Geschichten:Die Umarmung eines alten Freunds

Aus GaretienWiki
Version vom 8. Januar 2022, 20:12 Uhr von Jan (D | B)
(U) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (U) | Nächstjüngere Version → (U)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die alte Geweihte der Hüterin des Lebens blickte auf den langsam vor sich hinziehenden Fluss. Ihr Gesicht war durchzogen von tiefen Furchen. 81 Götterläufe wandelte sie nun schon auf dem Dererund. 69 Götterläufe davon im Dienst der Herrin Peraine.
Sie konnte sich noch gut an ihren ersten Tag des Noviziats erinnern. Ein müdes Lächeln huschte über ihre Gesichtszüge als sie sich daran erinnerte, wie ihre Mentorin sie zu sich nahm. Sie lebten in einem kleinen Häuschen, inmitten eines Blumenmeeres. Von ihr hatte Sheila die Liebe zu ihren Blumen übernommen. Das Grübeln, welche Blumen sie versuchen sollte zu kreuzen. Und schließlich das wundervolle Gefühl, wenn aus einem Samen langsam ein grüner Trieb ausging.

Und dann lernte sie ihren Mann kennen. Ein humorvoller und liebenswürdiger Geselle mit butterweicher Stimme und sanften Augen, in denen sie sich oft verloren hatte. Wenn er dann so in ihrem Meer aus Blumen stand, sagte sie immer, „von allen Blumen, die ich hier um mich habe, bist du die schönste“. Das hatte ihn immer erröten lassen und wenn er mal länger weg war, hatte er immer versucht neue Blumen von den Orten seiner Reise ihr mitzubringen. 58 Götterläufe waren sie im Bund Seite an Seite gewandelt. Hatten sich geliebt und gestützt, vor allem in Zeiten der Trauer und der Schwere hatten sie sich gegenseitig geholfen.

Als vor gut 41 Götterläufen ihr Vater aus der Ogerschlacht nicht wiederkehrte war er Aurelian, der sich liebevoll um sie kümmerte und gleichzeitig ihr genug Freiraum einräumte, um trauern zu können.
Dabei hatte er es selbst nicht leicht, verstarb doch zur gleichen Zeit sein jüngster Bruder ebenfalls in diesem schrecklichen Krieg.
Ja, das hatten die beiden Eheleute miteinander gemein. Über die Götterläufe waren alle aus ihren näheren Familien verstorben. Die Eltern, die Geschwister. Am Ende waren nur Sheila und Aurelian geblieben.

Die alte Dame blickte mit wässrigen Augen zum Horizont, wo langsam das Praiosmal unterging und das Licht zu erloschen drohte. Gleich wie nun vor nicht allzu langer Zeit bei ihrem Mann, Freund, Gefährten und Partner. Rahja hatte ihn zu sich geholt und nun war Sheila allein zurückgeblieben. Eine einzelne Träne der Sehnsucht suchte sich ihren Weg durch das faltige Gesicht, das schon so vieles erlebt und gesehen hatte.
Eine bleierne Müdigkeit hatte die sanftmütige Blumenzüchterin ergriffen. Es war nun auch für sie Zeit zu gehen. Langsam und bedächtlich schritt sie voran, das kühle Nass des Darpats umschloss sie, doch es fühlte sich nicht bedrohlich an. Eher wie eine Umarmung eines alten Freunds, der schon viel zu lange auf einen gewartet hatte. Ein letztes Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Alten.