Geschichten:Die Rückkehr der Pfortensteiner - Erntehilfe

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Mitte Efferd 1044 BF, Markt Rallingen, kurz vor Sonnenaufgang

Perainidane war noch vor dem ersten Hahnenschrei erwacht. Seit Tage schon war die junge Tempelvorsteherin von einer inneren Unruhe erfüllt, die sie sich nicht erklären konnte und hatte Alpträume von lodernden Flammen, die sie regelmäßig um den Schlaf brachten. Sie erhob sich von ihrem Lager und ging zu dem kleinen Tisch mit der Wasserschüssel hinüber, um sich das Gesicht zu benetzen. Die Nächte wurden bereits merklich kühler, sodass das Wasser eine erfrischende Kälte hatte, die sie umgehend völlig wach werden ließ. Geschwind schlüpfte sie in ihre Roben und verließ den Tempel auf leisen Sohlen. Keiner der übrigen Bewohner sollte wegen ihrer Unrast um den gesunden Schlaf gebracht werden.

Auf der Tempelschwelle blieb sie stehen und sah sich um. So recht wusste sie nicht, wohin sie ihre Schritte lenken sollte, und begab sich zuerst zum Marktplatz, an dem sich die Wege durch den Ort kreuzten. Die junge Geweihte war erst vor wenigen Wochen nach Rallingen berufen worden und musste sich in der noch immer herrschenden Dunkelheit erst einmal orientieren. Dort wo der Nachthimmel bereits ein wenig heller wurde, führte die breite Handelsstraße aus dem Marktflecken heraus nach Osten, wo sie kurz vor der Reichsstadt Hirschfurt auf die Angbarer Reichstraße traf. Im Süden führte ein Karrenweg zum Dorf Windfels, wo aus einer Solequelle das Salz gewonnen wurde, welches einen großen Anteil am Wohlstand Rallingens, aber auch dem der Junker von Erlenfall hatte. Gen Westen führte die breitere Straße an der fast fertigen trutzigen Burg Rallingstein vorbei hin zur Stadt Schwarztannen und der Baronsburg Scharfenstein, wo sie ihre gute Freundin und Glaubensschwester Lindegard wusste. Nach Norden führte nur ein schmaler Pfad durch die Feuchtwiesen zum Efferdtempel am Ufer der Raller, die hier wenige hundert Schritte vom Ort entfernt die Grenze zur benachbarten Grafschaft Waldstein markierte.

Perainidane wanderte nun den Karrenweg entlang nach Süden, wie sie es zuletzt an jedem Morgen getan hatte. Während die Böden zur Raller hin zu nass waren, um Getreide anzubauen, so hatten sie südlich der großen Handelsstraße die ideale Zusammensetzung aus Fruchtbarkeit und Feuchtigkeit, die es brauchte, um das Korn zur Erntezeit schwer in den Ähren hängen zu lassen. Eine frische Brise von Osten ließ die Halme wogen und erzeugte ein Rascheln, dass in der Stille des klaren Efferdmorgens erstaunlich laut klang. Die Geweihte hatte die letzten Hütten des Dorfes hinter sich gelassen und verharrte kurz mit geschlossenen Augen, um die Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Dann trat sie vorsichtig in das erste Feld und pflückte eine Ähre von ihrem trockenen Halm. Behutsam entnahm sie ein paar Körner und zerrieb sie zwischen ihren Händen. Sie waren reif. Heute würden sie endlich mit der Ernte beginnen können.


