Geschichten:Ein Held kehrt Heim - Eine Witwe berichtet

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Baronie Brendiltal, Gut Besh hassal Ammay shar (Haus des Herrn der Pferde), Privatgemächer des Patriachen der Familie Brendiltal

Dramatis Personae


Steifbeinig hatte Eslam Caihyn und Lyn über den großen Innenhof mit dem Brunnen der badenden Rahja, die von neun springenden Panthern bewacht wird ins Innere des Palas geführt. Der Bannerherr der Nebachoten schien dabei das Gewicht von 1.000 Stein auf dem Rücken zu tragen.

Weiter führte er die beiden Heimkehrenden durch die große Eingangshalle, in dessen Mitte ein weiterer, diesmal kleinerer und verspielterer Brunnen im Boden eingelassen war und von dem aus Zwölf kleine und schmäle Kanäle, eher Rinnsale bis zu den Wänden verliefen, über die man bequem schreiten konnte, um dann im Boden zu verschwinden. Bis hin zu den privaten Gemächern Eslams, schwiegen alle drei, die lediglich von Gawain han Fir’enock, der in würdigem Abstand folgte, begleitet wurden.

Derweilen wurde Ra’oul han Beshir’a Danal unter Anleitung von Bruder Thurbold in einem Raum aufgebahrt der offen zum Garten des Gutes lag, so als wolle man dem Gefallenen noch einmal einen schönen Ausblick schenken.


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„Wie ist är ge‘storbän?“ Fragte Eslam der am Fenster eines Raumes seiner privaten Räumlichkeiten stand und hinaus auf die Landschaft Brendiltals blickte. Seine Hände hielt er hinter seinem Rücken verschränkt, während er seine Waffen ebenso wie seinen Helm unachtsam auf dem großen Tisch abgelegt hatte, in dessen Mitte eine übergroße Obstschale mit den unterschiedlichsten Früchten stand. Lyn ni Niamad von Brendiltal, die Witwe des verstorbenen Ra’ouls von Brendiltal war in diesem Räumlichkeiten mit ihrem Schwiegervater und ihrem Sohn, der in einer Ecke auf mehreren dicken Kissen saß und mit leerem Blick den Säbel seins Vater hielt, allein. Gawain war draußen im Gang geblieben.

Lyn war neben ihm getreten um die Unterhaltung in ruhigem Tonfall führen zu können. „Er starb als Held Albernias.“ Waren ihre leisen aber kraftvollen Worte die durch die Tatsache, dass in diesem Moment zwei Ritter der Krone nicht von Ra’ouls Leichnam wichen, untermalt wurden.

Bei dem Wort ‚Albernia‘ zuckten Eslams Augen kurz, was alles an Reaktion von ihm war, so dass er Lyn Gelegenheit gab, weiter fortzufahren, denn dass ihm diese Antwort nicht ausreichte, war offensichtlich. Lyn sammelte sich kurz und warf dabei einen Blick zu Caihyn. Er hatte nun schon von einigen gehört was vorgefallen war und es bis heute nicht verstanden. Und wenn er sie ansah, glaubte sie in seinem Blick Schuldzuweisungen zu sehen. Sie hoffte dass Eslam es besser verstehen würde und fuhr fort. „Er starb in einem Duell, wissend, dass dieser Kampf sein letzter sein würde. Sein Gegner, der ehemalige Graf von Bredenhag hatte sich mit einer finsteren Fee eingelassen und die einzige Waffe die ihn verletzten konnte, war ein zweischneidiges Schwert. Ra’oul wusste, dass er sterben müsste um den Bredenhager zu töten und war bereit, dieses Opfer zu bringen.“ Lyn machte eine kurze Pause um Eslam die Nachricht verarbeiten zu lassen.

