Geschichten:Du darfst Leuhold zu mir sagen

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Gareth, in der Kaschemme »Wolkes Trog«, früh am Abend

In der Kaschemme waberte der Rauch aus zerkauten Pfeifen unterhalb der niedrigen Deckenbalken. An den Tischen drängten sich der Abschaum der Stadt – Tagelöhner, Handlanger, Wasserträger, Karrenschieber und Säckewuchter. In Häfen hätte man manche von ihnen als Schauerleute bezeichnet. In Gareth waren sie nur schaurig. Wolke, der dicke Wirt, der in seinem ehedem weißen, heute eher grauen Gewand nach Gewitter aussah, versorgte das Pack mit dünnem Bier und scharfem Schnaps. Beides machte er selbst, hinten im Hof – woraus, das wollte keiner der Anwesenden wissen.

Auf der Langseite der Kaschemme sind die Tische wie Pferdeboxen abgeteilt. Hier wird manches Geschäft abgewickelt, ohne dass alle Ohren hören, wer da wen verhökert. Aber sehen kann man gut in die Winkel der Tische. Tranfunzeln hängen vom Balken und geben mehr Ruß als Licht.

»Junge, lass dich nicht so gehen. Ich sag’s zum letzten mal: Reiß dich zusammen und mach was! Du hast gute Verbindungen, du hast jahrelang am Luring gehangen; das will was heißen.« Halderfelden hatte sogar die Hand des Mannes ergriffen, auf den er so einredete. Breitbeinig saß er auf dem Schemel am Tisch, den dicken Bauch zwischen die feisten Schenkel abgelegt. Sein Schnurrbart wippte munter unter der knolligen Nase. »Ich lass es erst einmal auf sich beruhen. Anzeige hin oder her – diese so genannten Groterians sind als Stänkerer bekannt. Aber du musst wieder auf die Beine kommen. Und mit deiner Frau auskommen. Mit beiden Frauen. Klar?«

Gsevino vom Prutzenbogen nickte, das Haar hing ihm trübe in das jungenhafte Gesicht. An den Schläfen ergraute es bereit- denn gar so jugendlich war der ehemalige Schreiber des Staatsrates nun gar nicht mehr. Und außerdem hatten seine braven Schwiegereltern ihn bei der Criminal-Cammer angeschwärzt. Schon wieder! Seine Frau hatte ihnen gesteckt, dass Gsevino Urkunden fälschte, und die braven Leute hatten nichts Besseres im Sinn, als sich die Belohnung der Stadt abzuholen, indem sie den eigenen Schwiegersohn anschwärzten. Vielleicht kamen auch daher die grauen Haare. Oder von dem Selbstgebrannten Wolkes, der – wenn er täglich genossen – womöglich alles andre als gesund war?

Den Göttern sei Dank – den gutmütigen Halderfelden hatte Gsevino bisher stets um den Finger wickeln können; jeder andre aus der Criminal-Cammer hätte wohl weniger durchgehen lassen: »Jawohl, Herr Commissär, Ihr habt ja Recht. Ich habe bereits zwei Burggrafen um Stellung gebeten. Es kümmt bestimmt in Bälde Antwort. Dann kann Saccina ihren Unterhalt bekommen, und auch das andere Kind soll satt werden.« Gsevino grinste übermütig und sah um Jahre jünger aus. »Und keine falschen Urkunden mehr. Versprochen!«

Halderfelen ließ es gut sein und hoffte das Beste. Schwerfällig stemmte er sich hoch und klopfte dem Schreiber noch einmal auf die Schulter: »Weniger Schnappes käme dir auch gut zu statten, mein Junge. Sauber bleiben!« Dann wackelte er behäbig zwischen den Tischen aus der Kaschemme. Nicht wenige drehten unauffällig den Kopf zur Seite, um vom Commissär nicht erkannt zu werden. Überhaupt – was traute der sich hierher?

Gsevino winkte den Burschen heran – ein schiefmäuliges Exemplar aus reinster Bosheit geboren – und ließ sich einen Krug vom Gebrannten bringen. Brütete dann bei diesem vor sich hin, die Haare vor den Augen. Und sah deshalb nicht, dass er schon den ganzen Abend beobachtet wurde. Von zwei Tischen waren Augen auf ihn gerichtet. An dem einen saß ein Mann mit kurzem braunen Haar und sauber rasiertem Kinn, der zwar ärmliche Kleidung trug, aber vor einer Reinlichkeit triefte, die hier falsch und fehl wirkte. An dem anderen Tisch saßen drei Gestalten, die genau hierher passten: dunkle Figuren mit groben Gesichtern und ausreichend verdreckt, die keineswegs so wirkten, als würden sie ihr Dasein mit ehrlicher Arbeit bestreiten.

Der Älteste am Tisch war ein gebarteter Grauschopf mit kalten Augen und den präzisen Bewegungen des geschmeidigen Kämpfers. Sein aufmerksamer Block hatte die ganze Kaschemme im Blick – und auch den Tisch des anderen Beobachters sowie die Nische des Schreibers. Seine Begleiter hatten ganz den Anschein solcher Figuren, die nächtens gerne Kehlen aufschlitzen und Hälse abmurksen. Der Mann war unauffällig, schwarzhaarig, drahtig. Die Frau aschblond und kräftig, das Kinn und der Mund von den Narben der Zorganpocken verunstaltet. Die drei hatten dünnes Bier. Jeder einen Krug. Seit Stunden. Genießer waren sie keine.

«Halderfelden ist weg«, sagte der Jüngere mit unbewegtem Gesicht und ganz natürlich. Nach Heimlichkeit sah die Unterhaltung nicht aus.

