum Gruße,“ hörte sie eine männliche Stimme und daraufhin ein lautes „Die Götter zum Gruße“ als Antwort Ritter Ailgrimms. „Mir scheint, ihr sitzt hier leider fest,“ stellte der Fremde mit einer Spur von Besorgnis in seiner Stimme fest. Nun packte Aidaloê die Neugier und sie riskierte erneut einen Blick nach draußen. Der Fremde saß auf einem prächtigen Schimmel, trug schlichte Reiterstiefel, einen langen dunklen Mantel und einen breitkrempigen federgeschmückten Hut. Unter seinem Überwurf lugte auf seiner linken Seite das Ende einer in Metall gefassten Lederscheide hervor. Es war in diesen Zeiten nötig nicht ohne Schutz zu reisen.

Als er die Elfin erblickte zückte er den Hut und verneigte den Oberkörper leicht im Sattel. Sein dunkelblondes Haar trug er zu einem schlichten Zopf geflochten, der Bart war säuberlich gestutzt und die grünen Augen leuchteten in dem ansehnlichen Gesicht lebhaft. „Eine so schöne Dame hat ein solches Pech.“ begann der Fremde mit einem sehr freundlichen Lächeln, „Das erscheint mir eine wahre Ungerechtigkeit zu sein.“ Aidaloê lächelte versonnen, genoss sie doch durchaus angenehme Galanterie. „Vielleicht habt Ihr Recht,“ gab die Junkerin höflich zurück und stellte sich standesgemäß vor.

„Hocherfreut,“ antwortete der Reiter sogleich. „Mein Name ist Parinor und ich bin von eher bescheidener Herkunft, stehe aber in Diensten des Reichsvogtes Ungolf von Hirschfurten.“ Claudio – denn jener verbarg sich hinter dieser Maskerade – wusste viel über die Ritter vom Bund der Pfortenbruderschaft und wenn es stimmte, dass die hübsche Junkerin von Ferinstein nun das Liebchen des Herrn Nimmgalf von Hirschfurten war, so würde sie sicherlich den guten Ungolf ebenfalls kennen und hoffentlich weniger skeptisch sein. „Wirklich?“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Das ist eine Fügung der Götter. Was tut Ihr in dieser Gegend?“ Ihr Geliebter hatte ihr viel von seinem Oheim und seinem herrischen, aber zugleich auch praiosstolzem Wesen erzählt, doch persönlich hatte sie den Reichsvogt bisher nicht kennengelernt. Parinor lächelte wiederum, er schien ein durch und durch höflicher und sympathischer Mann zu sein. „Ich habe einige Depeschen, die ich im Auftrag meines Gebieters transportiere.“ Er warf einen Blick auf die Kutsche und auf den Knecht, der sich mit seinen neuen Gehilfen bei der Reparatur betätigte.

„Mich deucht, dass diese Arbeiten noch eine Weile dauern werden. Es gibt in nicht allzu großer Entfernung ein kleines im Wald verborgenes Gasthaus. Dürfte ich Euch dorthin geleiten? Dort ist es sicher trockener und angenehmer als hier im Schlamm.“ Aidaloê zögerte. Das wäre wirklich eine Erlösung endlich aus dem Regen heraus zu kommen und sich an einem Feuer zu wärmen. Aber sich nur auf das Wort dieses Fremden zu verlassen erschien ihr riskant. Einige Augenblicke rasten die Gedanken in ihrem Köpfchen, dann hatte sie eine Entscheidung gefällt. „Das wäre in der Tat die Rettung,“ erwiderte sie mit einem gekonnt unschuldigen Augenaufschlag. „Dann ist dort aber sicher auch Platz für ein paar meiner Gefolgsleute, oder?“

Parinor nickte sofort. „Mein Wort darauf. Wenn nicht machen wir Euch Platz, hochedle Dame.“ Adialoê ertappte sich bei einem verstohlenen Lächeln. Irgendwie hatte dieser Kerl tatsächlich ein wenig Charme, aber das sollte ihr gleich sein. Hauptsache sie musste nicht länger in der Kälte warten.


