Geschichten:Die andere Hand

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Kaiserlich Sertis, Pfalz Breitenhain, Mitte Peraine 1032 BF


Der Gast räkelte sich genüsslich auf dem brokatsamtenen Divan und nippte genüßlich einen weiteren Schluck harzig duftenden Wein aus dem kunstvoll mit Edelsteinen verzierten Goldpokal. Durch das geöffnete grüne Butzenglasfenster konnte man den nahen Reichsforst sehen. Laue Frühlingsluft, die nach den Blüten des Frühlings und der herben Walderde roch, wehte herein und bauschte leicht die grünen Vorhänge. Von unten herauf konnte man leise die Gärtner schwatzen und herzhaft lachen hören, deren Arbeit im Rosengarten auch nach dem bitteren Tod der Pfalzgräfin nicht beendet war.

"Nicht wahr, es ist zu schade, dass die edle Dame der Pfalz, der Herr Boron, oder wer auch immer sich ihrer Seele bemächtigt hat, sei ihr gnädig, sich nicht mehr an meiner großzügigen Schenkung wird erfreuen können. Ich verspreche Euch, Wirsel, wenn ihre Zeit gekommen ist, wird jene Rose, die heute von Euren treuen Dienern gepflanzt wird, den betörendsten Duft verströmen, den Ihr Euch nur vorstellen könnt. Ich fand sie bei meinen Reise durch das Mhanadistan diesen Winter und sofort musste ich an Euren Herren, den netten Pfalzgrafen von Hartsteen denken."

Ein wenig fühlte sich der Burgkastellan unwohl in seiner Haut. Ihm behagte es nicht, das Kaiserliche Empfangszimmer, wie man es auf der Pfalz nannte, zur Unterredung mit seinem Gast zu nutzen. Er räusperte sich und setzte an zu sprechen: "Und Ihr sagtet, Seine Edelhochgeboren wäre gut mit Euch bekannt?"

Lässig winkte der Gast ab und roch an seinem Weinkelch. "Bekannt ist vielleicht zu viel gesagt. Wir gehören dem gleichen Freundeskreis an, müsst Ihr wissen. Wir teilen die gleiche Vorliebe für Herrschaften, die sich von niemanden herumkommandieren lassen wollen und die Freundschaft nicht für eine Platitüde halten."

Reo Rondriol vom Wirsel nickte automatisch. Der Kerl war ihm suspekt, wenn auch er ihm ein ungewohntes Vertrauen vermittelte. Er war am gestrigen Abend angereist, hatte sich durch den Major Domus anmelden lassen und um ein Gespräch mit ihm persönlich gebeten. Bisher hatte noch niemand sich mit ihm unterhalten wollen, seitdem er seinen Dienst für den launenhaften Pfalzgrafen absolvierte.

"Seitdem Ihr hier in Sertis seit, habt Ihr hervorragende Dienste geleistet, Wirsel. Wir haben ein Auge auf Euch geworfen. Ihr seid klug und vernünftig, frönt nicht den Eitelkeiten der Hoffart und fangt an, die maroden Finanzen der Pfalzgrafschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Euer Vorhaben, eine Waldglashütte in Seeweiler anzusiedeln, um dort eine Glasmanufaktur zu beginnen, zeugen zudem vom Geiste eines wahren Meister des Fuchses."

Der Burgkastellan fühlte sich geschmeichelt. Tatsächlich war die Idee nicht die seine gewesen, sondern stammte vom Leibmedicus Tumanjan des Pfalzgrafen, die dieser in den letztem Tagen vor der Amtsübergabe an den gebürtigen Kaisermärker flüchtig skizziert hatte. Erst vor kurzem war er dessen alte Aufzeichnungen durchgegangen und neben anderen Ideen die Idee der Glashütte gefunden. Der Sand am westlichen Ufer des Eynweyher schien geradezu prädestiniert für die Glasherstellung, wenn auch Reo Rondriol für die ersten Jahre nur mit einem geringen Ertrag rechnete. So fühlte er sich zwar ein wenig unwohl, die Idee seines Vorgängers für die seine auszugeben, aber den undurchschaubaren Tulamiden, in dessen Adern nicht ein Tropfen mittelreichisches Adelsblut floss und der noch immer seinem Herren als Ratgeber diente, fand er unheimlich und unangenehm.

