Geschichten:Ein Glied in einer kostbaren Kette

Aus GaretienWiki
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An die Hochgeborene

Tsaiana von Waldfang-Angerwilde
Baronin von Waldfang

 
 
 
 
Teure Schwester im Adel,

Seid gegrüsst im Namen des Götterfürsten!

Wir haben Kenntnis davon bekommen, dass Ihr einen Ratschlag über das Wesen des wahren Adels sucht. Wir begrüssen es sehr, dass Ihr Euch an den hochverdienten und würdigen Grafen von Reichsforst, Euren Lehensherren und leuchtendes Beispiel für die Rittertugenden im Königreich Garetien, wandtet. Erlaubt uns, Euch ebenfalls ein paar wenige allgemeine Bemerkungen über das Wesen des Adels zusenden zu dürfen.

Ein Spross aus Altem Adligen Haus steht in einer langen Reihe verdienter und von Praios auserwählter Adliger. Als solches Glied in einer kostbaren Kette ist es seine vorderste Pflicht, sich der Ehre und den ritterlichen Tugenden zu verschreiben, denn genau das ist es, was von ihm erwartet wird, um sich als würdig zu erweisen. Und natürlich kann es sein, dass ein Adliger aus Altem Haus diesen Idealen nicht genügt. Nur entscheidet darüber nicht das Geschwätz der missgünstigen und boshaften Zeitgenossen, welche zum Grossteil von Habgier und Ehrgeiz beseelt sind, sondern die Geschichte, in deren Buch wir die Wahrheit über den Adel eines Geschlechts ablesen können und nur dort.

Das ist es nämlich, was den Alten Adel von dem Leistungsadel unterscheidet: Der Bürgerliche, der für eine heroische Tat in den Adelsstand erhoben wird, muss nun beweisen, dass sein Geschlecht tatsächlich von Praios erwählt wurde. Das kann aber nur durch den Lauf der Geschichte bewiesen werden.

Es gibt von Pferdeknechten abstammenden Hochadlige in Garetien, die von den Priesterkaisern mit einem Lehen beschenkt wurden, und heute zu den Stützen des Reiches zählen. Andere uralte Geschlechter aus der Zeit der Reichsgründung und noch davor sind dagegen ausgestorben und haben nichts Staub hinterlassen. Es geht einzig darum, sich als Geschlecht zu beweisen und nicht als fehlbares Einzelwesen.

Der "rondrianische Modernismus" der Pfortenritter hat daher mit den Idealen der Alten Häuser nur wenig zu tun, steht aber nicht zu diesen in einem derart eklatanten Widerspruch wie die korkultischen Handlungsmaximen der Pulethaner. Denn diese Reduzieren den Adel auf eine Ansammlung von Einzelwesen, die hemmungslos ihrer Habgier und ihrem Ehrgeiz frönen, dabei den Namen des Götterfürsten nach aussen tragen, aber in Wahrheit sich nur der Befriedigung ihrer persönlicher Ziele verpflichtet fühlen.

Die Ideale der Pulethaner zielen im Kern darauf, die Zugehörigkeit zum Adel durch die Taten einer einzelnen Person abzuleiten. Wer diesen Ansprüchen nicht genügt, der soll nicht von Praios erwählt worden sein. Ritterliche Tugenden wie Demut, Zurückhaltung, Anstand, Großzügigkeit, Würde, Götterfürchtigkeit spielen in dem Ritterbund der Pulethaner eine deutlich untergeordnete Rolle, was man den herausragenden Exponaten ihrer Mitglieder ja trefflich ablesen kann. Das ist auch verständlich, denn ritterliche Tugenden führen ja nicht per se "ans Ziel", sie stehen sogar dem Erlangen von persönlichem Ruhm in der Regel im Wege. In diesem ritterlichen Tugenden aber liegt genau das Kriterium, ob ein Geschlecht sich als von Praios erwählt fühlen und bezeichnen darf.

Die von den Pulethanern gewünschte Ordnung ist eine unmenschliche Schinderei der unteren Stände in dem Irrglauben, durch eigene Leistung die Berechtigung dazu erhalten zu haben. Sie missachtet die Pflicht und die Verantwortung des Herren, seinem Knecht ein leuchtendes Beispiel an Tugend und Anstand zu sein, sein Schwert und Schutz in drängenden Zeiten und die strafende Hand eines liebevollen strengen Vaters, welchem die Schläge gegen seinen Schutzbefohlenen mehr schmerzen, als dem Bestraften selbst.

Uns wurde ebenfalls die Kunde überbracht, Ihr zweifeltet an der Tugendhaftigkeit und der Ehre Unseres Vetters Pfalzgraf Hilbert von Hartsteen zu Sertis. Seid daran erinnert, dass es nicht in unserem Urteile zu liegen hat, ob unser Bruder im Adel Hilbert seine Pflichten vor Praios erfüllt. Wie alle Menschen so wird auch Unser Vetter sich nach seinem Flug über das Nirgendmeer von der Seelenwaage und dem Seelenrichter rechtfertigen. Dort wird von den Göttern bestimmt werden, ob seine Seele in die Zwölfgöttlichen Paradiese eingehen wird oder nicht. Uns Sterblichen steht es nicht zu, diesem Urteil der Götter vorzugreifen.

Die Zwölfe mögen Euren Weg beschirmen und ihr Euch als würdiges Glied in der ehrwürdigen Familie Waldfang beweisen. Darum übt immer Treu und Redlichkeit bis an Eu'r kühles Grab und weichet keinen Finger breit vom Weg der Zwölfe ab.
 
 
 
 
Mit höchlichster Achtung

Graf Luidor von Hartsteen
Oberhaupt des Hauses Hartsteen

gegeben zu Burg Oberhartsteen im tausendvierunddreißigsten Efferdmond seit der Gründung des Raulschen Reiches