Teil 4: Das Wirthaus


Das kleine Wirtshaus lag in der Tat ein wenig versteckt, es war ihr vorher noch nie aufgefallen. Der Knecht, der Kutscher und die Bedeckung arbeiteten noch an der Kutsche, während Hagen, Odana, Ritter Ailgrimm und einer der Bewaffneten ihre Herrin begleiteten. Die junge, kräftige Schankmagd hatte die hohen Herrschaften sogleich freudig begrüßt, für diesen Tag hatte sie wohl keine anderen Gäste zu bewirten gehabt. Parinor hatte ein kurzes und herzhaftes Zwiegespräch mit der jungen Frau mit den schwarzen Zöpfen geführt, er war hier offenbar nicht das erste Mal zu Gast.

Ein wärmendes Feuer prasselte alsbald im Kamin und der an die hölzernen Fensterläden prasselnde Regen tat das seine zur Schaffung einer gemütlichen Atmosphäre. Die Mäntel hatte man vor dem Feuer zum Trocknen aufgehängt und schon nach kurzer Zeit standen Brot, Käse und einige Teller dampfende Suppe auf dem Tisch. Die junge Frau schien die einzige Bedienung zu sein. „Sagt, wo ist Euer Herr Vater,“ fragte Ritter Ailgrimm, als sie die Rübensuppe servierte. Sie knickste artig, aber auch ungeschickt und errötete. „Der ist in die Stadt gelaufen zum Markt, mein Herr.“ Der Rittersmann nickte und nahm einen tiefen Schluck des heißen Gewürzweines und verfluchte sich sogleich für seine Ungeduld, da er sich den Mund verbrannt hatte. Aidaloê lehnte sich zurück und beschränkte sich zunächst darauf ein wenig heiße Suppe zu essen, denn am frühen Mittag wollte sie sich noch keinen schweren Gewürzwein einverleiben. „Steht Ihr schon lange in Diensten des Reichsvogtes?“ fragte sie schließlich. Parinor schüttelte den Kopf und stellte seinen Becher vor sich ab. „Es sind jetzt knapp zwei Götterläufe,“ log er. „Seine Hochgeboren ist ein ehrenwerter Mann mit gutem Ruf und ich kann mich nicht beklagen.“ Aidaloê war zu erschöpft, zu ausgelaugt noch von dem mitnehmenden Unfall auf der Landstraße, als dass sie – vielleicht durch ihre geheimnsivollen Fähigkeiten, die ihr ermöglichten Gedanken und Gefühle wahrzunehmen – hinter die Fassade des vermeintlichen Boten hätte sehen können. Vielleicht war aber auch der werte Parinor – oder Claudio – viel zu erfahren in der Kunst der scharfen Lüge, als dass man ihn einfach hätte durchschauen können. Die Zofe der Junkerin machte sich kurz bemerkbar, sie wirkte blass und müde. „Verzeiht Herrin, ich fühle mich unwohl, wenn Ihr mich kurz entschuldigen wollt.“ Aidaloê nickte nur knapp, sah sie Odana Hoeckmann doch ihre Erschöpfung deutlich an. „Ja, sicher.“ Die Zofe erkundigte sich kurz nach dem Abort und verschwand dann. „Der Wein ist ganz schön stark,“ meldete sich Ritter Ailgrimm und erhob sich deutlich wankend. Aidaloê lachte leise. „Ihr wolltet doch unbedingt einen Schluck trinken, jetzt reißt Euch auch zusammen.“ Männer und ihr endloser Wunsch bemitleidet zu werden… Sie seufzte und erschrak sich über alle Maße, als ihr getreuer Ritter wie ein Getreidesack zu Boden stürzte. „Bei den Göttern! Was ist mit Euch!“ Aidaloê war aufgesprungen und packte ihren Schreiber Hagen an der Schulter. „Hilf mir, wir müssen ihn…“ Hagen kippte von seinem Stuhl als hätte man einer Statute auf einem Sockel einen Stoß versetzt. Polternd ging er mitsamt Stuhl zu Boden und lag reglos da. Jetzt begriff die Junkerin. Hagen und Ailgrimm hatten ihre Weinbecher geleert, Odana hatte daran nur genippt und sie selbst noch nicht davon getrunken. Auch Parinors Becher war wider Erwarten noch voll. Das Herz pochte der Junkerin bis zum Hals. Wer würde…

Parinor stand zügig auf und zog mit einer flüssigen Bewegung einen Gegenstand aus seinem Gehrock. Die Elfin stieß einen spitzen Schrei aus, doch hatte der Fremde sie schon am Arm gepackt und die Balestrina auf ihren verbliebenen Wächter gerichtet. Dieser wankte schwerfällig heran und suchte nach seinem Spieß, den er am Eingang abgestellt hatte. Das Gift im Wein hatte ihn schon beinahe vollständig gelähmt.

