Geschichten:Ein letzter Wunsch - In meinen Tempel

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Mit provisorischen Tragen waren ein paar kräftige Mädel und Burschen aus dem Dorf herbeigeeilt. Mutter Perjida kniete bei den beiden ausgemergelten Gestalten und versuchte ihnen Wasser einzuflößen. Den Reiter hatte sie auf seinen Mantel gebettet und ihm den Hut so zurechtgerückt, dass sein Gesicht im Schatten lag. Nicht mehr im Schatten hingegen lag sein Ornat: In so schlechtem Zustand ist die Heilige Inquisition seit der Erstürmung Jilaskans nicht mehr gewesen.

„O lala“, schnalzte das erste Mädel, als es am Ort des Geschehens ankam. „Ein Praiospfaffe.“

„Schlimmär, äin Inquisitor“, ergänzte ein Geselle mit nebachotischem Zungenschlag.

„Am schlimmsten“, begrüßte Perjida die Helfer. „Ich kenne den Mann, auch wenn er selten hier ist, seit die Familie die Burg verloren hat: Das ist ein Spangenberg.“

Perjida und Zarahja koordinierten die Verlegung der Erschöpften vom Weinberg ins Dorf.

„In den Tempel!“, kommandierte Zarahja.

„In wälchän?“, fragte der Geselle.

„In meinen“, antworteten Perjida und Zarahja gleichzeitig. Und funkelten sich danach zornig an. Nach kurzem Schweigen nickte die Jüngere nachgiebig: „In den Peraine-Tempel. Bei mir ist es zwar schöner, aber da können die Herren ja später hin, wenn die Allwissende sie gesund gemacht hat.“

„Die Allwissende?“, fragte ein Gürtler aus der Menge der Schaulustigen tumb nach.

„Na Peraine – die Tochter von Praios und Hesinde!“, schnaubte Zarahja und verschwand im Rahja-Tempel, der von einem immerblühenden Kirschbaum überwölbt wurde und der ganze Stolz am Dorfplatz war. Wenn man vom Tempel der gütigen Mutter Peraine absah, dessen Portal noch aus der Zeit der Giganten zu stammen schien und dessen Bedeutung für den Weinanbau Gerbentals nicht zu unterschätzen war.

„Sollen wir sie wirklich zusammen in das Spital legen?“, wollte ein weiterer Helfer wissen.

„Wieso?“, wunderte sich Perjida, die schon angefangen hatte, Tiegel mit Salbe gegen den Sonnenbrand, Stärkungsmittel, Salze gegen die Wassernot der Männer und frische Laken zusammensuchte.

„Na, wenn das der ‚kalte Hirte‘ ist, wie Ihr sagt, dann ist da wohl sein Schäfchen. Hm?“ Der Mann kratzte sich das stoppelige Kinn.

„Und?“ Perjida wusch mit einem feuchten Lappen über das Gesicht des Inquisitors.

„Na. Ketzer oder so?“ Die Stimme des Mannes hob sich unsicher am Satzende.

„Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, schaltete sich Zarahja ein, die nun den als Spital genutzten Nebenraum des Peraine-Tempels betrat. Sie hatte in einem Beutel ebenfalls viel Zeug herbeigeschafft, um den Männern beizustehen. „Der Graubart da war ja des Inquisitors Gefangener. Inquisitoren nehmen keine Leute zum Spaß in Gewahrsam. Das muss ein gefährlicher Mann sein.“

„Gefährlich?“ Perjida widersprach nur aus Gewohnheit. „Jetzt jedenfalls nicht mehr, so schwach wie der ist. Und guck dir den Spangenberg doch an: dürr, alt und kraftlos. Wie soll der denn einen Ketzer von der Statur dieses Kerls da gefangen nehmen?“

„Das wissen wir nicht“, grunzte Zarahja, die Spangenbergs Stiefel abstreifte, aus denen ein Geruch wie aus einer Raschtulswaller Aashöhle quoll. „Das müssen wir fragen.“