Geschichten:Dreihügeler Familienzusammenführung - Die Gaben der Götter

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Die Gaben der Götter

Bei Gareth, Mitte Praios 1036 BF

Gegen Mittag hatte Wulfhart befohlen Rast zu machen. Gareth lag eine halbe Tagesreise hinter ihnen und sie waren auf der Reichsstraße gut voran gekommen. Rahjamunde strahlte noch immer über das ganze Gesicht von all den Wundern, die sie in der großen Stadt gesehen hatte. Fast ausgelassen redete sie immerzu von den Tempeln und den Palästen der Großen und Reichen. Vor allem aber hatte es ihr die überall dargestellte Handwerkskunst angetan.

"Wisst Ihr Wulfhart, ich habe Wandleth immer für eine große Stadt gehalten und wollte den Reisenden keinen Glauben schenken, die über die Provinz die Nase rümpften. Doch jetzt weiß ich erst, wie klein ihnen meine alte Heimat vorgekommen sein muss!"

"Das ist nur verständlich. Gareth ist die prächtigste Stadt des Reiches, nichts und niemand kann sich mit ihr messen. Ich hoffe nur, Ihr werdet nicht enttäuscht sein, wenn Ihr nun nach Kressenburg kommt. Es würde mich betrüben, wenn Ihr meine Heimat mit der Stadt der Kaiser vergleichen und darob gering achten würdet," entgegnete der Ritter mit melancholischer Stimme.

"Das glaubt Ihr nicht wirklich, oder?" Rahjamundes Worte drückten eine Mischung aus Entsetzen und Entrüstung aus. Sie schien ehrlich erschrocken darüber, dass Wulfhart ihr solche Hochnäsigkeit zutraute. "Trotzdem ich Gareth nun gesehen habe, und an dem einen Tage sicherlich kaum einen Bruchteil der Pracht, die die Stadt zu bieten hat, so würde ich die Kaiserstadt doch nie als Maßstab heranziehen, um andere Orte zu bewerten." Sie suchte einen Moment nach den richtigen Worten. "Das wäre, als würde man den einfachen Reif einer Bürgerstochter mit dem prachtvollen Diadem einer Gräfin vergleichen!"

"Und doch ist das Diadem ohne Frage wertvoller und schöner, oder wollt Ihr das abstreiten?"

"Das kommt ganz auf den Standpunkt an, werter Wulfhart. Das Diadem mag aus dem wertvolleren Erz geschmiedet sein und mit teuren Steinen besetzt. Deswegen wird der Bürgerstochter doch der eigene Reif mehr bedeuten als jede Gemme des fürstlichen Diadems. Es kommt nicht nur auf den reinen Materialwert an, sondern auch darauf, ob ein Schmuckstück von dem, der es gefertigt hat, mit Herzblut geschaffen wurde." Die Edeldame sah den verwunderten Blick Wulfharts und errötete. Solch offener Widerspruch hatte ihr eigentlich nicht im Sinn gelegen, zumal die Zwerge ihr das Vorrecht des Älteren eingetrichtert hatten. "Verzeiht, doch dies sind die Worte meines alten Meisters."

"Wenn Ihr sie in Eurem Herzen tragt und sie befolgt, so wird Kressenburg Eurem Urteil sicherlich standhalten." Der Ritter lächelte milde und schaute versonnen in Richtung der Reichsstadt zurück. "Für eine Stadt mag Kressenburg wohl klein erscheinen, allein Euer Wandleth ist wohl dreimal so groß, doch hat der Ort seine eigenen Kleinode."

"Bitte, werter Wulfhart, erzählt mir davon." In Rahjamundes Augen lag echte Neugierde. "Was erwartet mich in der Fremde, die bald meine neue Heimat sein soll?"

