Geschichten:Dornentriebe - Gedanken einer Ehefrau

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Völlig erschöpft streifte Malina von Niederriet-Brendiltal die Reitstiefel von den Füßen. Die Sattelgasse war leer, und nur das ruhige Kauen und Schmatzen der Pferde war noch zu hören. Sie war erst vor Kurzem aus Perricum wieder eingetroffen, und der wachhabende Reshminianer hatte sie eingelassen. Langsam setzte sich die Rittfrau auf den Schemel und legte den Kopf in den Nacken. Phejanka blies ihr aus den Nüstern noch einmal ins Ohr, bevor sie sich wieder ihrem Heu zuwandte. Die Anspannung, die sich in den vergangenen Tagen bis ins Unermessliche aufgebaut hatte, fiel nun langsam von ihr ab. Die Lügen, die Planungen und zuletzt die bedrückende und erschreckende Wahrheit über ihren Gatten Aurel von Brendiltal, hatten sie schier umgebracht. Für derlei war sie nicht gemacht. Doch es war ihr gelungen - er war entkommen.

Tränen rannen mit einem Male aus ihren Augenwinkeln herab und ein Zittern erfasste ihren Körper. Mit einer trotzigen Geste wischte sich die Kriegerin den Schleier aus den Augen und versuchte den Kloß herunter zu schlucken, der sich in ihrem Hals zu bilden begann. Sie hieb wütend mit der bloßen Hand gegen die Wand in ihrem Rücken.

Wann würden die Bilder verblassen, die Schreie verhallen und die Erinnerung an den schrecklichen Abend getilgt sein? Vor Scham und Gram schlug sie die Hände vor die Augen und hemmungslos brach sich nun Bahn, was sie zuvor so mühsam versteckt hatte. Schluchzend und bebend saß sie eine ganze Weile, und erneut durchlebte sie, was sie gesehen hatte.

Said war der Stein des Anstoßes gewesen, weshalb sie begonnen hatte Aurels Schritte zu verfolgen. Er hatte sie informiert, dass das was Aurel tue, ihn abstieße und es ihre Pflicht sei, dem nachzugehen. Zuerst war sie kurz davor gewesen diesen anmaßenden Dreckskerl zurechtzuweisen. Als es nur darum ging, mit Aurel zu feiern und Spaß zu haben, hatte er nur hämische Blicke für die gehörnte Ehefrau übrig gehabt - es war ihm wichtiger gewesen, diese scheinbare Macht als Adjutant Aurels von Brendiltal inne zu haben. Doch seine stockend vorgebrachten Worte, dass sein Kapithan immer von ihr gesprochen hätte, wenn er... in einem desolaten Zustand gewesen sei, als sei sie eine Heilige und sein Leben, hätten ihn dazu gebracht, doch diesen schweren Weg zu beschreiten! Innerlich war sie kurz davor gewesen, ihre Ehe als gescheitert anzusehen und hatte sich damit abgefunden, für ewig in dem selbst erwählten Exil, dem Bundeshaus der Reshminianer, zu residieren. Aber diese sehr emotional vorgetragene Rede Saids oder sollte sie einfach sagen Lügengeschichte - dafür hatte sie sie nämlich gehalten - hatte sie derart beunruhigt, dass sie sich selbst ein Bild machen wollte. Glücklicherweise war sie in der Reichsstadt auf diese Zeugin gestoßen. Mit ihrer Hilfe und denen der Garde war sie diesen feinen Herrschaften auf die Schliche gekommen. Mit vielem hatte sie gerechnet, doch keinesfalls mit einem bekannten Gesicht. Selinde von Löwenhaupt-Berg! Die Zeugin hatte das Gesicht der Adligen von einem Fest wiedererkannt und war ihr gefolgt bis zu diesem Gut. Nach anfänglichem Taktieren, bis Malina hatte durchblicken lassen, dass ein „Familienmitglied“ möglicherweise ihrer Hilfe bedürfe, hatte sich ein offenes Gespräch entwickelt. Ihr waren wertvolle Hinweise gegeben worden, mit deren Hilfe sie weiter forschen konnte. Als säße sie nur einen Schritt entfernt sah sie im Geiste erneut wie Selinde, diese starke und auffallende Erscheinung, am Fenster der Villa stand und mit verkrampften Händen und monotoner Stimme davon berichtete, dass auch sie den Absprung suchte und ihr alles Gute wünschte bei dem Versuch, ihn zu retten. Insbesondere der Blick der jüngeren Frau hatte sie frösteln lassen, war er doch ohne viel Hoffnung gewesen. Ihr alter Kampfgeist war aufgeflackert. Als 1. Feldrittmeisterin der in Perricum bekannten Reshminianer war es ihr später gelungen, die Stadtgarde trotz der neuen Erkenntnisse zu beschwichtigen und für besonnenes Handeln statt einer offenen Verfolgung zu gewinnen. Den Namen der Frau hatte sie aus dem Spiel gelassen.