"Wirklich, einen so brillianten und hervorragenden Verwalter hat die Pfalz noch nie gesehen, und so hohes Ansehen der hohe und alte Adel seines Herren dem Land auch bringt, auf lange Zeit sehen wir keine rechte Zukunft. Für Euch. Wie viel mehr könnte ein Mann von so edler Abstammung und so großen Fähigkeiten doch erreichen. Stattdessen müht Ihr Euch für kleine Brosamen im Niemandsland der Provinz ab, um Eure Erfolge dem Namen des Hauses Hartsteen zu überlassen."

Verwundert hörte Reo Rondriol seinem Gast zu. Dessen Rede war impertinent, anmaßend und verstieß gegen jedes Gefühl von Loyalität, welches der Burgkastellan verspürte. "Bei allem Respekt, mein Herr, so könnt Ihr nicht mit mir reden! Ich diene dem Herrn Pfalzgraf mit Hingabe und erfülle die an mich gestellte Aufgabe ohne Klagen. Natürlich träumt man als junger Ritter von anderen Aufgaben, träumt von Ruhm, Ehre und Macht, aber wenn man älter wird, dann sieht man, wie die Dinge zusammenlaufen und wie das Reich funktioniert."

Lächelnd beugte sich der Gast nach vorne. Reo Rondriol meinte fast, er wolle sich über ihn lustig machen, aber seine Stimme klnag fest und bestimmt. "Wer bestimmt denn den Lauf der Geschichte des Menschen? Der Diener, der seines Herren Nachttopf lehrt, oder der Soldat, der sich in der Schlacht erschlagen lässt? Oder sind es nicht doch eher die Menschen, welche sich von niemanden wirklich etwas befehlen lassen und ihre eigenen Ziele unverbrüchlich verfolgen, auch wenn ihre Durchführung manchmal die Mittel des normalen Menschen in den Schatten stellen? Ich habe Trollzacker Barbaren kennengelernt, die als hochdekorierte Helden aus den Händen der Kaiserin Ehre und Orden empfingen und deren Ruhmestaten von den Barden des ganzen Landes besungen werden. Wann, Wirsel, habt Ihr das letzte Mal auch nur die Kaiserin persönlich gesehen?"

Der Gast lehnte sich wieder zurück und ließ eine kurze Redepause entstehen. Der Burgkastellan fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen und schwieg. Das Gespräch war ihm zunehmend unangenehmer geworden, wenn auch der Fremde eine Saite in ihm hatte zum klingen bringen lassen.

"Wenn Ihr wirklich nach Euren Fähigkeiten leben wollt, Wirsel", fuhr der Gast mit harter Stimme fort, "dann wacht langsam aus Euren Träumereien auf und nehmt das Heft selber in die Hand. Es gibt immer Mittel und Wege, um sich in den Augen seiner Mitmenschen zu beweisen und von ihnen bewundert und verehrt zu werden."

"Und welche Wege sollen das sein?"

"Sichert Euch Euer eigenes Lehen und hört auf, ein kleiner Diener eines unfähigen Herren zu sein. Bedenkt nur, welche traurige Geschichte es gewesen wäre, wenn Seine Edelhochgeboren bei diesem furchtbaren Anschlag im letzten Herbst sein Leben verloren hätte. Kein Spross des edelen Odilberts hätte mehr einen echten Anspruch auf diese Kaiserliche Pfalz erheben können, und wer weiß, ob nicht die Kaiserin einem so verdienten und fähigen Verwalter wie Euch nicht die Zügel über die Geschicke dieses unbedeutenden Flecken Land übertragen hätte. Ja, es wäre so überaus tragisch, stürbe der nette Pfalzgraf zu Sertis. Wer solle ihm denn dann nachfolgen, Wirsel?"

Es drehte sich fast alles in Reo Rondriols Kopf. Mit ein paar wenigen höflichen Floskeln verabschiedete er seinen Gast und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Doch anders als sonst erschienen ihm die Aufgaben der Pfalz als lächerlich unwichtig und peinlich gering.

Jemand hatte einen Samen gesät und es war nur eine Frage der Zeit, bis daraus eine Pflanze werden würde.


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16. Phe 1032 BF
Die andere Hand
Sertiser Rosensonett


Kapitel 5

Autor: Hartsteen