»Was machte der denn hier? Ich dachte, der Schreiber hätte Schutz?«, fragte die Frau nach.

»Hat er. Und auch wieder nicht. Das falsche Heller da am dritten Tisch links pfeift auf den Schutz. Und wenn die Tobrier den Schreiber in die Hände bekommen, ist’s Essig mit dem Familienleben.« Der Alte hatte gesprochen. Er wusste bescheid. Kannte die Stadt. Kannte die Leute. Alrik und Selinde waren von ihm ausgebildet worden. Damals. Als die Welt noch Ordnung hatte. Und sie die Greifenringe der Agentur. Vorbei, verweht, nie wieder …

»Alrik, du nimmst dir den falschen Heller vor. Gehört dem Raben. Und darf dessen Flügelrauschen noch heute Nacht hören. Verstanden? Gut. Dann lock ihn jetzt raus.« Wenig später war der Beobachter aus der Kaschemme gegangen, Alrik mit ihm. Und nur einer würde wiederkommen. Und sicherlich Alrik heißen. »Selinde. Der Schreiber hat sich jetzt ordentlich einen angebraten.«

»Soll ich zu ihm und ihm einheizen?«

»Nein, Selinde. Du sollst warten, bis ich fertig bin«, raunte der Alte im selben Ton wie jeden Satz zuvor. Selinde erbleichte dennoch. »Ich gehe jetzt zu ihm. Sollte es Störungen geben, beschwer dich laut über die Plörre hier.« Genau die Plörre aber nahm der Alte mit seinem Krug hinüber in Gsevinos Winkel. Der Alte war keineswegs alt, das sah man nun. Er war nur grauhaarig, etwas Schlechteres konnte man nicht über ihn sagen.

»Na, Schreiber?« Der Alte setzte sich.

»Kennen wir uns?« fragte Gsevino unsicher zurück. Er hatte Augenringe wie Burggräben.

»Aber ja. Ich kenne dich sehr gut, Gsevino. Und du mich auch. Ich bin dein Schatten in der Nacht. Dein Traum kurz vor dem Hochschrecken, dein Angstschweiß im Genick. Der bin ich.«

Gsevino kniff die Augen zusammen und strich sich in einer verzweifelten Geste der vergeblichen Ernüchterung über das Gsicht: »Was wollt Ihr?«

»Dir helfen, Schreiber. Ich will dir nur helfen.«

»Aha. Na, das höre ich doch gern. Und wie? Wollt Ihr meine Schwiegereltern nach Benbukkula verschiffen oder meine Ehefrau an den Emir von Amhalassih verkaufen?«

Der Alte lachte trocken. »Nein, keineswegs. Aber es lässt sich einrichten, wenn du es möchtest. Ich tu dir fast jeden Gefallen, den du willst.«

»Ach ja? Sowas hört man sonst nur von den Huren in der Hundekehlgasse.«

Der Alte lachte wieder: »Die Gefallen, die die versprechen, kann ich dir nicht gewähren, Schreiber.«

»Schade, ich hatte mich gerade an Euren grauen Bart gewöhnt, Herr …?« Gsevino war ein wenig aufgewacht.

»Tut nichts zur Sache, Schreiber. Weißt du, dass die großen Fische nach dir schnappen? Die großen Hechte? Hier saß eben noch ein Spitzel des Garether Markvogtes. Der war sehr interessiert an dir.«

»Meint Ihr Halderfelden? Der …«

»Nein. Dort am Tisch. Jetzt ist er freilich weg. Lässt gerade sein Blut in einen nahen Rinnstein fließen. Genau. Du verstehst. Ich mache keine Witze.«

»Für wen arbeitet Ihr?«

»Glaubst du, dass ich diese Frage beantworten werde?«

»Nein«

»Siehst du. Dann spar deinen Atem. Könnte ja sein, dass du davon gar nicht mehr so viel hast, wie du glaubst. Hm?«

Gsevino schluckte. Hätte er nur nicht so viel getrunken! Er konnte den diffusen Schleier in seinem Kopf einfach nicht loswerden. Fast flüsterte er: »Was wollt Ihr?«

»Ich will Informationen, mein Lieber, so viel, dass sich die Balken biegen. Der Rabe hat gedacht, Dich billig bekommen zu können. Aber da hat er sich getäuscht. Du bist viel wert, sehr viel sogar. Du kennst das Zedernkabinett von vorn und von hinten. Du kanntest den Praioten und du kanntest den Idioten, also Luring und Schroeckh.«

»Ich weiß weniger, als Ihr glaubt. Ich war nur der Schreiber.«

»Natürlich. Und ich bin nur der Hofhund meines Herrn. Quatsch nicht rum, Schreiber. Du weiß viel – und du hast jede Menge Probleme. Deine Schwiegereltern hassen dich. Deine Frau verachtet dich. Die Mutter deines anderen Kindes verflucht dich, aber keiner bezahlt dich.«

»Ihr kennt mich wirklich … besser … oder schlechter …«

»Wie dem auch sei, Schreiber. Solange du lieferst, musst du dir keine Gedanken mehr machen. Bitte ,ich um einen Gefallen, und ich erfülle ihn dir. Brauchst du Geld, komm zu mir. Und wenn du mich nasführst, dann zeige ich dir die Niederhöllen auf Dere. Hast du mich verstanden?«

Gsevino nickte ergeben. Wäre er nur nicht so besoffen! Und nicht so arm! Und nicht so allein!

»Ich … ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Da helfe ich dir gerne, Scheiber.«

»Wie heißt Ihr?«

»Ich? Ich heiße der Tod. Manche nennen mich auch den Schmerz. Du darfst Leuhold zu mir sagen.«