Geschichten:Ein kleines Opfer für eine große Sache

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In den Kellergewölben eines vermeintlich leerstehenden Lagerhauses im Hafen der Reichsstadt hatten sich die Diener des einzig wahren Gottes getroffen, um der Weihe eines neues Gläubigen beizuwohnen. Der Raum wurde durch mehrere Feuerschalen in ein unruhiges Licht getaucht, was die hier Versammelten allerdings nicht zu stören schien. Diese hatten links und rechts eines Altars, auf dem die goldene Statuette eines sich gerade erhebenden gesichtslosen Mannes stand, Aufstellung genommen, jeweils ein halbes Dutzend Frauen und Männer an der Zahl. Sie alle trugen unauffällige Kleidung, mit der sie ebenso unauffällig an diesen Ort gelangt waren. Das einzig Besondere an ihnen waren die goldenen Masken, die sie bei ihrer Ankunft angelegt hatten . Schweigend warteten die Gläubigen auf die Ankunft der Hohepriesterin, die sie hierher gerufen hatte.
Wenig später betrat durch eine Seitentür beinahe geräuschlos eine offenkundig ältere Frau den Raum, eine große irdene Schale und einen seltsam gezackten Doch mit purpurner Klinge in den Händen haltend und trat vor den Schrein. Sie war in eine purpurne Tunika gekleidet, die mit verschiedenen heiligen Symbolen des Herrn der Welt verziert war. Durch die Sandalen konnte man sehen, das ihr der rechte große Zeh fehlte. Die Priesterin trug ebenfalls eine goldene Maske, deren Augenöffnungen im Gegensatz zu den anderen rund und relativ groß waren. Bedächtig, fast schon ehrfürchtig stellte sie Dolch und Schale, letztere ebenfalls mit den Zeichen des Gottes verziert, beiderseits der Statuette ab. Stumm blickte die Frau jeden der Anwesenden der Reihe nach an, so, als könnte sie mühelos die Gesichter hinter den Masken sehen. Dann nahm sie ihr rechtes Auge, welches offenkundig aus Glas war, aus seiner Höhle und legte es ebenfalls auf dem Altar ab, dabei die Gläubigen fest im Blick behaltend, bevor sie das Wort an diese richtete.
"Gelobt sei unser Herr, welcher dereinst wieder seinen rechtmäßigen Platz einnehmen und die verräterischen Zwölfe samt ihrer ketzerischen Diener in einem Meer aus Schmerz und Blut vergehen lassen wird. Ich habe euch hierher gerufen, auf dass wir einen neuen Diener des Güldenen in unseren Reihen aufnehmen. Als Beweis seiner unverbrüchlichen Treue zu unserem Herrn wird er mehr als nur ein Körperteil opfern, sondern etwas viel Edleres, Reineres und damit Zeugnis über seinen tiefen Glauben ablegen."

