Geschichten:Eine unerwartete Gelegenheit

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Elissa vom Berg kehrte nach einem mehrstündigen Ausritt, den sie, wie immer in der jüngsten Zeit, alleine unternommen hatte, nach Burg Mallvenstein zurück.
Norholt von Rickenberg beobachtete, zusammen mit seiner Base Miranda, von einem Fenster im Palas aus, wie die Baronin mit fast schon melancholischer Miene ihr Pferd im Burghof zügelte und absaß.

"Warum bringt sie sich nur immer wieder in solche Gefahr? Diese ständigen Ausritte ohne jede Begleitung - wer weiß, was da alles passieren kann! Da braucht es nicht mal einen Überfall sondern nur den Sturz ihres Pferdes. Und dann?", sprach der Kastellan zu seiner Verwandten.

"Stell´ doch keine Fragen, auf die Du die Antwort bereits kennst!", erwiderte die Angesprochene leicht unwirsch. "Wenn man bedenkt, was die Frau in den vergangenen Monden alles mitgemacht hat, finde ich ihr Verhalten geradezu normal."

"Normal? Nicht nur, dass sie sich ihre Mahlzeiten nun häufig selbst zubereitet - nein, sie lässt, wenn sie nicht selbst kocht, die Herstellung ihrer Speisen von zwei Wachen penibel überwachen. Und das, obwohl wir endlich wieder eine exzellente Köchin hier auf der Burg haben. Was soll bloß das Gesinde davon halten?"

"Mal abgesehen, dass außer Dir sich wohl niemand um dessen Meinung scheren dürfte, glaube ich, dass die meisten dafür Verständnis haben werden. Der vorherige Koch war auch hervorragend, wie Du weißt, bis- naja, bis zu seiner Entlarvung halt. Und das war nicht nur für uns ein Schock, wie Du Dich erinnern wirst, Norholt."

"Hm. Aber dass sie nun wie ein Kind Angst vor der Dunkelheit hat und ihr Schlafgemach beim Zubettgehen taghell erleuchtet sein muss, ist doch schon, gelinde gesagt, sehr befremdlich. Und dieses plötzliche Misstrauen gegenüber beinahe Allem und Jedem. Ebenfalls sehr befremd-".

"Das Einzige, was hier befremdlich ist, ist Dein Mangel an Einfühlungsvermögen.", tadelte Miranda ihren Vetter. "Mir war schon der Anblick der Baronin während ihrer Erkrankung hier nur schwer erträglich. Hast Du allen Ernstes geglaubt, sie kehrt aus Perricum zurück und alles ist wieder wie früher? Um diesen buchstäblichen Wahnsinn auch nur halbwegs zu verarbeiten, braucht es vermutlich Monate, wenn nicht gar Jahre. Falls überhaupt. So gesehen schlägt sich unsere Herrin sogar ganz gut, denke ich. Da hilft es sicherlich, dass sie ein recht abgelegenes und dünn besiedeltes Lehen regiert, dessen Bewohner ihre Zwistigkeiten bevorzugt unter sich regeln und wohin sich kaum Fremde verirren. Da hat sie mehr Zeit für sich."

"Vielleicht wäre es aber umgekehrt genau besser", warf Norholt ein. "Vielleicht braucht Frau Elissa auch einfach nur eine konkrete Aufgabe. Eine, die sie fordert, weniger als Baronin sondern viel direkter, persönlicher."

"Da wird sie hier in Vellberg aber nur schwerlich fündig werden", erwiderte seine Base trocken.

"Abwarten. Der Bote, der heute Morgen hier war, brachte eine Nachricht von Burg Angareth, genauer gesagt von diesem Bärfried von Hardenstatt. Er bittet unsere Herrin darum, eine seiner Töchter als Pagin zu ihr senden zu dürfen. Höchst ungewöhnlich, ist die Frau Baronin doch keine Ritterin und daher nicht berechtigt-".

"Geschenkt. Für dieses Problem, das ohnehin erst in vielen Jahren akut würde, ließe sich gewiss eine Lösung finden. Aber Deine Idee dahinter gefällt mir, sehr sogar. Dann ist ja klar, was Du zu tun hast, wenn Du gleich zu ihr gehst. Und vermassele es nicht!"

"Na vielen Dank! Du hast leicht reden." Nach einer kurzen Pause fügte er nachdenklich hinzu: "Aber ja, einen Versuch ist es wert, nein, muss es wert sein."

"Auch wenn es Dir schwerfallen mag, dies zu akzeptieren, aber zuweilen muss man auch mal ein Risiko eingehen, lieber Norholt!"

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Nach einem heißen Bad hatte sich die Herrin zu Vellberg in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen, wo sie zuweilen stundenlang verblieb, ohne dass jemand zu sagen wüsste, was sie dort die ganze Zeit über tat.
Von Schwermut erfüllt, kreisten die Gedanken der Baronin, wie so oft, um die Ereignisse der letzten Monate, Warum hatte niemand den Verrat des Kochs kommen sehen - oder vielleicht gar nicht kommen sehen wollen? Ein lautes Klopfen an der Türe ließ die Adlige erschreckt zusammenzucken.
"Herein!", rief sie leicht genervt.

Norholt öffnete die Türe und verbeugte sich kurz, bevor er ohne Umschweife zum Anlass seiner Störung kam.
"Verzeiht mein Eindringen, Hochgeboren, aber während Eures Ausritts hat ein Bote eine Nachricht bei mir abgegeben. Sie stammt von Herrn Bärfried von Hardenstatt."
Der Kastellan trat einige Schritt vor und reichte der überrascht wirkenden Baronin das Schreiben.