Parinor bzw. Claudio lächelte leise und ein grausamer Zug umspielte seine Augen, als er den Abzug betätigte. Aidaloê zerrte an ihm, um sich zu befreien und schlug wild nach ihm, woraufhin die Kugel ihre vorgesehene Bahn verließ und sich in den Oberschenkel des Wachmannes bohrte. Mit einem heiseren Aufschrei brach der Mann in die Knie und hielt sich sein blutiges Bein. Claudio war stärker als die Junkerin und hielt sie in seinem eisernen Griff fest. Sie wollte den Dolch aus ihrem Gürtel ziehen, als ein Hieb mit einem stumpfen Ding sie in den Rücken traf. Das Messer ging verlustig und sie keuchte unter dem dumpfen Schmerz. Die Schankmagd stand hinter ihr und hielt einen kurzen Knüppel in der fleischigen Faust.

Es war eine ausgeklügelte Falle – und in diesem Moment spürte sie es deutlich: Hass und die Lust am Töten.


Teil 5: Unerwartete Bedrohung


„Wer seid Ihr wirklich und was wollt Ihr von mir!?“ schrie die Junkerin verzweifelt. Ihr Blick jagte über ihr Gefolge, doch keiner von ihnen war in der Lage ihr zu helfen. Vielleicht hatte Odana ja bemerkt, was vor sich ging und holte nun Hilfe. Den letzten Gedanken verwarf sie gleich wieder.

Der Fremde steckte die Schusswaffe weg und blickte sie durchdringend an. „Ich will gar nichts von Euch.“ Er ließ seinen Blick abschätzig über ihren Körper wandern, was ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte. „Vielleicht überlege ich mir das noch mal,“ sagte er leise. „Aber zuerst zum Geschäft.“

Seine rechte Hand zog flink einen scharfen Parierdolch aus einer Schärpe, während seine Linke sie immer noch fest hielt. Die Klinge zuckte blitzschnell vor und nur ihrer Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass sie den Kopf ruckartig zurück zog. Der kalte scharfe Stahl schnitt durch ihre Haut unterhalb des linken Ohrs und hinterließ einen beißenden Schmerz und eine blutrote Spur auf ihrer Wange. Was wollte dieser Irre nur von ihr? Ohren...schneide..Imiona...! Die Gedanken schossen ihr scharf und geradezu von berstender Intensität in ihr Bewusstsein. Gedankenfetzen, die nicht ihre waren. Aidaloê keuchte auf – vor Schmerz und Panik. Mit der Kraft der Verzweiflung versetzte sie dem Mordbrenner einen harten Tritt gegen das Schienbein, woraufhin er sie tatsächlich los ließ. Er wollte sie sofort wieder packen, doch wie aus heiterem Himmel löste sich in just diesem Moment die Aufhängung des gusseisernen Kerzenleuchters an der Decke über ihnen. Sie spürte innerlich ein kurzes aber starkes Kribbeln, das all ihre Glieder durchfuhr, ein kurzes Gefühl der Taubheit, dann sah sie wie krachend Metall und Kerzen auf Claudio nieder gingen und ihn zu Boden warfen. Aidaloê fuhr herum, den Mund trocken und die Hände feucht vor Aufregung. Die Schankmagd. Wieder traf sie der Knüppel, doch diesmal nur am Arm. Sie zuckte zusammen, das würde einen dicken blauen Fleck geben. Wütend warf sie sich nach vorne und rammte die junge Frau gegen die Wand. Ächzend stürzte die Schankmagd und verlor ihren Knüppel. Die Elfin nahm den Holzscheit hastig auf und schlug zurück. Zwei-, dreimal ließ sie die Keule auf die Magd nieder fahren, bis diese sich wimmernd zusammen kauerte. Das heiße Blut tropfte mittlerweile an Aidaloês Kinn herunter, aber sie bemerkte es kaum. Der Hochstapler befreite sich gerade aus dem Leuchter und rappelte sich mühsam auf. Ein Teil des Leuchters hatte seinen linken Ärmel und die Haut darunter aufgerissen, doch nun schien der vorher noch so freundliche Herr äußerst zornig.

Aidaloê erreichte die Tür, riss sie auf und stürzte nach draußen. Sie vernahm hinter sich jenes schleifende Geräusch, als ein Degen aus der Scheide fuhr. Wo war bloß Odana? Hoffentlich hatte man ihr nichts angetan! schoss es ihr wirr durch den nun pochenden Schädel.

