Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Lehren ziehen

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Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, 25. Rondra 1042

„Gib ihnen etwas Zeit, Ailsa“, hob Nurinai an, nachdem sie sich alle zur Ruhe begeben hatten, „Sie wurden einfach so einem neuen Herren zugeschlagen, da kann es schon mal zu Verstimmungen kommen.“

„Verstimmungen? Du willst sie doch jetzt nicht etwa in Schutz nehmen?“, entfuhr es der Ritterin da fassungslos.

Weiße Lilie“, mahnte die Geweihte, „Was denkst Du denn von mir? Ich bin Deine Schwester!“

„Eben drum!“

„Für mich klang das auch danach“, mischte sich die Skaldin ein, „Es wäre ja nicht das erste mal!“

„Also jetzt hört mal! Versetzt euch doch mal in ihre Lage: Früher gehörten sie zum Kloster, sie kannten ihren Herrn, sie kannten seine Stärken und seine Schwächen und wahrscheinlich ließ er sie die meiste Zeit gewähren wie sie wollten, solange sie ihre Abgaben regelmäßig und in ausreichender Höhe leisteten. Doch nun?“, sie hielt einen Augenblick inne, „Nun herrscht Du über sie und nichts ist mehr wie zuvor und genau das ist es, was ihnen Angst macht - die Veränderung und das Fremde. Und Du, Ailsa, Du bist für sie eine Fremde. Ja mehr noch, Du stammst nicht einmal aus Garetien. Sie kennen Dich nicht, wissen nicht was sie von Dir zu erwarten haben, kennen keine Deiner Stärken und keine Deiner Schwächen und noch dazu lebst Du hier mitten unter ihnen und somit stehen sie viel mehr unter Beobachtung als dies früher der Fall war.“

„Alles noch lange kein Grund sich so aufzuführen!“, widersprach Scanlail, „Oder haben sie Dich auf dem Donnerhof etwa besser behandelt?“

„Nein“, erwiderte Nurinai betrübt, „Haben sie nicht. Die haben sich in ihren Häusern versteckt, als sei ich der Tod höchstpersönlich.“

„Na, so wie Du riechst...“, kommentierte die Skaldin trocken.

„Was soll das denn heißen?“, donnerte die Geweihte da.

„Es hätte so einfach werden können...“, wisperte Ailsa da, „So einfach...“

„Ach, einfach kann doch jeder“, beschwichtigte Scanlail, „Wo läge da die Herausforderung?“

„Niemand, der sich einen Namen gemacht hat, hatte es einfach, Ailsa“, fügte Nurinai hinzu, „Hinter jedem großen Namen steckt eine große Geschichte.“

„Auf einen großen Namen und eine große Geschichte verzichte ich gerne“, den Rest ließ die Ritterin ungesagt, „Ich will meinen Frieden und Untertanen, die sich auch wie welche benehmen.“

„Gib ihnen einfach ein bisschen Zeit, das wird schon...“, versicherte Nurinai zuversichtlich.

„Besser wär's, Du machst ihnen recht schnell klar, dass Du ihre neue Herrin bist, ob ihnen das nun gefällt oder nicht“, stellte Scanlail klar, „Mit ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit können sie uns nämlich ganz schön auf der Nase herum tanzen.“

„Ja, warum ziehen wir sie nicht einfach mit brachialer Gewalt aus ihren Häusern und peitschen sie aus?“

„Ach, das ist es, woran Du immer denken musst, wenn...“

Ailsa lachte.

„Ich bleib dabei!“, beharrte die Geweihte zerknirscht, „Es wird der Zeitpunkt kommen, da werden sie Dich brauchen und dann...“

„Und wann wird der sein?“

„Das kann schneller sein, als dir lieb ist.“

„Dafür glaube ich...“, murmelte Ailsa, „... ist es bereits zu spät.“

„Wisst ihr, unser Haus ist schon durch so Vieles gegangen: Man hat versucht uns unter zu kriegen, uns schlecht zu machen, man hat uns beleidigt und beschimpft, denunziert und uns versucht Taten anzuhängen, die nie ein Rian begangen hat und auch nie begehen wird. Und was ist mit den ganzen Großmäulern da draußen passiert?“, Scanlail hielt einen Augenblick inne, einen langen Augenblick, „Wir, wir sind noch da! Und die?“

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Der Schrei einer Krähe hallte durch die Nacht: „Krâwa. Krâwa.“

Doch in den Ohren der Geweihten klang es wie: „Ist nah. Ist nah.“