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Es war Nachmittag geworden. Die Praiosscheibe hatte den höchsten Stand ihres Laufs überschritten und schickte aber noch immer ihre wärmenden Strahlen auf die Felder hinab. Die Peraine-Geweihte stand bei den südlichen Feldern, wo man mit der Ernte angefangen hatte. Viele Garben waren schon zur Tenne gebracht worden, wo sie eifrig mit Dreschflegeln bearbeitet wurden. Auf dem Marktplatz standen zwei Wagen bereit, um die ersten mit frischem Korn gefüllten Säcke zur Burg des Marktvogtes zu bringen. Die Arbeit ging gut voran und alle waren guter Laune. Zwei Wachen, Schwestern aus dem Dorf, die sich dem Marktvogt als Büttel angedient hatten, saßen auf den aus Feldsteinen aufgeschichteten Feldbegrenzungen, die Piken nachlässig an die niedrige Mauer gelehnt und teilten sich ein verspätetes Mittagsmahl aus frischem Brot, Käse und dünnem Bier.

Mit einem Mal entstand Unruhe unter den Bauern. Einige zeigten nach Nordosten, wo die Straße aus Hirschfurt heranführte. Perainidane folgte mit ihrem Blick den ausgestreckten Fingern und erblickte eine Gruppe von gut zwei Dutzend gewappneten Reitern in zwei Reihen auf den Markt zu halten. Die Wappen konnte sie aus der Entfernung nicht gut erkennen, doch schien es Gold auf rotem Grund zu sein. Es waren also keine Erlenfalls, denn ihre Familie trug Grün auf goldenem Grund. Schließlich verschwanden sie hinter den ersten Häusern aus ihrem Blick. Neugierig ging die Geweihte an der Straße entlang zurück ins Dorf. Auch die beiden Wächterinnen waren aufgestanden, hatten nach ihren Piken gegriffen und gingen hinter ihr her.

Plötzlich hörte Perainidane laute streitende Stimmen vor sich, dann einen Schmerzensschrei, der von noch mehr aufgebrachten Rufen gefolgt wurde. Eilig bog sie um die letzte Häuserecke und stand auf dem Marktplatz von Rallingen. Vor ihr standen die beiden Karren mit dem als Abgabe für den Marktvogt bestimmten Getreide, umringt von einem halben Dutzend Ritter. Zwei Stadtwachen standen mit unsicher gehobenen Piken daneben, während eine Dritte ihren Spieß fallen gelassen hatte, um einen vierten, blutend am Boden liegenden Kameraden versorgte. Ein großer Teil der Reiter hielt mit ihren Lanzen die restlichen herbeigeeilten Stadtwachen in Schach, während sich gerade zwei von ihnen auf die Fuhrwerke setzte und die Zügel der Ochsenkarren übernahmen. Die beiden Wächterinnen vom Feld blieben angesichts der offenbar feindlichen Übermacht wie angewurzelt hinter der Geweihten stehen.

„Was geht hier vor sich?“ Perainidanes Stimme trug gerade weit genug, dass der nächste Ritter auf sie aufmerksam wurde. Als er erkannte, wen er vor sich stehen hatte, senkte er das Schwert, an dessen Spitze es im Sonnenlicht rot glitzerte, und neigte ehrerbietig den Kopf.

„Euer Hochwürden“, sprach Rondradan von Pfortenstein ruhig, „wir sind gekommen um zu holen was uns zusteht. Sicherlich hat Euch Junker Emmeran darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir uns seit dem gestrigen Tag offiziell im rechtlichen Zustand der Fehde befinden.“

„Was? Nein, davon weiß ich nichts.“ Die junge Geweihte hatte in den letzten Monden viel Tod und Gewalt gesehen, als sie den Baron in seinem Abwehrkampf gegen die Waldsteiner Plünderer begleitet hatte. Sie hatte gehofft, dergleichen nie wieder erleben zu müssen, doch nun war die Fehde zu ihr ins bisher friedliche Rallingen gekommen. „Aber warum nur? Wie kommt Ihr dazu?“

„Wir sind durch die Familie Erlenfall zutiefst beleidigt worden“, antwortete das Pfortensteiner Oberhaupt im Brustton der Überzeugung. „Der Fehdebrief wurde schon vor Wochen zugestellt und die Fehde wird andauern, bis unsere Ehre wiederhergestellt ist. Die Karren hier nehmen wir als erste Kompensation mit.“ Damit gab er seinen Leuten ein Zeichen. Peitschen knallten und die Fuhrwerke setzten sich in Gang. Fünf Ritter begleiteten sie, während Rondradan mit den Pfortensteiner Waffenknechten noch ein Viertel Stundenglas die Stellung hielt und dafür sorgte, dass die langsamen Karren genügend Vorsprung erhalten würden, bevor jemand den Marktvogt in seiner Burg informieren konnte.

