Geschichten:Dreizehn Exemplare

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Zedernkabinett in der Reichskanzlei, Anfang Rahja 1029 BF

»So, meine Herren, verehrte Ginaya, verehrte Rondriane dann wäre das wohl alles. Dieser ganze Klimbim!« Burggraf Ardo vom Eberstamm, der als dienstältester der Garether Burggrafen dem Zedernkabinett vorsitzen musste, solange es keinen Staatsrat gab, wischte sich mit einem fleckigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn, schnäuzte seinen Heuschnupfen hinterher und verstaute es sodann wieder, indem er es unter den Gürtel klemmte. Mit einem beherzten Griff in den Schritt, um die Unordnung der edelsten Teile wieder herzustellen, die in dreistündiger Sitzung immer spürbarer geworden war, löste Eberstamm die Versammlung auf: »Dann isse jetzt vorbei, die Sitzung. Ich gehe noch auf einen Schoppen ins ›Kaiserstolz‹, wie wär’s?«

Burggräfin Ginaya winkte freundlich ab, dachte aber: ›Noch eine halbe Stunde mit diesem stinkenden Orkreiter, und ich vergesse mich oder kann meinen Geruchssinn vergessen!‹ In der tat war Eberstamm wieder einmal nach einwöchiger Jagd und scharfem Ritt im Zedernkabinett erschienen. Burggraf Oldebor murmelte etwas von familiären Verpflichtungen und floh hinter der Alriksmärkerin aus dem Raum. Rondriane von Eslamsgrund, die Neue im Rund, war Schlimmeres gewöhnt als schwitzende Ritter, und auch der junge Helmar von Hirschfurten schloss sich Eberstamms Vorschlag an. Alarich von der Sighelmsmark hingegen blieb sitzen, bis die Troika seiner Kollegen den Raum verlassen hatte, und beobachtete, wie Gsevino vom Prutzenbogen die Pergamente von dem ovalen Tisch räumte.

»Sagt, Prutzenbogen, was tut Ihr mit den Unterlagen?«

»Einsammeln, Euer Edelhochgeboren«, antwortete Prutzenbogen geistesabwesend.

»So so, ich meinte freilich, nachdem Ihr sie eingesammelt habt. He, Prutzenbogen, ich rede mit Euch.« Sighelmsmark knallte die flache Hand auf die Tischplatte, dass Prutzenbogen zusammenfuhr, einen Stoß Pergamente zu Boden fallen ließ, aber stramm stand.

»Sehr wohl, Euer Edelhochgeboren. Äh … Ich räume die Akten in die Archivräume hinter der Stube des Ersten Königlichen Rates. Dort schreibe ich sie ins Reine, kopiere sie zu drei Exemplaren und lege sie ab«, stammelte er.

»Hm. Und von diesen drei Exemplaren geht eines an die Königin, eines verbleibt im Archiv und das dritte?«, fragte Sighelmsmark und beugte sich neugierig vor.

»Das dritte … äh … das geht mit vertraulichem Siegel in die Kopierstube der Reichserzkanzlei, wo dann Eure Exemplare erstellt werden, zehn Stück«, erzählte Prutzenbogen schleppend.

»Zehn? Wir sind sechs, mit der Halsmark sieben; dann bekommt der Markvogt noch ein Exemplar: Macht acht. Und die anderen beiden?«, rechnete Sighelmsmark vor.

»Ich weiß nicht. Das machen wir ja erst so, seit Seine Exzellenz … von uns gegangen ist. Früher musste ich das alles selbst abschreiben!« stammelte Prutzenbogen.

»Aha. Wer hatte denn die grandiose Idee, der Reichserzkanzlei unsere internen Zirkulare vorzulegen?«

»Ich weiß nicht. Ich …«

»Schon gut. Ich kann mir denken, wo die anderen beiden Exemplare bleiben. Der Fuchs aus Elenvina und die Elster aus Perricum werden sie bekommen. Außerdem ist ja dann noch das Original da, die Urabschrift. Macht sogar drei freie Exemplare. Hm.« Sighelmsmark verfiel ins Brüten, während Prutzenbogen die Pergamente wieder einsammelte.

»He, Prutzenbogen!« rief Sighelmsmark, dass der Gerufene erschrak – doch die Pergamente sicher an seine Brust drücken konnte. »Sagt, redet Ihr denn manchmal über das, was Ihr hier hört?«

»Nein, Herr. Ich spreche mit keinem Außenstehenden darüber. Höchstens in der Beichte beim Praio…«

»Da hol mich doch der Drache!« rief Sighelmsmark. Die Praios-Kirche ist also auch noch unterrichtet! Das sind skandalöse Zustände! Wie gut dass wir zum Jahreswechsel einen neuen Staatsrat bekommen werden, dann ist hier nämlich Schluss mit lustig!«

»Zum Jahreswechsel? Das ist mir neu. Wer ist denn …«

»Vergiss es. Oh, Herrpraiosnocheins: Vergiss es! Sag’s keinem! Die einzelnen Fraktionen zerfleischen sich sonst noch vorher und erschweren der Königin die Entscheidung nur noch weiter. Ver-giss-es!«, insistierte Sighelmsmark, der sich sichtlich ärgerte, dass ihm diese Information entschlüpft war, die er als Verwandter der Königin und Kaiserin informell erhalten hatte.