Alleine konnte sie nichts ausrichten, sie hatte noch nicht einmal Zeit sich über dieses außerordentliche Glück zu freuen, dass sich der Leuchter im rechten Moment gelöst hatte. Sie eilte zu ihrem Pferd, dankte den Göttern, dass sie es nicht hatte absatteln lassen und sprang auf. Sogleich presste sie dem Ross ihre Hacken in die Flanke und trieb das Pferd an. Sie passierte im Galopp den Fremden, der nun im Eingang des Wirtshauses stand, warf aber keinen Blick zurück.

„Unser Gespräch war noch nicht beendet, edle Junkerin,“ hörte sie den selbstgefälligen Ruf des Angreifers hinter sich. Sie preschte weiter voran, zurück zu ihren Gefolgsleuten, in der Hoffnung, dass sie dem soeben erlebten Wahnsinn schnell entrinnen würde.


Teil 6: Der Genuss des Mordes


Verärgert fluchte Claudio unaufhörlich und half seiner Gehilfin auf die Beine. „Warum hast du sie nicht aufgehalten?“ fauchte er wütend. „Warum hast du sie überhaupt losgelassen?“ gab sie verärgert zurück. Vorsichtig betastete sie die offene Stelle an ihrer Schläfe und zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. „Wir müssen von hier verschwinden, bevor die alle wieder aufwachen. Das Gift ist zwar stark, wirkt aber nicht so lange.“ Der Liebfelder sah sich um. Der Mann, den er angeschossen hatte, war mittlerweile auch bewusstlos. Eigentlich sollte man keine Zeugen zurück lassen, aber sie einfach im Schlaf alle zu ermorden wäre stillos gewesen. Seine Begleitung machte sich an den Bewusstlosen zu schaffen und raubte ihnen, was auch immer sie an Wertsachen oder Geld bei sich hatten. „Was ist mit dem Wirt?“ fragte Claudio beiläufig.

Seine Helferin grinste. „Der liegt verschnürt mit seiner Frau im Vorratskeller, sollen sie doch sehen, wie sie da wieder heraus kommen.“ „Und die Zofe?“ Claudio spie verächtlich aus, als er das riesige Loch in seinem Gehrock am Ärmel bemerkte. Sein Arm schmerzte, doch es war kein tiefer Kratzer. „Die ist auf dem Abort eingeschlafen. Das Gift hat bei ihr doch noch gewirkt.“ Der Liebfelder schüttelte den Kopf und schien belustigt. „Worüber lachst Du?“ fragte seine Gehilfin vorlaut. „Irgendwie gefiel mir diese Junkerin.“ Die junge Frau wirkte skeptisch. „Aber sie ist uns doch entkommen.“

„Genau,“ Claudio lachte spöttisch. „Endlich mal ein Opfer, das sich wehrt und nicht so schnell übertölpeln lässt. Auch wenn sie mehr als Glück hatte.“ Sein Blick haftete kurz an dem Kerzenleuchter, der Claudios Bemühungen zunichte gemacht hatte. „Und was lieferst Du nun der Comtessa Simiona?“ fragte sie neugierig. „Tja, das ist allerdings ein Problem,“ seufzte er gedankenverloren. „Komm jetzt.“ Hastig verließen sie die Taverne und flüchteten mit ihren eigenen im Wald verborgenen Pferden.


Teil 7: Rettung


Aidaloê rannte, wie vom Namenlosen persönlich gehetzt, völlig außer Atem zurück zu der Stelle, wo ihre Knechte an der Kutsche arbeiteten. Entsetzt ihre Herrin blutverschmiert zu sehen, hielten die Männer sofort in ihrer Arbeit inne. „Herrin, was ist euch bloß geschehen?“ hauchte der Kutscher aufgeregt.

„Ein Überfall…“ keuchte sie, „nein ein Hinterhalt. Lasst die Kutsche, nehmt eure Waffen und folgt mir schnell, wir müssen sehen, dass den anderen nichts geschieht.“ Der Gedanke ihre getreuen Gefolgsleute einfach im Stich gelassen zu haben schnürte ihr die Kehle zu, aber sie hatte keine Wahl gehabt. Sofort bewaffneten sich ihre Leute und auch der Kutscher besorgte sich einen großen Stockj aus dem Wald. Lediglich der Fuhrknecht schien zurückhaltend.