Dieser wand sich nun Lyn zu. Seinem Gesicht war anzusehen, dass er nicht ganz verstand. „Duäll? Graf? Fään? Opfär?“ Klang dies noch verwirrt, so wurde sein weiterer Tonfalls drohender, ja knurrender. „Erzähl gänau! Wär hat mainän Suohn getete? Ihn där 32 Männer im Duäll besiegtä? Wälchär Gruaf nännt sich Gruaf däs Raiches und maint damit läbend wegzukuommän? Wuas hat äs mit diesän Fään auf sich, dänen ain Beshir’a Danal die Stirn bietän mußtä? Gab äs kainä albärnischän Ammayins die Muanns gänug warän? Mußtä ärst main Suohn kuommän und sich opfärn?“ Je länger Eslam sprach, desto lauter und aufgebrachter wurde er. „Warän sie allä zu faigä, odär habän sie ihn in dän Tod getriebän?“ Der Patriach war nun so aufgewühlt, dass er vor dem Fenster auf und ab lief. Lyn war nun klar, dass sie wesentlich weiter vorne anfangen wollte, wenn sie verhindern wollte, dass Eslam seine Krieger zusammenrufen und einen Rachefeldzug gegen Albernier führen würde.

„Es gab genug albernische Krieger die bereit waren, in den Tod zu gehen, doch war es der Wille der Götter, dass es Ra’oul sein sollte!“ Lyns Worte waren ein wenig lauter als beabsichtigt gesprochen, doch war es vielmehr der Schmerz als die Wut die aus ihr sprach. Ihre Finger umklammerten dabei das Fensterbrett und sie hielt dieses so stark fest, dass ihre Knöchel weiß wurden und der Schmerz ihrer Finger sie sich beruhigen lies. Dann trat sie vom Fenster weg auf Eslam zu. „Ich denke es ist besser, wenn ich von Anfang an berichte. Aber sei versichert, er hat auch sein 33. Duell gewonnen. Er hat sich bewusst und ehrenhaft für diesen Kampf entschieden, wissend dass er auch bei einem Sieg sterben würde.“

Der Baron von Brendiltal hielt nur kurz inne, bevor er seinen Weg auf und ab vor Lyn und dem Fenster fortführte.

Lyn warf noch einmal einem Blick auf Caihyn doch wirkte er nicht so, als würde er überhaupt bemerken, dass er nicht allein in diesem Raum war. Fast schon meditativ spielten seine Finger mit den Knoten der Lederschnüre die an dem Säbel seines Vaters befestigt waren. Dreiunddreißig an der Zahl, einer für jeden gewonnen Zweikampf.

Dann blickte sie Eslam an und begann zu berichten. „Gut, ich fange am Besten einfach von vorne an, damit Du verstehen kannst, wofür Ra’oul sein Leben ließ. Wir waren kaum in Albernia angekommen da erfuhren wir, dass ihre Erlaucht Idra ni Benain nach Bredenhag geladen hatte und auch, dass es wohl einige Kompetenzüberschreitungen und Probleme mit dem bredenhager Grafen gab. Da ich vermutete, dort auch meine Familie zu treffen, ritten Ra’oul und ich, nur begleitet von Gawain, voraus. Die restlichen Krieger und Caihyn folgten uns langsam und trafen 4 Tage nach uns dort ein. Angesichts dessen was dort vorfiel, danke ich auch den Göttern, dass Caihyn zu jenem Zeitpunkt nicht mit uns mitreiste. Als wir ankamen war schon ein Großteil der albernischen Barone und Adligen versammelt, auch meine Familie reiste an, wenn auch später und ohne meinen Vater, da er im Kampf gegen Söldner des Bredenhagers schwer verwundet worden war. Noch an jenem Abend enthob ihre Erlaucht den Grafen Jast Irian seines Amtes und ließ ihn wegen massiver Kompetenzüberschreitungen in den Kerker werfen. Am nächsten Tag sollte bei einem Bahir, so werden in meiner Heimat Versammlungen der Adligen genannt, geklärt werden, wer als Kandidat für das Grafenamt in Frage kommt. Und doch kam alles anders als geplant…“ Lyn brach kurz ab und ihr Blick wurde von Wut erfüllt als sie weitersprach.