"Vater, warum sind wir hier? Ich mag es hier nicht. Und wo ist Mutter? Und schlafen will ich auch!", sprach der etwa fünfjährige Junge mit einer Mischung aus Neugier, Angst und Müdigkeit.
"Schsch, alles ist gut, mein Junge. Wir sind hier zu einem ganz besonderen Gottesdienst und alles wird sich dabei um Dich drehen. All die Menschen, die nebenan warten, freuen sich darauf, dich zu sehen. Du bist nämlich etwas ganz Besonderes. Und bald wirst Du auch schlafen können und zu einem wunderbaren Ort reisen; es dauert nicht mehr lang, versprochen."
"Ohhh, die sind alle wegen mir hier? Das ist toll, das gefällt mir" jauchzte das Kind nun fröhlich und voller Vorfreude.
Das Ende eines Chorals signalisierte dem Mann, dass es nun an der Zeit für das Ritual war. Er legte nun ebenfalls eine goldene Maske an und nahm seinen Sohn an die Hand. "Du siehst lustig aus mit dieser Maske. Krieg´ ich auch so eine?"
"Nein", antwortete der Angesprochene sanft, "denn Dich soll jeder sehen. Du bist doch die Hauptperson."
Gemeinsam schritten sie in den Versammlungsraum und traten vor den Schrein . Der Junge konnte sich dabei ein Kichern nicht verkneifen. Das sah doch wirklich zu lustig aus: Die Masken, die komische Figur mit dem gesichtslosen Mann, der hübsch schimmernde Dolch, die Schale mit den netten Verzierungen - das würde sicher ein großer Spaß!
"Bruder, Du hast Dich unserem Gott bereits verschrieben und erklärt, ihm einen Teil Deines Leibes zu opfern.", sprach die Hohepriesterin mit klarer und erstaunlich weittragender Stimme. "Nun willst Du dieses Glaubensbekenntnis erneuern, zugleich Deine ewige Treue dem Herrn gegenüber unter Beweis stellen und Deinen Brüdern und Schwestern dadurch ein leuchtendes Beispiel geben. So frage ich Dich ein letztes Mal: Bist Du bereit, dem Güldenen ein Opfer darzubringen, wie es größer kaum sein kann, ihm allein zum Wohlgefallen?"
"Ja, das will und das werde ich!", antwortete der Mann mit entschlossener Stimme und festem Blick auf die Priesterin.
'Fein', ging es dem Kind durch den Kopf, 'dieser Gottesdienst ist ja viel schöner als die, welche ich bisher mit Mutter besucht habe! Warum können die nicht auch so toll sein? Vielleicht sollte ich Mutter das mal vorschlagen.'
Der Mann nahm den purpurnen Dolch und die Schale vom Altar und brachte ohne zu zögern sein Opfer dar.

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Alinde von Zweifelfels war immer noch wie gelähmt, vollkommen unfähig, sich zu rühren. Ihr kleiner Sohn, die Sonne ihres Lebens, Waldemar Leuwyn - tot!
"Wie, wie ist es geschehen, Ugdalf, weiß man schon genaueres?"
"Leider nein, Liebste. Außer der Tatsache, dass unser Sohn Opfer eines grausamen Verbrechens wurde, ist über die Hintergründe dieser entsetzlichen Tat noch nichts weiter bekannt. Doch sei versichert, ich werde der Stadtwache schon Feuer unter dem Hintern machen und wenn ich dafür bis zum Markgrafen gehen muss. Und dann werden wir auch herausfinden, was seine Amme mit alledem zu tun hat. Ist doch seltsam: Während Du friedlich in Deinem Bette liegst und ich in der Kaserne bis tief in die Nacht arbeite, verschwindet unser Erbe und sein Kindermädchen gleich mit. Was hatte das Weib Jadwiga zu so später Stunde mit dem Jungen in der Stadt zu suchen? Es wäre jedenfalls besser für sie, wenn sie mir nicht in die Hände fiele, zumindest nicht lebend; ich wüsste nicht, was -"
"Ich will ihn sehen. Nein, ich muss ihn sehen, Ugdalf. Alles andere überlasse ich Dir."
"Ich muss Dich warnen, Alinde, der Anblick seines kleinen Körpers könnte zuviel für Dich sein. Ich selbst habe ihn auch nur schwer ertragen können."
"Das ist mir egal. Ich will Abschied von unserem kleinen Waldemar nehmen und mit eigenen Augen sehen, was diese Bestie in Menschengestalt ihm angetan hat"
Wenig später verließ das Paar das Hauptquartier der Stadtwache, in dessem kühlen Kellergewölbe man die Leiche des kleinen Jungen nach deren Auffinden gebracht hatte. Ugdalf musste seine kreidebleiche Gemahlin stützen, die der Anblick des toten Körpers völlig aus der Fassung gebracht hatte.
"Die Kehle aufgeschlitzt, völlig blutleer - was für Bestien tun sowas? Ugdalf, versprich, nein, schwöre mir, dass du nicht ruhen wirst, bis du die Schuldigen gefunden hast! Ich will ihnen das, was sie unserem Sohn angetan haben, vielfach vergelten."
"Diesen Schwur leiste ich mit Freuden, Alinde; beim güldenen Glanze des Götterfürsten, so soll es geschehen!"