Geschichten:Ein Freund, ein guter Freund

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Vor der Alten Residenz, die Tagung des Zedernkabinetts ist soeben beendet, der Tag dunkelt schon heftig und die Burggrafen freuen sich auf einen feuchten Trunk im ›Kaiserstolz‹. Am Portal hat Ludemar von Schroeckh den Raulsmärker Burggrafen eingeholt und geht nun neben ihm über den Platz, Meister Wiesenbach ist ein Stück zurückgeblieben – Ludemar hatte ihn vorher darum gebeten.

»Edelhochgeboren!«

»Ja, Ludemar, was kann ich für Euch tun?«, gab Oldebor von Weyringhaus zurück, während er das Barett richtete. Es war schon recht kalt an diesem späten Borontag.

»Es geht um einen Freund von mir. Ihr kennt ihn ebenfalls.«

»Solange dieser Freund nicht mit Euch verwandt ist …«, murmelte der Burggraf.

»Wie bitte?« fragte Ludemar, der offenbar erhebliche Schwierigkeiten hatte, die schwere Tasche mit dem Schreibkram und dem gerissenen Gurt mit beiden Händen zu halten und gleichzeitig nicht anzuhalten.

»Nichts, Ludemar. Worum geht es?« Oldebor hatte fast täglich mit Bittstellern zu tun, die Frage ›Worum geht es‹ war daher mehr eine Floskel.

»Es geht um Gsevino vom Prutzenbogen, Hochwohlgeboren.«

Oldebor blieb stehen, was Lodumar endlich die Gelegenheit gab, umzugreifen und die Tasche sicher zu fassen. »Was ist mit dem Burschen? Er schuldet mir Geld.«

»Euch auch?«

»Wie: mir auch?«

»Er schuldet auch anderen Leuten Geld – und noch mehr. Ich treffe ihn gelegentlich. Das heißt: Ich traf ihn. Zwei Wochen habe ich ihn an den üblichen Plätzen nicht gefunden. Heute Vormittag war ich bei den Therbuniten. Ein Bruder hatte mich holen lassen. Gsevino geht es nicht gut. Er ist krank. Zerschunden. Man hat ihn verprügelt, ihm viele Knochen gebrochen. Und dann ist da noch der Alkohol …«

»Warum kommt Ihr zu mir, Ludemar?«

»Gsevino sagte, Ihr wäret ein Freund und würdet ihm helfen.«

»Ich habe ihm bereits einmal geholfen – ohne Erfolg, wie mir scheint. Warum geht Ihr nicht zu seiner Familie?«

»Seiner Familie? Ach, Ihr meint Saccina und diese sogenannten Groterians? Die haben ihn schon vor Wochen vor die Tür gesetzt.«

»Was ist mit dieser anderen Frau und dem anderen Kind?«

»Korlinde?«

»Heißt sie so, ja?«

»Nein, Korlinde, nicht Soya. Sie ist weg, mitsamt der kleinen Praiodane. Einfach weg, ebenfalls seit Wochen«

»Kommt zum Punkt, Ludemar. Wie soll ich behilflich sein?«

»Nehmt Gsevino mit nach Rohalsweil, versteckt ihn dort. Ich glaube, dass er erpresst wird.«

»Was soll man denn von dem Burschen wollen? Er schien mir ziemlich durch zu sein, als ich ihn das letzte mal sah.« Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, weshalb der Burggraf nun doch schnell ins ›Kaiserstolz‹ wollte.

»Ihr meint, was vom ehemaligen Schreiber des Staatsrates und Archivar des Zedernkabinetts wollen könnte?«

»Verstehe. Gut, Ludemar, Ihr seid dem Burschen ein guter Freund. Wiesenbach wird ihn nach Rohalsweil bringen.«

»Habt Dank, Edelhochgeboren, habt Dank!«

Damit hatte Ludemar von Schroeckh seine Schuld an Gsevino abgetragen, der einst ihn aus der Gosse errettet hatte.