Eslam schaute dabei immer wieder abwechselnd zu ihr und zur Wand vor sich. Seine Hände gingen dabei immer auf und zu, so als würden sie irgendetwas zum Strangulieren suchen. Doch hörte er noch zu, wie Lyn weiter fortfuhr.

„Wie gesagt, der ehemalige Graf hatte sich mit einer finsteren Fee eingelassen und mit ihrer Hilfe den Kerker verlassen. Und nicht nur dies. Zusammen mit unheilvollen dunklen Wesen, die allgemein nur als Schwarzbolde bezeichnet wurden, drangen der Bredenhager und die Fee in die Halle des Bahirs ein. Sie kämpften überderisch schnell und alle anwesenden Kronenritter gaben ihr Leben um ihre Erlaucht und Finian, unsere prinzliche Hoheit, zu schützen. Ehe noch jemand so recht reagieren konnte, waren sie auch schon wieder verschwunden, und mit ihnen der albernische Prinz. Nur höhnisch lagen noch die Worte in der Luft, dass nun damit auch die letzte Zutat für das Ritual, nämlich königliches Blut, erlangt worden sein. Doch damit nicht genug, ihre Erlaucht und der Baron Corvin von Niriansee waren in einem Kristall eingeschlossen. Während der darauffolgenden Stunden, in denen in den Gemächern des ehemaligen Grafen und in den Kammern der von ihm angestellten Schwarzmagierin nach Hinweisen gesucht, und mit den Söldnern verhandelt wurde, die die Burg belagert hielten, kam es immer wieder zu Angriffen dieser magischen Kreaturen. Sie tauchten aus dem Nichts auf, waren überderisch schnell und hielten mehr aus als so manch gestandener Krieger in schwerer Rüstung. Dazu starben sie nicht, sondern sie vergingen einfach. Parallel dazu tauchten auf der Burg auch noch Feenwesen auf, die sich nicht erklären konnten, wie sie in unsere Welt gelang waren. Du musst wissen, in Albernia gibt es Feentore, die die Welt der Feen mit unserer verbinden. Doch waren diese Wesen nicht durch solche Tore gekommen, sondern wohl durch Risse zwischen den Welten.“

Sie stockte kurz und sah Eslam an. Sie wusste, wie schwer dies für Außenstehende zu verstehen war und wie schwer es selbst für Ra’oul gewesen war dies zu verstehen, obwohl er direkt dabei war.

Immer wieder ging dabei der Blick des Barons zu seinem auf dem Tisch liegenden Säbel. Was sollte all dieses Gerede von Feen und wie auch immer aussehenden Unholden mit dem Tod seines Sohnes zu tun haben? „Pah!“ Knurrte er schließlich und hielt inne, als er gerade am anderen Ende des Raumes stand. „Du willst mir sagän, duass main Sohn vuon ainär Fää ermordet wurdä? Hälst Du mich für einen komplätten Äsel, duass ich dass glaubän suoll?“ Eslams Blick wanderte von Lyn zum Boden des Raumes, dann zur Decke, dann wieder zum Tisch. Dabei fing er wieder an wie eine angeschlagene Raubkatze durch das Zimmer zu laufen.