Diese überflog die Zeilen rasch und gab die Depesche an ihren Verwalter zurück.
"Verfasst eine Antwort an Herrn Bärfried", begann die Adlige mit ausdrucksloser Stimme, "schreibt ihm, dass ich mich von seinem Angebot und Vertrauen sehr geehrt fühle, es aber aufgrund anderweitiger Verpflichtungen leider nicht annehmen kann. Lasst Euch da ein paar passende Formulierungen einfallen."

Unbewegt stand Norholt weiter im Zimmer und hob nach kurzem Räuspern wieder zu sprechen an.
"Mit Verlaub, Euer Hochgeboren, aber ich halte das für einen Fehler.", dabei insgeheim selbst ein wenig überrascht von seiner eigenen Courage.

Erstaunt blickte ihm seine Herrin in die Augen. Solch´ offenen Widerspruch hatte sie von ihrem Verwalter bisher noch nie zu hören bekommen.
"Ich fürchte, das müsst Ihr mir näher erklären. Setzt Euch."

Der Kastellan tat, wie ihm geheißen und fuhr, sichtlich nervös, fort.
"Um, äh, um ganz offen zu sein: Nehmt Herrn Bärfrieds Vorschlag an. Mir geht es hierbei nicht um irgendwelche Vorteile, die ein solcher Pagendienst der Familie Hardenstatt oder Euch brächte. Meine, wenn Ihr verzeiht, Sorge gilt Euch, Euer Hochgeboren. Ich denke, Ihr braucht eine neue Aufgabe; eine, die nicht mit der Routine der Lehensverwaltung zusammenhängt. Eine, die jeden Tag anders ist und auf ihre Art gewisslich auch sehr fordernd. Eine, die Euch dabei helfen mag, die dunklen Gedanken wenn schon nicht zu vertreiben, so doch zumindest ein gutes Stück zurückzudrängen, wenn ihr versteht, was ich meine."
Norholt atmete nach dieser Einlassung tief durch, bevor er zu einem Ende kam. "Ich hoffe, meine Worte waren nicht zu impertinent. Euch zu nahe zu treten, war nicht meine Absicht."

Die Baronin hatte mit ausdruckslosem Antlitz den Worten ihres Vogtes gelauscht und danach, zum zunehmenden Unbehagen ihres Besuchers, diesen eine geraume Weile schweigend regelrecht angestarrt, bis sie die fast schon bleierne Stille im Raum endlich durchbrach.
"Doch, Eure Worte waren impertinent und ganz sicher auch beabsichtigt." Nach einer weiteren, etwas kürzeren, Pause setzte sie hinzu: "Und Ihr habt mit dem, was Ihr sagtet, Recht. Zumindest glaube und hoffe ich das. Ein leichtes Lächeln umspielte nun die Lippen der Adligen, was den Kastellan sehr erstaunte, hatte er diese Art der Gefühlsregung doch schon sehr lange nicht mehr bei ihr gesehen.
"Ihr könnt nun gehen. Ich werde das Antwortschreiben selbst verfassen. Ach, noch etwas: Sollte sich das Kind als allzu ungestüm erweisen, so werde ich es Eurer Obhut überstellen, Norholt." Das feine Lächeln wirkte auf den irritierten Vogt nun deutlich hintersinniger als noch einen Augenblick zuvor.

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An den Hohen Herrn Bärfried von Hardenstatt

Ritter und Markgräflicher Leutnant
Derzeit weilend auf Burg Angareth
 
 
 
 
Geschätzter Herr Bärfried, Zunächst seid bedankt für Eure freundlichen Worte. Ich bin derzeit bei guter Gesundheit und hoffe, dass es Euch ähnlich geht. Leider lassen meine Pflichten es viel zu selten zu, dass ich mir einen Moment des Müßiggangs schenken kann, um den zweifelsohne wunderschönen Frühling zu genießen, so sehr mich dies auch grämt. Ich wünsche mir, dass es wenigstens Euch und den Euren vergönnt ist, zumindest ab und an für einen Moment innezuhalten und sich an Praios´ Sonnenschein zu erfreuen.

Des Weiteren möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Ihr Euch zwischenzeitlich gut in das Markgräfliche Heer eingewöhnt habt und Eure Position dort Euren Erwartungen entspricht.

Doch zum eigentlichen Inhalt Eurer Depesche. Es ehrt mich, dass Ihr mir Eure Tochter Jasina als Pagin anvertrauen wollt und bin nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen, Eurer Bitte zu entsprechen, dabei dessen eingedenk, was für eine große Verantwortung ich damit übernehmen werde. Seid versichert, dass Euer Kind auf Burg Mallvenstein gut untergebracht werden wird und dass ich dafür Sorge tragen werde, dass Jasina alles lernt, was für eine junge Dame von Stand unerlässlich ist - und noch weitaus mehr.
Die Details könnt Ihr oder Eure Gemahlin mit meinem Kastellan Norholt von Rickenberg klären. Besondere zeitliche Wünsche oder Ausschlüsse bestehen meinerseits derzeit nicht.

Es verbleibt mit tiefer Wertschätzung und den Segen der Zwölfe wünschend,
 
 
 
 
Elissa vom Berg
Baronin zu Vellberg

Geschrieben auf Burg Mallvenstein am 19. Ingerimm 1043 nach Bosparans Fall


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19. Ing 1043 BF
Eine unerwartete Gelegenheit
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Kapitel 2

Ein neuer Lebensabschnitt
Autor: Wallbrord