"Nun, als erstes wäre da natürlich die Burg, die sich im Norden schützend über den Ort erhebt. Von dort aus herrscht mein ältester Sohn Ardo als Baron über die Kressenburger Lande. Der Burg zu Füßen liegt die Stadt, umgeben von einer Mauer, die von Zwergenhand erschaffen wurde, und vor der Stadt auf eine Meile die Felder der Bauern. Das Stadttor im Süden ist mit besonderer Kunstfertigkeit verziert und dabei so wehrhaft, dass es mit natürlichen Kräften nicht zu bezwingen ist. Im Zentrum der Stadt, auf halber Höhe des Burgberges, steht das uralte Praios-Kloster, dessen Mauern noch älter sind als die der Burg. An der östlichen Mauer findet Ihr die neue Bibliothek und den Hesinde-Schrein, welche von der Alt-Baronin Faralda gestiftet wurde." Der Ritter sah seine Gesprächpartnerin an, als er zu dem Punkt kam, der die handwerklich begabte junge Frau wohl am ehesten interessieren würde. "Im Westen der Stadt aber liegt die Gasse der Zwerge mit dem Ingerimm-Schrein. Bei Tag und bei Nacht könnt Ihr dort das Hämmern der Schmieden hören und die Feuer der Essen leuchten sehen. Außerdem haben sie dort das beste Wirtshaus im Ort, mit einer Biersuppe, die Ingerimm persönlich wohlschmecken würde."

"Das klingt wahrhaft wie ein Traum, Wulfhart." Die freudige Miene Rahjamundes verdüsterte sich leicht. "Ich wünschte nur, ich könnte länger dort verweilen, als es in Gareth der Fall war. Doch fürchte ich, dass ich von meiner Frau Mutter erwartet werde und alsbald nach Dreihügeln werde weiterreisen müssen."

Wulfhart stutzte kurz. "Aber warum denn? Hat sie Euch denn nicht gesagt, dass Ihr vorerst in Kressenburg bleiben werdet? Das ist doch auch der Grund, warum ich Euch aus Wandleth abgeholt habe."

"In Ihrem letzten Brief hieß es, dass ich zu Ihr nach Dreihügeln kommen solle, da sie meine Fähigkeiten als Kunstschmiedin bei der Verarbeitung ihrer Perlen brauchen könne." Die Edeldame sah vollkommen verwirrt aus.

"Dann hat sich Eure Mutter wohl in der Zwischenzeit anders besonnen." Wulfhart hob entschuldigend die Schultern, weil er ihr keine genauere Auskunft geben konnte. "Ihr werdet in Kressenburg einen neuen zwergischen Lehrmeister erhalten, um Eure Kunstfertigkeit zu verfeinern, so hat sie es mit meinem Sohn ausgemacht."

"Aber das wäre ja wundervoll," brach es aus Rahjamunde heraus. Kurz umarmte sie den Ritter, nur um sich sofort wieder auf ihren Platz zurückzuziehen und verlegen zu erröten. "Entschuldigt bitte. Ich meinte, ich danke Euch für diese frohe Botschaft. Nichts hat mir mehr Freude bereitet, als mit meinem Meister in Wandleth und den anderen des kleinen Volkes zusammenzuarbeiten. Manch einer mag es befremdlich finden, dass eine Adlige ein gemeines Handwerk erlernt und daran Freude findet. Doch ich entnehme Euren bisherigen Worten, dass Ihr nicht so über mich urteilt und meine Freude teilen könnt."

Mit verklärtem Blick sah Wulfhart sie an. "Sich so ähnlich und dann doch so verschieden." Rahjamundes verwirrtes Schweigen holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Langsam erhob er sich und strich sein Gewand glatt. "Was ich sagen wollte war, das wir alle den Pfaden der Götter folgen und dabei unterschiedlich mit ihren Gaben bedacht werden. Ich verehre die Herrin Travia und halte Rondras Tugenden hoch. Mein Sohn Ardo folgt in seinem Streben eher den Geboten des Herrn Praios. Ihr macht ebend von den Gaben Gebrauch, die Euch der Herr Ingerimm hat zuteil werden lassen. Diese Gaben gering zu schätzen hieße, die Zwölfe gering zu schätzen. Ihr gabt mir selbst vorhin den Vergleich zwischen dem einfachen Reif und der Grafenkrone. Euer Handwerk auszuüben mag in manchen Kreisen verpönt sein, doch Ihr widmet Euch dem mit Ausdauer und Hingabe, wie ein Ritter der Lanze und dem Schwert. Dafür kann ich Euch nur bewundern." Rahjamunde wusste darauf nichts zu antworten. Verlegen senkte die junge Frau die Augen und errötete bis über beide Ohren. Der Ritter, der sie mit seinen Worten nicht hatte peinlich berühren wollen, reichte ihr mit ausgesuchter Höflichkeit sie Hand. "Nun, wenn Ihr Euch ausgeruht genug fühlt, dann lasst uns wieder aufbrechen. Der Tag ist schön und wir können noch ein gutes Stück des Weges schaffen."