Sie seufzte und fuhr fort „Nein, er ist nicht von einer Fee ermordet worden. Zumindest nicht direkt. Ich kann Dir, wenn Du möchtest später noch mehr darüber berichten, aber ich will versuchen es jetzt kurz und knapp zu halten. Es wurden Aufzeichnungen und eine Apparatur gefunden die es uns ermöglichen würde, direkt zu dieser finsteren Fee zu reisen aber noch bevor es dazu kam hatten wir alle, die wir anwesend waren, eine finstere Vision. Wir…“ sie stockt und schüttelt leicht den Kopf „…wir sahen, was passieren würde, würde wir der Fee nichts entgegenstellen. Es tauchten überall um uns schwarze Schatten auf und ein jeder den sie berührten war auf der Stelle tot. Ra’oul… diese Schatten waren bei ihm ehe sie mich trafen und ich fühlte mich, als würde mir das Herz bei lebendigem Leibe herausgerissen, als ich ihn tot zu Boden sinken sah. Meine letzten Gedanken galten unseren Kindern…“ Lyns Stimme war bei diesen Worten leise geworden und in ihren Augen war das Grauen zu lesen, was sie in der Vision sah.

Sie schwieg einen kurzen Moment dann fuhr sie wieder in normaler Lautstärke fort. „Wie ich sagte, war dies, den Göttern sei Dank, nur eine Vision und als wir daraus erwachten war die Fee Gundel unter uns. Sie ist nicht so machtvoll wie die Herrin des Farindelwaldes doch auch eine der mächtigen Feen Albernias. Teile ihres Waldes liegen in der Baronie meines Vaters. Gundel konnte uns mehr berichten, nämlich dass Jast Irian einen Pakt mit der finsteren Fee geschlossen hatte und das letzte Ritual kurz bevorstand. Sollte dieses Ritual gelingen, würden die Schatten nicht nur die Feenwelt verwüsten sondern auch die unsere. Und sie sagte uns auch, wie wir dies verhindern könnten. Sie zeigte uns allen den Weg in die Feenwelt um dort die einzige Waffe zu erhalten, die mächtig genug war, dies alles zu verhindern.“

Sie schaute Eslam - der aufgebracht und voller Schmerz vor ihr stehen geblieben war - in die Augen und berichtet weiter „Ja, fast der komplette albernische Adel ging den Weg in die Feenwelt und auch Ra’oul begleitete mich. Es war unbeschreiblich friedlich zu Anfang, doch auch dort kam es immer wieder zu Kämpfen mit den Schwarzbolden. Kurz gefasst, ja, wir erhielten das Schwert, nach dem wir suchten und Gundel wies uns den Weg zurück in unsere Welt. Doch gab sie uns auch eine Warnung mit auf den Weg. Sie sagte uns, dass das Schwert Opfer verlangen würde, von demjenigen der es führte. Sie machte uns deutlich, dass jeder Hieb den das Schwert austeilte, seinen Träger ebenso verletzten würde.“ Lyn suchte weiterhin den Augenkontakt zu Eslam um festzustellen, ob er wirklich verstand was dies bedeutete. Und Eslam verstand dies. Er verstand es nur zu gut, genauso wie Ra’oul vor wenigen Monden ebenso. „Und kainär von diesän Radschaks (Schweinehirten) war Muanns gänug diesä Wufää zu ärgraifän.“

Voller Schmerz über den Verlust des geliebten und verlässlichen Sohnes bis hin zum Zorn über die eigene Machtlosigkeit in diesem Fall warf Eslam sich schließlich herum und schlug mit einem bestialischen Aufschrei mit beiden Fäusen auf den Tisch hinter sich, wo er zunächst mit gesenktem Kopf und schwer atmend stehen blieb. Sofort wurde die Tür aufgerissen und Gawain stand mit gezogenem Säbel in der Tür. Lyn blickte entsetzt zu Eslam und dann erschrocken zu ihrem stummen Schatten.

Eslam, noch immer nicht beruhig sah den Krieger nur wutverzerrt an. Aus seinen Augen funkelte geradezu der Zorn und die Trauer über den erlittenen Verlust. „RAUS!“ Brüllte Eslam Gawain entgegen „RAUS! ODÄR ISCH LASSÄ DICH VIERTAILÄN!“

Als Gawain jedoch nur stehen blieb und fragend Lyn ansah, hastete Eslam bereits nach seinem eigenen Säbel.