Eine sehr kompetente Einheit, die nicht dumm war und ihre Erfahrungen aus der Jagd wider das Untier nicht vergessen hatte. Nie würde sie vergessen, wie sie am Abend vor dem Tor des Anwesens standen. Kutsche um Kutsche war aus Perricum und den umliegenden Ländereien angefahren gekommen. Maskierte, halbnackte Menschen, Frauen wie Männer waren gekommen. Einige gar mit Leinen wie Hunde herausgeführt und unter Schlägen. Dann der Zugriff. Sie wusste wo er sein würde, wo sie sich üblicherweise aufhielten. Er schlüpfte mit Said in die Tracht der Garde, die sie im Garten versteckt hatte.

Aber leider hatte es auch Tote gegeben. Eine davon, Hanjida von Zolipantessa, hatte sie selbst gefunden. Sie lag gefesselt auf einem Wagenrad und war entstellt von unzähligen Wunden, zugefügt von maskierten Peinigern, die sich noch während des Eindringens der Bewaffneten an den Schreien der Frau ergötzt hatten. Der Ausdruck der grauen Augen... Ein Schluchzen entrang sich erneut ihrer Kehle, und es brauchte eine Weile, bevor sie wieder ruhiger atmen konnte.

Die Räumlichkeiten waren alle in ein unheimliches Licht sowie den Dunst von Rauschkräutern getaucht gewesen. Für sie als ehemalige Raulsche aus Darpatien waren die Ausschweifungen des Adels und Bürgertums noch immer ein wenig befremdlich, aber die Lust der Peiniger, Schmerz gepaart mit unguter, egoistischer Lust zu erleben, ungeachtet des Leides des Gegenübers, hatte ihr Übelkeit bereitet. Einige der Schwerverletzten waren viel zu jung und außerdem nicht von Stand, als das es überhaupt ihr freier Wille gewesen sein konnte, hier zu sein. Die unerklärlichen Morde, das Verschwinden von jungen Menschen, hier hatte man die Antwort gefunden, was mit ihnen geschehen war. Erneut kam ihr Galle hoch. Elend lehnte sie sich mit schweißnasser Stirn an den Stallgang.

Übelkeit kroch beständig weiter ihren Rücken hoch und sie würgte, schaffte es aber noch hinaus in den Hof, wo sie sich in der Dunkelheit übergab. Elend fühlte sie sich danach und noch schwächer als zuvor. War ihr Körper auch völlig erschöpft, so war ihr Geist noch in Aufruhr. Warum nur war Selinde von Löwenhaupt-Berg an diesem Abend ausgerechnet hier gewesen? Der Blick aus ihren Augen, fast dankbar war er gewesen.

Aurel- wie dumm er doch war. Nie und nimmer hatte er gedacht, dass ausgerechnet seine ach so duldsame Ehefrau ihm folgen würde. Ertappt hatte sie ihn, inmitten dieser Leute- auch wenn er an diesem Abend nur derjenige war, der sich mit Said und einer Wasserpfeife in einer Ecke herum getrieben hatte. Einfach seine Anwesenheit in diesem Haus hatte in ihr etwas zum Bersten gebracht. Nur mit extremer Selbstbeherrschung war es ihr möglich gewesen, ihn dort hinaus zu lotsen und ihm zu bedeuten, was zu tun sei. Mitleid, Mitleid mit dem Vater ihrer Kinder, bewusst, dass sein Seelenheil in Gefahr war. Raul - er hätte so gern gelebt und überlebt. Aurel stattdessen hatte sein Möglichstes getan, um genau dorthin zu gelangen wo sein Bruder bereits weilte. Als Mann hatte er ihr Vertrauen verspielt - selbst die Tatsache, dass er sich nach den Aussagen Saids dort nicht mehr wohl fühlte, ließ sie am heutigen Abend nur frösteln. Entschlossen nahm sie eine der Satteldecken und rollte sich in der Kammer des Stallburschen auf die einfache Schlafstatt. Frühestens morgen wollte sie irgendjemanden sehen, wenn sie wieder Haltung und Fassung aufgebaut hatte...!