Geschichten:Die Würfel sind gefallen – Ertappt!

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 1. Travia, am Abend

Yolande fühlte sich ertappt. So wie damals. Damals als sie ein junges Mädchen gewesen und zum ersten Mal von einem Jungen geküsst worden war und diesen Kuss auch erwidert hatte. Damals. Und ihre Mutter hatte es irgendwie gewusst. Nicht dass sie etwas gesagt hatte, ihre Blicke hatten vollkommen ausgereicht. Und Yolande hatte sich ertappt gefühlt und so fühlte sie sich jetzt auch.

„Führt Nebelstreif“, forderte die Geweihte sie auf und Yolande begann ihre Stute weiter im Kreis zu führen, so wie zuvor auch, „Langsame Bewegung tut ihr gut.“

„Ich weiß“, erwiderte die Raukenfelserin.

„Dann wisst Ihr gewiss auch, was Nebelstreif hat?“

„Eine Kolik. Ich weiß.“

„Hat sie das öfter?“

„Noch nie. Keines meiner Pferde. Noch nie...“, sie seufzte schwer, „Ich passe immer gut auf meine Pferde auf. Immer. Mir ist so was noch nie passiert...“

Nurinai nickte verständnisvoll.

„Das Mädchen hat darauf bestanden, Euch dazu zu holen“, Yolande schenkte der Geweihten einen vielsagenden Blick, „Sie scheint eine hohe Meinung von Euch zu haben...“

„Wie ich sagte: Sie verfügt über einen äußerst wachen Verstand“, wiederholte Nurinai da, „Ungewöhnlich für ein Kind in ihrem Alter...“

„Für ein Bauernkind in ihrem Alter“, fügte Yolande geradezu sarkastisch hinzu.

Das entlockte der Geweihten ein Lächeln: „Ich sehe, sie ist nicht die Einzige mit einem äußerst wachen Verstand...“

Nun lachte die Raukenfelserin: „Für eine Boron-Geweihte seid Ihr aber ziemlich geschwätzig...“

„Vielleicht sind die anderen einfach nur ziemlich... hm... wortkarg?“

„Nein, ich glaube Ihr seid einfach nur geschwätzig, Ihro Gnaden.“

Nurinai lachte. Ein herzliches und warmes Lachen, dass jegliche Fremdheit zwischen den beiden Frauen verschwinden ließ und Yolande war plötzlich, als würde sie die Geweihte seit jeher kennen, seit frühester Kindheit, als wäre sie eine gute Freundin, der sie alles anvertrauen konnte.

„Ihr habt ein sehr schönes Lachen“, merkte Yolande da an und fühlte die Hitze in ihren Wangen, hoffte jedoch, dass ihre Gegenüber es nicht sehen konnte.

„Ihr meint, für eine Boron-Geweihte?“

„Nein. Ihr habt einfach ein schönes Lachen. Einfach so. Im Allgemeinen.“

Nebelstreif schnaubte als wolle sie ihrer Reiterin zustimmen.

Einen Moment war Nurinai sprachlos, dann jedoch erwiderte sie: „So ein Kompliment hat mir noch nie jemand gemacht.“

„Dann hat Euch wohl noch nie jemand lachen gehört?“

„Doch schon, aber...“, die Geweihte schien sichtlich verwirrt zu sein, zuckte etwas hilflos mit den Schultern, seufzte schwer und wollte gerade etwas erwidern, da ging erneut die Stalltür auf und Nella gefolgt von ihrer Mutter trat ein.

„Ich habe den hohen Damen ein kleines Mahl bereitet“, erklärte Mirya Rosna schüchtern und stellte ein größeres Holzbrett mit Käse, Wurst und Brot auf einer Truhe ab, „Und euch einen Krug Bier mitgebracht.“

„Und sogar zwei der leckeren Küchlein, die meine Mutter immer macht“, fügte das Mädchen eifrig nickend hinzu und tatsächlich mischte sich in den Geruch aus Heu, Stroh und Schweiß von Mensch und Pferd ein süßlicher Duft. Ein Duft der nach Heimat und Kindheit roch und Geborgenheit versprach. „Und die sind vielleicht lecker...“, Nella seufzte, als liege eine schwer Bürde auf ihr „Die sind so lecker!“

„Die hohen Damen werden die Nacht hier draußen verbringen?“, wollte die Hausherrin anschließend noch zaghaft wissen.

„Werden wir. Es wird eine lange Nacht. Schlaf werden wir gewiss nicht finden“, antwortete die Geweihte freundlich.

„Dann seien die Götter mit euch und mit Eurem Pferd“, verabschiedete sie sich und schob die neugierige Nella mit hinaus.

„Sie sieht schlecht aus“, merkte Yolande an, „Die Hausherrin sieht schlecht aus. Sehr schlecht.“

„Sie war sehr krank“, erklärte Nurinai diplomatisch, „Und ich glaubte sie schon verloren, doch es war noch nicht ihre Zeit, obschon Golgari nahe war, unglaublich nahe... Selbst ich konnte das Rauschen seiner Schwingen bereits hören...“

„Dann versteht Ihr wohl etwas von dem, was Ihr tut...“

Nurinai rang sich ein Lächeln ab: „Ihre Zeit war noch nicht gekommen.“

„Woher weiß man, wann die Zeit gekommen ist?“

„Das weiß man nicht“, hob die Geweihte da an, „Und stellt Euch einmal vor, man wüsste es? Man würde den genauen Tag, ja die genaue Stunde kennen? Man würde doch nur auf eben jenen Tag, eben jene Stunde hinleben! Das ganz Leben drehte sich um den eigenen Tod! Das, Frau von Raukenfels, ist kein Leben und deswegen haben die Götter es so gefügt, wie sie es gefügt haben.“

Eine Zeit lang schwiegen sie sich an. Ein lautes Schweigen. Ein bedrückendes Schweigen. Keine von beiden konnte es so recht ertragen.

„Und mein Herr“, fügte Nurinai schließlich hinzu, „der schätzt es ganz und gar nicht, wenn er Golgari zu früh losschicken muss, vor unserer Zeit. Denn er schätzt das Leben, so wie...“

Nebelstreif schnaubte und die Stalltür ging erneut auf und herein schlich ein kleines Mädchen in einem weißen Nachthemd. Auf Zehenspitzen, damit man sie nicht hörte. Und so glaubte sie wohl auch nicht, dass man sie hört.

„Ertappt!“, begrüßte Nurinai das Kind und baute sich vor ihr auf.