Lyn war bestürzt über das was sie sah. Sicher, Ra’oul hatte in seinem Brief an sie geschrieben, dass Gawain ihr und den Kindern von nun an als Leibwächter dienen würde, doch dass dies auch soweit gehen sollte, dass er sich dabei gegen Eslam wenden würde, war ihr nicht bewusst gewesen. Und jetzt? Sollte sie zusehen, wie Eslam ihn erschlug? Nur weil er den letzten Willen Ra’ouls ausführte? Sie wollte schon mit entsetztem Blick und voller Angst dazwischen gehen, als ihr Caihyn zuvor kam.

Der Junge der noch bis eben fast teilnahmslos daneben saß, war nun aufgesprungen und stand laut schreiend zwischen den Männern, so dass Eslam inne hielt und fragend den Jungen anblickte. Als dieser schließlich inne hielt, nutzte Lyn die Gelegenheit und ergriff Gawain am Arm. Mit einer Geste deutete sie ihm an, dass alles in Ordnung sei und er draußen warten sollte. Zögerte er zunächst noch, gehorchte er ihr dann schließlich doch. Lyn konnte sich so neben ihrem Sohn stellen und die Hand um diesen legen und in ihrer Ausführung fortfahren, während Eslam noch mit gezücktem Säbel vor ihnen stand.

Immer noch aufgebracht von dem Vorfall schleuderte sie ihm die nächsten Worte entgegen „Nein, Eslam. Es war nicht nur Ra’oul der bereit war, dieses Opfer zu bringen. Acht albernische Streiter, darunter Barone, Edle und Ritter wollten die Ehre dieses Kampfes neben Ra‘oul für sich beanspruchen.“ Sie brach ab als sie an diesen Moment dachte. Die tiefe Liebe die sie verband und die schreckliche Vorahnung die sie in jenem Moment überkam. Leise fuhr sie fort „Er hatte verstanden, worum es ging. Darum, die schwachen Wesen der Feenwelt zu beschützen. Darum, diese Welt dort wieder friedlich werden zu lassen. Meine Heimat vor den schwarzen Schatten, die Tod und Verderben brachten, zu bewahren, da offensichtlich war, dass sie nicht an den Grenzen Albernias halt machen würden, sondern auch irgendwann seine Heimat und damit die Heimat unserer Kinder vernichten würden. Und nicht zu Letzt auch darum, Prinz Finian vor dem Ritual zu retten und ihre Erlaucht aus dem Kristall zu befreien.“ Ihre Stimme gewann wieder ein wenig an Kraft als sie weiter sprach „Es waren also derer neun, ein jeder bereit zu diesem letzten Kampf. Ich sagte ja schon, es war der Wille der Götter, dass es Ra’oul war, der ihn bestritt. Ein anwesender Diener des Listigen ließ einen jeden eine Münze ziehen. Es waren acht kupferne und eine Silbermünze.“ Ihr Blick ließ Eslam teilhaben an den schrecklichen Augenblicken als aus ihrer Vorahnung Gewissheit wurde und der Schmerz stand ihr dabei überdeutlich ins Gesicht geschrieben.

Ihre Worte klangen selbst in ihren Ohren hohl, doch waren sie gesprochen ehe sie es verhindern konnte „Erwusste was er tat und er konnte sich auf diesen letzten Kampf vorbereiten. Und er hat ihn gewonnen, auch wenn er für diesen Sieg sein Leben geben musste.“

Dass der Prinz lebend gefunden wurde und auch Idra und Corvin aus ihrem kristallenen Gefängnis befreit werden konnten, fand in diesem Moment keinen Platz mehr in Lyns Bericht. Ihre Augen suchten die Eslams, um ihm mit ihrem Blick Halt zu geben. Langsam und fast ein wenig unsicher, da sie nicht sicher war, wie er reagieren würde, machte sie einen kleinen Schritt auf ihn zu.