„Herrin, sollte nicht noch einer bei der Kutsche bleiben und aufpassen. Ich meine Euer ganzes Gepäck.“ Der Mann war offensichtlich ein Feigling und noch dazu stotterte er. Was Angst aus einem Mann doch machen konnte…

„Ja, bleib bei der Kutsche und bewach sie gut. Es soll mir nichts fehlen hinterher. Ihr anderen: mir nach, zum Gasthof!“ Ihre Stimme klang scharf und herablassend und der Kutscher, der seine Herrin sonst nur liebevoll und elfenhaft ruhig erlebt hatte, zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Es regnete noch immer in Strömen, aber das war ihr nun gleich. Sie ritt langsam, da ansonsten ihre Männer ihr nicht folgen konnten. Völlig nass geschwitzt erreichte sie mit ihren beinahe erschöpften Gefolgsleuten nach geraumer Zeit die Taverne.

Vorsichtig folgte sie den Bewaffneten ins Innere des Hauses, nur um alles so vorzufinden, wie sie es verlassen hatte. Einer ihrer Männer, Brin, lag noch ohnmächtig in seinem Blute, die anderen regten sich bereits wieder, waren aber noch schwer benommen. Ritter Ailgrimm war der erste, ob seiner guten Konstitution, der sich wieder erholte. „Ihr seid wohlauf,“ stöhnte er, als er sich den dröhnenden Schädel hielt. „Den Zwölfen sei Dank!“ Die Junkerin hatte den Schnitt, den sie erlitten hatte bis dato ignoriert, doch sie spürte den Schmerz jetzt mit jedem Herzschlag stärker werden.

„Es ist niemand mehr da, Herrin.“ Sprach einer der Bewaffneten. „Aber wir fanden ein Ehepaar gefesselt und geknebelt im Keller, sie behaupten sie seien die Wirtsleute und dass man sie überfallen hätte.“ Aidaloê war dankbar auch ihre Zofe und ihren Schreiber wohlbehalten zu sehen. Jemand hatte sich sehr viel Mühe gemacht.

„Bei Praios,“ hörte sie Hagen. „Man hat mich beraubt.“ Wütend stellte der Schreiber seine Taschen auf den Kopf, doch sein Geld war fort. „Ich glaube wir müssen froh sein, dass wir unser Leben noch haben.“ sagte Aidaloê und blickte sich um. Wen hatte sie dermaßen verärgert, dass man ihr so zu Leibe rückte? Diese Frage würde sie einige Zeit nicht mehr los lassen.


Teil 8: Elfenohren


Claudio verstaute das seidene Taschentuch in seinem Ärmel und trat in die Gemächer Simionas ein. „Schon zurück, mein Bester? ’attest Du eine gute Reise?“ fragte sie neckend. Auf ihrem Tisch häuften sich Dokumente und Bücher, wobei sich gerade bei letzteren Claudio manchmal fragte, ob er überhaupt wissen wollte, was der Inhalt war.

Wortlos trat er heran und positionierte eine kleine Mohagoniholzschatulle, die er aus seinem Rock hervor zauberte vor ihr. „Ein Geschenk? Wie großzügisch und über alle Maßen aufmerksam von Dir.“

Einen Moment lang zögerte sie. Claudio würde sie doch nicht etwas vergiften wollen, etwas mit einem Dorn, der aus der Schatulle sprang, wenn man sie öffnete. Vertrauen war ein kostbareres Gut als Gold in diesen Tagen. Vorsichtig öffnete sie das Kästchen, blickte hinein, hielt einige Momente die Luft an und blickte dann auf. Ein bösartiges Lächeln umspielte ihre Lippen und schließlich begann sie zu lachen. Zuerst leise, dann immer herzhafter und lauter.

„Ich vermute, es wird nicht lange vorhalten, denn Du weißt ja, dass Elfen sehr eitel sind. Mit ihrer Magie wird sie sicherlich die Wunden heilen, auf dass keine Spuren zurück bleiben.“ Claudio umrundete den Tisch und küsste die Comtessa am Nacken und am Hals. Sie nickte. „Das macht gar nischts. Das Geschenk wird sicherlisch seinen besonderen Zweck erfüllen.“ Sorgfältig schloss sie die Schatulle behutsam und stellte die abgetrennten Elfenohren darin in eine der großen Schubladen ihres Schreibtisches.