Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Albernischer Stolz

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Ritterherrschaft Praiosborn, Dorf Praiosborn, 11. Boron 1042

„Er sollte froh sein, dass Du ihm keinen Bastard an die Haken hängst...“, hob Nurinai an.

Ailsa lachte kehlig: „Reib ruhig weiter Salz in die offene Wunde...“

„Glaub mir, das versuchen Viele und die Meisten von ihnen haben sogar Erfolg.“

„Und darauf hoffen, dass er für seinen Bastard zahlt?“, sie sank zu Boden, zog die Beine an, umfasste sie mit ihren Händen und lehnte ihren Kopf gegen den harten Stamm der alten knorrigen Eiche.

„Glaub mir, das habe ich schon oft genug erlebt. Erst wollen sie nicht, streiten alles ab, aber wenn das Kind dann da ist, dann zahlen sie doch. Manche zahlen für das Schweigen. Andere zahlen, damit das Kind eine gute Ausbildung erhält. Und sie zahlen, weil es eben besser ist zu zahlen, als nicht zu zahlen und damit das möglicherweise doch eigene Kind, das eigene Fleisch und Blut, in eine missliche Lage zu bringen...“

„Dann hat er ja Glück gehabt, dass ich das nicht kann...“ Bitterkeit lag in ihrer Stimme.

„Er hat Dich ohnehin nicht verdient, weiße Lilie! Du bist viel zu Gut für ihn!“, redete die Geweihte nicht zum ersten Mal auf ihre Schwester ein, „Du solltest Dir einen richtigen Mann suchen. Einen, der Dich auch wirklich liebt.“

„Und was sage ich dem dann?“

„Ein Mann, der dich von ganzen Herzen wirklich und aufrichtig liebt, wird sich darum nicht scheren - dem bist Du und Du allein das Wichtigste.“

Die Reichsritterin schloss ihre Augen und wisperte: „Du hattest Recht, dieser Baum bringt einen zur Ruhe.“

„Die Rabeneiche“, erklärte die Geweihte, die sich zusammen mit ihrer Schwester in den gespaltenen Stamm zurückgezogene hatte, „soll uralt sein. Sie soll schon alt gewesen sein, als die erste Dämonenschlacht tobte. Wie klein und unbedeutend kommt man sich vor, wenn man bedenkt, was dieser Baum gesehen haben muss...“

Ailsa holte Atem.

„Er hat vielen Menschen durch des Seilers Tochter den Tod gebracht, vielleicht ist er deswegen ein Ort, an dem wir uns geborgen fühlen...“, fügte Nurinai leise hinzu.

„Weil wir dem Tod näher sind als dem Leben?“

„Weil der Tod der schnellste Reiter ist und wir, das Haus Rian, mit ihm reiten“, sie ließ sich neben ihrer Schwester nieder.

„Wie erträgst Du dieses Wissen? Wie hältst Du es aus?“

„Irgendjemand muss ja die Starke von uns Dreien sein“, lachte diese, „Außerdem haben die Götter einen Plan mit uns. Ein jeder von uns hat eine Aufgabe zu erfüllen...“

„Und welcher ist das?“

„Ich glaube, dass sich selbst die Götter darüber nicht einig sind...“

Sie schwiegen. Das Holz der Eiche hinter ihnen schien nicht nur ihre Körper sondern auch ihre Seelen zu stützen.

„Ich war in letzter Zeit oft hier“, erwiderte die Geweihte mit leiser Stimme, „Die letzte Zeit ist viel passiert. Einiges davon hat auch mir zugesetzt. Ich habe viele gesehen, vieles getan, aber das hier? Wenn ich hier bin, dann werde ich ruhig, kann denken, alles noch einmal überdenken und mir ist, als fiele eine große Last von meinen Schultern, denn was sind schon einzelne Ereignisse in Anbetracht dessen, was dieser Baum alles gesehen haben muss...“

Einen Moment schwiegen sie. Genossen die Geborgenheit dieses Ortes. Es war ein merkwürdiger Ort, so voller Wärme und doch so voller Tod.

„Du wirst über den Winter wieder fort sein?“, es klang wie ein Vorwurf.

„Ja, das werde ich“, bestätigte Nurinai langsam, „Ich werde dringend gebraucht. Ich habe meinen Auftraggeber bereits den Sommer über vertröstet. Nun muss ich gehen und ich will gehen.“

„Du wirst mir wieder nicht sagen, wohin Du gehst?“

„Das wäre auch sinnlos! Über den Winter ist dort ohnehin kein Durchkommen, außerdem verlässt man sich auf meine Verschwiegenheit. Wer sich mir anvertraut soll sicher sein, dass niemand davon erfährt.“

Da nickte die Ritterin verständnisvoll. Sie wusste es ja auch.

„Ich hätte Dich nur gerne an meiner Seite gewusst, denn so sehr ich mich auch gemüht habe, so sehr ich auch gerechnet habe, wieder und wieder...“

„Ich weiß, weiße Lilie, ich weiß.“

„Es reicht nicht: Wir bekommen die Hälfte der Summe, die wir brauchen. Unsere Base beteiligt sich mit 2.000 Dukaten sowie 500 Dukaten jährlich, das koscher Haus Rian, das tobrische Haus Rian und das darpatische Haus Rian beteiligen sich einmalig mit 1.000 Dukaten. Nale unterstützt uns so gut sie kann, mit allem was wir darüber hinaus brauchen, aber sie muss selbst erst einmal eine Burg errichten. Doch es reicht nicht. Es reicht einfach nicht...“

„Du willst ihn nicht fragen“, stellte die Geweihte fest.

„Ja, ich will ihn nicht fragen!“, erwiderte sie erstaunlich ruhig, „Ich will... ich will nicht und... und ich... ich kann auch nicht. Ich... ich bin doch eine freie Albernierin und eine freie Albernierin bettelt nicht. Ich meine... wie sieht das denn aus? Verdammt, wie sieht das denn aus?“

Sie zog ihre Beine enger an sich, bettete ihr Kinn auf ihre Knie und schlug ihre blauen Augen auf: „Wenn ich ihn frage, dann ändert sich alles, dann... dann tritt an die Stelle der Leidenschaft Verpflichtung und es wird nie wieder so unbeschwert sein, wie es war. Ich werde ihm sehr wahrscheinlich... Gefolgschaft schulden, mindestens jedoch einen Gefallen.“

„Du hast uns!“, mischte sich nun die Skaldin ein, die die ganze Zeit über schweigend dagesessen hatte, „Und so lange Du uns hast, so lange wir an Deiner Seite sind, kann Dir nichts passieren. Wir sind drei. Wir sind eins. Wir sind Rians.“ Sie beugte sich vor, ergriff die Hand ihrer Schwester und schaute ihr direkt in die Augen: „Soll ich ihn ausfinding machen und mit ihm sprechen?“

Ailsa schluckte, schloss ihre Augen, holte Atem, spürte die Last auf ihren Schultern. Von ihrer Entscheidung hing es ab, sie war diejenige, die über Aufstieg und Fall entschied. Es war allein ihre Entscheidung und ihre Schwestern verließen sich auf sie, sie zählten auf sie, sie waren mit ihr hierher gekommen, hatten sie stets unterstützt, standen ihr immer treu zur Seite und nun war sie es, die zu stolz war, die einzige Person zu fragen, die sie kannte, die ihr helfen konnte.

Sie schlug ihre Augen auf, sagte mit tonloser Stimme und trockener Kehle: „Ja.“