Geschichten:Eine Stadtgarde für Hahnendorf 2

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Mitte Rondra 1029 BF, irgendwo in der Nähe von Hahnendorf

Ayla von Hahnentritt flüchtete. Nicht vor Räubern, Dieben oder sonstigem Gesindel. Sie floh die Langeweile des Burglebens. Die Burgherrin von Burg Hahnenfels, die Edle Faduhenne von Corish-Graî war mit den Jahren immer launiger geworden. Als sie im Gefolge ihres Schwagers, des Barons Darulf vor einigen Götterläufen auf der Burg eingetroffen war, hatte sie wohl noch die Illusion, hier ein aufregendes Leben im Luxus leben zu können. Doch in Fremmelsfelde gab es nichts Aufregendes und Luxus schon gar nicht. Und so hatte sich die Edle Faduhenne darauf verlegt, die anderen Burgbewohner zu triezen. Ihre eigenen Kinder verschonte sie, doch Ayla war ihr liebstes Opfer. Als Schwester des Vogtes hatte sie auf der Burg zu leben und der Edlen Faduhenne als Gesellschafterin zu dienen.

Ayla hasste die Stunden, die sie mit der ältlichen Adligen verbringen musste. Langatmige Gespräche über die ach so schöne Zeit in der tobrischen Heimat Faduhennes, Beschwerden über das verpfuschte Leben mit einem verrückten Mann und einem geizigen Schwager – Ayla kannte all dies auswendig. Und sie ahnte, dass Faduhenne sie bereits in Gedanken mit ihrem jüngsten Sohn Olfwyll verheiratet hatte. Ayla hatte nichts gegen Olfwyll. Er war ein netter Kerl, aber mehr ein Bruder, kein ernsthafter Kandidat für den Traviabund. Doch Ayla hütete sich, der Edlen dies ins Gesicht zu sagen. Um des lieben Friedens willen, verkniff sie sich entsprechende Bemerkungen. Aber manchmal wurde es ihr doch zuviel - und dann floh sie, so wie jetzt.

Sie sattelte ihr Pferd und verließ eilig die Burg. Der Weg hinab zur Stadt war steil, doch Ayla kannte ihn seit ihrer Kindheit und konnte ihn beinahe blind herunterreiten. Kurz vor der Stadt zweigte ein Weg gen Süden ab, dem Ayla folgte. Ihr Bruder Brasibert hatte ihr zwar verboten, sich an der almadaner Grenze aufzuhalten, zu welcher der Pfad führte, doch Ayla liebte die Ruhe dieser Gegend. Politische Unruhen hatten auch ihr Gutes. Kaum jemand verirrte sich noch hierher, seit der Handel mit Almada zum Erliegen gekommen war. Als die Stadt hinter einem Hügel verschwunden war, ließ Ayla die Zügel locker und genoss die Ruhe des sonnigen Tages.

Plötzlich schrak sie auf. Sie war bereits ein gutes Stück von Hahnendorf entfernt, hinter dem nächsten Hügel lag bereits das Dorf Byderisch. Ayla hielt ihr Pferd an und schaute in die Runde, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. Sie schloss die Augen und lauschte eine Weile. Dann hörte sie es, zwischen dem Wind, der über die Hügel strich und dem Gezwitscher der Vögel war noch ein Geräusch - Pferdehufe. Jemand ritt langsam auf der abgelegenen Seite des Hügels auf sie zu. Instinktiv suchte Ayla nach einem Versteck. Rechts war in einiger Entfernung ein größeres Waldstück, doch dies war bereits auf almadaner Gebiet, wie sie wusste. Links waren nur die hügeligen Felder, auf denen aber noch kein Bauer zu sehen war. Blieb nur die Flucht zurück nach Hahnendorf. Doch dann besann sie sich. Es war nur ein Reiter. Was mochte der ihr schon anhaben? Auch wenn sie nur eine Frau war, so konnte sie doch recht passabel mit ihrem Schwert umgehen. Der alte Yantur von Gippelstein hatte damals streng darauf geachtet, dass nicht nur Brasibert eine entsprechende Ausbildung erhielt. Sie versicherte sich, dass ihr Schwert griffbereit war und wartete darauf, dass der Reiter über die Hügelkuppe kam.

Zäh flossen die Augenblicke, bis der Reiter die Spitze des Hügels erreicht hatte. Als Ayla dann des Reiters gewahr wurde, erschrak sie doch. Sie hatte mit allem möglichen gerechnet, aber nicht mit einem vermummten Tulamiden. Der Fremde saß auf einem schwarzen Pferd, trug einfache schwarze Kleidung, einen Umhang der selben Farbe und einen entsprechenden Turban, der nur die Augen frei lies. Ayla erkannte zwei Schwertgriffe, die hinter seinen Schultern empor standen.