Während der Reise, nachdem Caihyn vom Tod seines Vaters gehört hatte, hatte er kaum 100 Worte gesprochen. So war es für Lyn umso überraschender, dass er es jetzt tat. Sie musste inne halten, um ihn zu verstehen, so leise sprach er. Und was sie hörte, versetzte ihr einen Stich mitten ins Herz. „Albernia hat mir meinen Vater genommen! Erst hat es mich von ihm fern gehalten, dann hat es ihn mir weggenommen. Ich hasse es! Ich hasse Albernia!“ Dann drehte er langsam den Kopf zu ihr und blickte ihr mit finsteren Augen entgegen. Auch wenn er die Worte nicht aussprach, so glaubte Lyn sie doch in ihrem Geist zu hören. ‚Und ich hasse auch Dich, dass Du mich so lange von ihm fern gehalten hast!‘

Lyn taumelte dabei ein wenig zurück. Seine Verschlossenheit und Zurückweisungen während der Reise hatten sie so etwas befürchten lassen, es aber aus seinem Mund zu hören und in seinem Blick zu lesen verursachte ihr fast schon körperliche Schmerzen. Ihr wurde für einen kurzen Augenblick schwindelig, so dass sie sich an dem großen Tisch abstützten musste. Als sie sich soweit wieder unter Kontrolle hatte und sich zu Caihyn wandte, sah sie wie ihr Schwiegervater bei dem Jungen kniete und ihn an beiden Armen fest hielt.

„Caihyn!“ Aller Zorn, alle Trauer schien aus Eslams Gesicht und Stimme verschwunden zu sein, gerade so, als hatten die Worte seines Enkels ihn zur Besinnung gebracht. „Bedänke, duass unsär Schicksal von den Gettern verhär bestimmt ist. Niemandäm vuon uns stäht es zu, ihnän dabei hinain zu räden und ihnän dahäer zu zirnen. So ist äs auch niemandän vergennt diesäm Schicksal zu äntgehen. Wuänn die Getter sainen Tod bestimmt hattän, so wäre diesär geschähen, guanz glaich wuo är sich aufgehaltän hätte, ob hier odär in Albernia.“ Fast trotzig reckte der siebenjährige Junge dabei sein Kinn seinem Großvater entgegen. „Ra’oul, Dein Vatär und main Suohn ist als Häldt gestärbän. Är hat sich fir uns allä ge’opfärt und das erfuolgraich! Wuas gibt äs fir ainen schenerän Tuodt als fir die Sainän zu stärben?“ Eslam erhob sich wieder hielt dem Jungen seine Hand entgegen. „Kuomm an mainä Saitä Caihyn! Nimm dän Pluatz Dainäs Vatärs ain, ähre ihn suo undt lass Dir vuon mir zaigen, wie Du mit däm Säbel Ra’ouls umzugähen hast.“

Eslams Worte waren Balsam in Lyns Ohren, war dies doch auch das, was sie sich seit jenem Tag immer wieder vor Augen führte. Dass es der Wille der Götter gewesen war, und nicht ihre Schuld. Dass es vorherbestimmt gewesen war, und nichts mit ihrem Egoismus zu tun hatte. Es aus dem Munde Eslams zu hören erleichterte ihr Herz ein wenig, auch wenn der leichte Hauch eines Zweifels sich darin festgesetzt hatte. Wieder einmal überraschte es sie, mit welchem Gleichmut die Nebachoten dann doch die schwersten Schicksalsschläge hinnahmen.

Caihyn warf seiner Mutter erneut einen finsteren Blick zu und wandte sich dann seinem Großvater zu. In seinen Augen war immer noch ein Anflug von Trotz zu lesen aber auch Stolz. Dann ging er, ohne Lyn noch eines weiteren Blickes zu würdigen, an Eslams Seite und ergriff dessen Hand. „Das werde ich.“ Fest und deutlich waren seine Worte, auch wenn er die Meinung seines Großvaters, was die Unabänderlichkeit des Schicksals anging, nicht teilte.

