Geschichten:Eine Gruft für Odilbert - Später Besuch auf Hutt

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Die Kutsche traf bereits weit nach dem Untergang der goldenen Praiosscheibe vor der alten Burg Hutt ein. Flackernd warfen die Kerzen in den Laternen ihr gelbes Licht zu Boden, ließen seltsame Schatten an der nahen Bäumen tanzen. Der Duft des Frühlings fand seinen Weg durch das geöffnete Fenster hinein in das Innere des Wagens. Drinnen saß der frisch ernannte Reichsvogt zu Sertis aufgeregt und mit schwitzenden Händen. Dieses war sein erstes offizielles Treffen mit seinem Onkel Sighart von Hartsteen, der noch voll die Tugenden und Wertvorstellungen der alten Hartsteenfamilie verkörperte. Das letzte hatte Hilbert ihn gesehen... er versuchte sich zu erinnern, richtig, da konnte er gerade erst sein Schwert halten.

Sein Vater, Odilbert von Hartsteen, hatte ihn nach jenen Wirren der Answinkrise mithinaus genommen in die Baronie Hutt, wo dessen Bruder als Familienoberhaupt über das einhalten der alten Ritterlichen Tugenden wachte. Hilbert erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen, mit welchem strengen Blick er seinen, zugegebenermaßen, rotzfrechen Neffen betrachtet hatte, der Blick sagte so viel wie: Und er soll wissen, wo er herkommt? Wenig hatte sein Oheim mit ihm gesprochen, dafür umso mehr mit seinem Bruder. Diejenigen Worte, die der Baron zu Hutt jedoch zu Hilbert gesprochen hatte, waren in seinem Herz aufgehoben worden. Von der Ehre der ersten Hartsteens hatte er erzählt, von den vielen Grafen von Hartsteen, dabei war ein bitterer Zug um sein Mund erschienen und über darüber, dass daeinst wieder Hartsteens in Hartsteens herrschen werden.

Mit wenigen Worten hatte sich der Baron zu Hutt entschuldigt nicht zur Lehensvergabe kommen zu können, und stattdessen den neuen Reichsvogt zu Sertis mehr zu sich befohlen als eingeladen. Deswegen hatte er sich auch direkt aus Puleth aus hergemacht, seinen Nachbarn eine Absage erteilen müssen und sie stattdessen zu einer kleinen Feier nach Sertis eingeladen, sobald er zurück in Waldstein war. Doch daran dachte Hilbert nun überhaupt nicht mehr. Mit allen Fasern seines Körpers fühlte er es, hier war er zuhause, hier schlug das Herz der Hartsteens.

Der Diener vertröstete Hilbert auf den nächsten Morgen, er solle sich zu Bett begeben, sein Oheim wäre schon zu Bett und wünsche ihn morgen zur elften Morgenstunde in seinen Gemächern sprechen. Seufzend gab Hilbert letzte Anweisungen an seine Begleiter, seinen tulamidischen Medicus und seinen Leibdiener, sowie an den Kutscher, und legte sich schlafen. Diese Nacht schlief er unter einem überlebensgroßen Portrait von Ismelde Madatreu Hartsteen, einem sehr alten Bild der ersten Hartsteen, die wenige Jahre nach der Bezwingung Bosparans eine reiche und angesehene Dynastie von Garetischen Grafen gründete. Er wurde das Gefühl nicht los, dass der Blick seiner Urahnin erwartend auf ihm lag.

In den frühen Morgenstunden wurde er von seinem Medicus geweckt, der ihn zu seinen morgendlichen Übungen drang. Mit wenig Lust brachte Hilbert diese Pflichtlektion hinter sich, und erfrischte sich mit kaltem Wasser, dass die Diener ihm aus dem Brunnen der Burg geholt hatten. Das Frühstück bestand aus einem einfachen frischen Brot mit Butter und Salz, sowie einem Krug kühlen Wassers.

Frisch gestärkt machte er sich zur verabredeten Stunde auf zu seinem Oheim. Der Baron, ein Mann Anfang sechzig mit kurzem, weißen Haar und einem sehr durchtrainiertem Körper, empfang ihn schweigend und musterte Hilbert einige Momente sehr eindringlich. Mehr und mehr fühlte sich Hilbert unbehaglich und wollte schon etwas zu seiner Verteidigung sagen, obwohl er nicht wußte, was sein Onkel ihm vorwerfen könnte. Schließlich trat der alte Baron auf seinen Neffen zu und umarmte ihn. Irgendwie fühlt er sich sehr kalt und hart an, schoß es Hilbert durch den Kopf.

"Sei willkommen, Hilbert von Hartsteen zu Sertis, Sohn meines geschätzten Bruders. Verzeih einem alten Manne, dass er den langen und beschwerlichen Weg zu einer Kurzweyl nach Puleth nicht auf sich genommen hat. Wir hatten noch dringende Geschäfte zu erledigen."

"Aber selbstverständlich, Dero Hochgeboren..." murmelte Hilbert.

"Ich habe Dich kommen lassen, um mit Dir über Unsere Zukunft zu reden. Als ich Dich das letzte Mal sah, warst Du ein kleiner Bengel, ohne Sinn für die Familientradition, ebenso wie Deine Schwester..." den letzten Nachsatz fügte er lauernd hinzu.

"Hochgeboren,Lydia Yasmina hat ihren eigenen Weg gefunden, einen zu ihr besser passenden..."

"Doch was weiß Sie schon von den Wegen der Hartsteen! Inbrünstig hoffen Wir, dass Du besser weißt, was es heißt, ein Nachfahre der großen Ismelde Madatreu zu sein. Wir haben ihr Gemälde übrigens extra über Dein Bett gehängt, damit Du sie Dir genau einprägen konntest. Was trug sie in ihrer rechten Hand?" Hilbert fühlte sich regelrecht überrumpelt.

"Den Hartsteen..." ratete er mehr, als dass er es wußte. Er konnte sich lediglich an die festen und harten Augen seiner Urahnin erinnern. Doch sein Oheim wurde mit einem Mal ruhiger, es schien beinahe so, als würde er lächeln.

"Ja Hilbert, Ihr seid ein richtiger Hartsteen und Eurem Vater würdig." Der Baron trat ein paar Schritte zurück und deutete Hilbert sich zu setzen. "Das erste, was Wir von Euch erbitten, ist die Verlegung der sterblichen Überreste Eures Vaters Odilbert von Hartsteen in die Familiengruft."

Hörbar sog Hilbert die Luft ein. Die "Familiengruft" war jenes Mausoleum, in dem alle Grafen und Vorfahren der Hartsteens in Ruhe lagen. Diese Gruft war seit nun fast hundert Jahren in Besitz der Quintian-Quandts, und seitdem war dort kein Hartsteen mehr beerdigt worden. Die Grafen hatten es nicht erlaubt den Hartsteens dort ihre Familienangehörigen zu bestatten. Was sein Onkel von ihm forderte, grenzte an eine Unmöglichkeit.

"Hochgeboren, verzeiht, aber wie soll ich das..."

"Tu es einfach!" fuhr ihm schneidend sein Onkel ins Wort. "Am besten fange heute damit an. Du darfst jetzt gehen!" Mit diesen Worten griff er nach einem Stoß Papiere und ignorierte seinen Neffen. Eine leise Verabschiedung murmelnd verließ der Reichsvogt das Zimmer seines Oheims. Eine lange und anstrengende Fahrt wartete auf ihn.