Langsam ritt der Fremde näher. Ayla spürte Panik in sich aufsteigen und rang erneut mit sich, ob sie nicht doch besser die Flucht ergreifen sollte. Doch sie zweifelte, dass sie dem Fremden entkommen konnte. Sie biss die Zähne zusammen und ritt dem Fremden langsam entgegen. Als sie auf Rufweite heran war, begrüßte sie ihn, "Die Zwölfe zum Gruße, Fremder."

Der Vermummte schaute sie einen Moment lang an. Sie bemerkte seine blauen Augen, die, so wusste sie, für einen Tulamiden untypisch waren. Dann senkte er den Kopf leicht zum Gruß, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.

"Was führt Euch in diese Gegend?", fragte Ayla.

Der Fremde antwortete nicht.

"Habt ihr Angst vor einer einzelnen Frau?", Ayla versuchte, ihrer Stimme einen ironischen Ton zu geben, auch wenn sie vor Angst kaum sprechen konnte.

Der Fremde straffte sich, "Nein. Verzeiht meine Unhöflichkeit. Ich bin in Familienangelegenheiten in dieser Gegend.", antwortete er ohne einen Akzent, wie Ayla verwundert feststellte.

"Soso, Familienangelegenheiten. Ich glaube nicht, dass Tulamiden in dieser Baronie wohnen", antwortete Ayla, weitaus beruhigter, nachdem sie seine Stimme gehört hatte. Sie konnte es sich nicht erklären, aber seine Stimme machte ihn ihr sofort sympathisch.

Der Fremde zog den Teil des Turbans, der die untere Gesichtshälfte bedeckte zur Seite. Erstaunt blickte Ayla in das freundliche Gesicht eines Mannes in ihrem Alter. Sie konnte zwar seine Haare nicht sehen, doch das Gesicht schien ihr wenig tulamidisch zu sein.

"Wer sagt, dass ich Tulamiden suche?", fragte er lächelnd.

"Nun, eure Kleidung…", begann Ayla und verstummte.

"Schließt ihr immer vom Äußeren auf den Menschen?"

Ayla verdrehte die Augen, "Natürlich nicht. Nun seit so gut und verratet mir Euren Namen, damit wir uns wie zivilisierte Menschen unterhalten können."

Der Fremde lächelte noch immer, "Dann wird wohl nichts aus einem zivilisierten Gespräch."

Ayla runzelte die Stirn, "Ihr weigert Euch, Euren Namen zu nennen? Habt ihr etwas zu verbergen?". Instinktiv zuckte ihre Hand zum Griff des Schwertes.

Ihr Gegenüber lachte auf, "Nein, aber meine Familienangelegenheiten verlangen ein wenig Diskretion."

Ayla wollte aufbrausen, als der Fremde sie unterbrach, "Aber sagt, bevor ihr mich mit Eurem Schwert in Stücke haut, kennt ihr einen gewissen Yantur? Er könnte einst Krieger gewesen sein, ist aber sicher schon recht alt..."

Aylas Wut verrauchte augenblicklich. Ein alter Krieger namens Yantur? Der Fremde suchte den alten Gippelsteiner? Ihren alten Lehrmeister? In Familienangelegenheiten?

"Ich fürchte, dann habe ich eine schlechte Nachricht für Euch. Der alte Yantur ist bereits seit fast 10 Götterläufen tot."

Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Fremden. Er senkte den Kopf und schien ein leises Gebet zu murmeln. "Könnt ihr mir sagen, wo er begraben liegt?", fragte der Fremde ernst.

Ayla nickte, "Auf dem Boronanger in Hahnendorf." Sie verschwieg, dass dort nur ein Gedenkstein stand. Viel war noch Yantur nicht übrig geblieben, nachdem er in dem Flammen auf Burg Gippelstein ums Leben gekommen war. Wo dessen Knochen lagen, wusste sie nicht genau. Ihr Bruder Brasibert hatte sich damals um alles gekümmert.

"Ich danke Euch", der Fremde schaute an ihr vorbei.

"Es tut mir leid. In welcher Beziehung standet ihr zu Yantur?", fragte sie und biss sich sofort wegen ihrer unangebrachten Neugier auf die Lippen.

Der Fremde schüttelte den Kopf, "Es tut mir leid, erneut unhöflich sein zu müssen." Er verhüllte sein Gesicht erneut. Dann schnalzte er mit der Zunge, gab seinem Pferd die Sporen und ritt gen Hahnendorf davon.

Nachdenklich schaute Ayla ihm nach. Der alte Yantur hatte keine Familie. Er war der Letzte der Gippelsteiner. Sein Besitz und sein Titel waren an ihren Bruder Brasibert als nächsten lebenden Verwandten gefallen. Was also sollte der Fremde für Familienangelegenheiten zu klären haben? Ayla wendete ihr Pferd und ritt ebenfalls zurück nach Hahnendorf. Diese Neuigkeiten musste Brasibert unbedingt erfahren.


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Texte der Hauptreihe:
15. Ron 1029 BF
Kapitel 2
Kapitel 1


Kapitel 2

Kapitel 3
Autor: Goswin