Dann wand sich Eslam an Lyn. Gerade die Worte, die er eben von Schicksal sprach, hatte ihm noch einmal verdeutlicht, dass es nicht Lyns Schuld war, dass Ra’oul bereits verstorben war, sondern dass es vorherbestimmt war. Wieso sollte er dann also ihr zürnen. „Shuni’Bashira!“ Hob er nun die andere Hand in Lyns Richtung. „Gib mir dän Rickhalt aus Dainäm Suohn ainen ächten Ammayin zu machän, auf duass ihn die Stämme einst folgän wärden.“

Lyn blickte zu Eslam und ein dankbares Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Ich hatte gehofft, dass Du nun diese Aufgabe übernehmen würdest...“ waren ihre Worte als sie zu ihm trat „… und ich weiß meinen erstgeborenen Sohn bei Dir in guten Händen.“ Sie nahm seine Hand und umschloss diese mit einem festen Druck ihrer Finger. „Und so gebe ich ihn in Deine Obhut, damit er bald in die Fußstapfen seines Vaters treten kann.“ ‚Hoffentlich lernt er dann auch zu verstehen…‘ waren ihre flehentlichen Gedanken, als sie den kraftvollen Gegendruck von Eslams Fingern spürte.

„Ammayin al’baradja!“ Waren die rituellen Worte, mit denen ein Meister seinen Schüler annahm und die Eslam nun sprach. Manch ein Vater oder auch Schwiegervater hätte nun die Witwe des eigenen Sohnes Trost spendend in den Arm genommen. Doch so war Eslam nicht. Wer Trost benötigte, zeigte Schwäche. Wer Schwäche zeigte, durfte nicht über andere herrschen. Und so zog er Lyn nur kurz an sich, hielt sie für einen kurzen Augenblick fest umschlossen. Lange genug, so dass sie fühlen konnte, dass sie noch immer ein Teil der Familie war, dass sie nicht alleine stand.

Dann ließ er sie wieder los und blickte ihr noch einmal fest in die Augen. Voller Kraft waren seine eigenen, voller Stärke, Zuversicht und Wissen, dass alles vorherbestimmt war.

Lyn nickte ihm zu, verstehend und voller Zuversicht und Stärke. Dann umspielte ein Lächeln ihre Lippen und sie meinte mit Bestimmtheit in ihrer Stimme „Ich bin mir sicher, dass er in seinem Sohn weiter leben wird.“ Dabei legte sie fast unbewusst eine Hand auf ihren Leib und sie schon leicht zu erkennende Wölbung.

Ob Eslam den Wink verstand, konnte Lyn nicht einschätzen, schwieg er doch darüber und führte sie stattdessen alle zur Tür und öffnete diese. Im Gang schloß sich Gawain, der noch immer auf Lyn treu gewartet hatte, wie ein leiser Schatten der kleinen Gruppe an. „Ich waiß, dass Du auch in Albernia hättest blaiben kennen und schätze daher sähr, dass Du Dich andärs äntschieden hast Shuni’Bashira!“ Meinte Eslam mit entschlossener Stimme zu Lyn, bevor er sie in die kleine Halle führte, in der Ra‘ouls aufgebahrt war.

Lyn nickte Eslam zu. All die Gesichter jener Freunde die gefragt hatten, ob sie nun zurückkehren würde kamen ihr in den Sinn, und auch ihre Antwort. Sie blickte ihm in die Augen und ihre Stimme klang ebenso entschlossen wie seine. „Mein Platz ist hier, Yar'Hatah.“ Dann ging sie festen Schrittes an seiner Seite auf Ra’ouls aufgebahrten Körper zu.

Es war Zeit für die rituelle Totenwacht....