Geschichten:Die Rückkehr der Pfortensteiner - Die rote Linie

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mitte Hesinde 1044 BF, Dorf Kronweiher, zur Mittagsstunde

Die Dörfler waren vollkommen arglos, denn sie hatten sie nicht kommen hören. Fast lautlos hatten die Reiter sich dem Dorf von Westen kommend, über den verschneiten Karrenweg, der Kronweiher mit der großen Handelsstraße verband, genähert. Auf der letzten Hügelkuppe zogen die Waffenknechte ihre Schwerter und gaben ihren Pferden die Sporen. Schnee stob auf und hüllte die hinteren Reihen in eine dichte weiße Wolke. Wie ein Wintersturm kamen sie über den Ort. Schreiend stoben die wenigen Menschen auseinander, die sich im Freien aufgehalten hatten und schlugen die Türen ihrer Hütten zu.

Nur ein einzelner älterer Mann in bürgerlicher Tracht trat den Gewappneten auf dem Dorfplatz entgegen, unsicher eine Mistforke in den Händen haltend. Als die Reihe der Reiter an ihm vorbei auf das große Lagerhaus zu ritt, drehte der Mann sich, um ihnen hinterherzulaufen. In diesem Moment traf ihn die Spitze eines im Galopp geschwungenen Schwertes. Die Klinge fuhr tief in seinen Hals, glitt nach oben, spaltete seinen Schädel und schleuderte den Mann mehrere Schritte durch die Luft. Er war tot, noch bevor sein lebloser Körper wieder auf dem Boden aufschlug.

Wenige Minuten später waren alle Reiter vor dem Lagerhaus abgesessen. Ohne großes Federlesen begannen die Waffenknechte damit, prall gefüllte Getreidesäcke auf die mitgeführten Packpferde zu binden. Das einzige Pferd des Dorfes wurde aus dem Stall geführt und ebenfalls beladen. Zwei Ritter hielten die wenigen Wagemutigen in Schach, die sich trauten durch halb geöffnete Fensterläden zu spähen. Aus dem größten Haus am Platz war ein lauter Klageschrei zu vernehmen, der in hemmungsloses Schluchzen und Wimmern überging.

Jesmina von Erlenfall reinigte ungerührt ihr Schwert an einem Stück Leinen, das sie ihm Lager gefunden hatte. „Was plärrt die so?“, fragte sie, als einer der beiden Ritter sich zu ihr gesellte.

„Der Alte war wohl ihr Vater“, gab Ardach von Windfels mürrisch zurück. Der ältere Ritter war nicht glücklich über das vergossene Blut, doch vermied er es der Tochter und Erbin seines Lehnsherren Vorhaltungen zu machen. Sollte Junker Emmeran selber entscheiden, ob er ihr Verhalten guthieß oder nicht.

Die junge Ritterin blickte von der Leiche zum Haus und überlegte kurz. „Wird wohl der Schulze gewesen sein.“

„Vermutlich,“ stimmte ihr Ardach zu. „Das größte Haus im Dorf und er hatte als Einziger den Mumm die Waffe gegen uns zu heben.“

„Pfff!“ Jeswina stieß abfällig Luft durch die Lippen aus. „Soweit ich weiß, haben die Pfortensteiner hier im letzten Götterlauf einen Bauern zum Vogt erhoben, weil sie keine Ritter mehr in ihrem Gefolge haben. Das erklärt dann wohl auch seinen jämmerlichen Aufzug.“ Achtlos warf sie den nun blutgetränkten Stofffetzen beiseite und schob ihr Schwert energisch zurück in die Scheide.

„So oder so sollten wir uns darauf einrichten, dass die Pfortensteiner auf seinen Tod sehr ungehalten reagieren werden.“ Der Windfelser wirkte nachdenklich. „Bisher ist in dieser Fehde nicht viel Blut geflossen. Das könnte sich bald ändern.“

„Dann wird es wohl endlich interessant.“ Das Gesicht der jungen Erlenfallerin verzog sich zu einem wölfischen Grinsen. „Immer nur Getreidesäcke zu stehlen, langweilt mich nämlich ungemein.“

„Seid vorsichtig was Ihr Euch wünscht“, gab der ältere Ritter zu bedenken.

„Wollt Ihr mich etwa belehren?“, herrschte Jeswina ihn an und hatte die Hand unbewusst schon wieder halb am Griff ihres Schwertes.

„Euer Wohlgeboren?“ Die Hauptfrau der Waffenknechte war zu den beiden getreten, um Meldung zu machen. „Alle Pferde sind beladen.“

„Gut! Alle aufsitzen und zurück Richtung Randersburg.“ Jeswina bedachte Ardach mit einem letzten vernichtenden Blick und schritt dann zu ihrem Pferd.

„Sollen wir den Rest wieder abfackeln?“, fragte einer der Waffenknechte eilfertig.

Die Erlenfallerin wollte schon zustimmen, doch der Windfelser fiel ihr ins Wort. „Wir sind zu weit im Feindesland und brauchen mit den langsamen Packpferden einen guten Vorsprung. Das Feuer würde man bis Pfortenstein sehen und sie könnten uns den Rückweg abschneiden.“

Die Jüngere wollte wieder auffahren, besann sich dann jedoch eines Besseren und nickte. „Ihr habt es gehört. Der rote Hahn muss bis zum nächsten Mal warten. Abmarsch!“

Neben dem Brunnen lag noch immer die Leiche von Geppert Larthalm. Ein blutrotes Rinnsal ging von ihm aus und zog seine Spur quer durch den Schnee über den abschüssigen Dorfplatz. Ungerührt ritten die Erlenfaller über die blutige Linie hinweg und verschwanden fast so schnell wie sie gekommen waren.