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Edelbrecht vernahm ein wildes Hämmern an der Tür seiner Schreibstube. Augenblicklich sprang er erschrocken auf und warf dabei versehentlich das Tintenfass um, dessen Inhalt sich über einen gerade fertig geschriebenen Brief ergoss. Seine Gattin Wilmunde, die am anderen Ende des Tisches gesessen hatte, griff gedankenschnell nach den restlichen Pergamenten auf dem Tisch und rettete sie davor dasselbe Schicksal zu erleiden.

„Herr! Herr! Rallingen wurde überfallen!“

So schnell er konnte war der Erlenfaller an der Tür und schob den Riegel beiseite. Vor ihm stand mit panischem Blick ein junger Soldat, der soeben vor der Nase seines Herren noch die Faust bremsen konnte, mit der er gerade wieder gegen die schwere Eichentür hatte schlagen wollen. In seiner Panik schrie er den direkt vor ihm stehenden Marktvogt förmlich an.

„Herr! Plünderer waren in Rallingen! Ein Bote aus dem Dorf ist gerade gekommen. Die haben die halbe Ernte mitgenommen!“

Grob stieß Edelbrecht den verdutzten Wachmann zur Seite und eilte in den Burghof. Dort fand er die sehr unglücklich dreinschauende Anführerin der Stadtwachen, die er sofort zur Rede stellte.

„Hauptfrau Firnfrieda! Was genau ist vorgefallen?“ Er deutete auf den ihm hinterhergeeilten jungen Wachmann. „Der Trottel hier schreit etwas von Plünderern? Das ist unmöglich, wir haben Frieden mit den Waldsteinern geschlossen!“

„Nun ja, Herr“, antwortete die Gescholtene betreten zu Boden schauend, „es waren keine Waldsteiner. Es waren Reichsforster Ritter. Hauptsächlich Pfortensteiner Wappen.“

„Was? Warum sollten sie? Das war bestimmt eine Waldsteiner List!“ Wütend und mit hochrotem Kopf schritt Edelbrecht vor der unglücklichen Soldatin auf und ab. „Und warum, bei den Niederhöllen, habt ihr sie nicht mit blutiger Nase abgewiesen?“

„Sie waren in der Überzahl, Herr und sie haben uns vollkommen überrumpelt.“ Firnfriedas Stimme drohte vor Scham zu versagen. „Sie haben einen meiner Leute übel zugerichtet, als er es wagte die Waffe gegen sie zu erheben. Ihro Gnaden Perainidane meinte aber, er würde durchkommen.“

Plötzlich trat Wilmunde an die Seite ihres Gatten und hielt ihm ein Pergament hin. „Das hier ist mir gerade in die Hände gefallen“, presste sie tonlos zwischen den Lippen hervor. „Du hättest es doch besser gleich lesen sollen. Sie haben uns die Fehde erklärt.“

Verständnislos sah Edelbrecht vom Pergament zu Wilmunde und zurück. Dann fiel sein Blick auf das erbrochene Siegel, das an dem Schreiben hing. Der Erlenfaller erkannte das Wappen der Pfortensteiner und begriff schlagartig was passiert war. Sein Gesicht verzog sich zu einer hasserfüllten Fratze. Er entriss seiner Gattin das Schreiben, warf es mit aller Kraft quer über den Burghof und brüllte ihm einen unartikulierten Wutschrei hinterher.