Geschichten:Die Höhle des Löwen - Im Herzen der Finsternis

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Dramatis Personae:

Simiona di Silastide-Marvinko, Comtessa zu Silas, Ex-Gemahlin d. Barons Nimmgalf von Hirschfurten, selbsternannte Baronin zu Leihenbutt
Aischa saba Melin, Wächterin der Leibgarde des Großmeisters
Anjun von Ingrams Fels, Geweihter Rondras, Ordensritter
Seanna Maraghain, Ordenskriegerin
Manujuk, Ordenskrieger, Korporal, Farbiger


Teil 10 – Im Herzen der Finsternis

Es war die Nacht zum 21. Phex. Im Schutze der Dunkelheit war die Gruppe der vier Ordensritter auf verschlungenen Wegen nach Leihenbutt zurückgekehrt. Sie hatten erfahren, dass im dortigen Tempel Seltsames zu finden sei, und heute Nacht sollte dort etwas stattfinden, wohl eine Messe oder ein Gottesdienst, der der Aufmerksamkeit der Zornesritter nicht entgehen sollte. Der Graue der Götter schien ihnen heute wohl gesonnen zu sein, wehte doch ein Wind, der es ihnen ermöglichte ihre dunklen, schweren Umhänge enger um sich zu ziehen, so dass sie ihre strahlend weißen Wappenröcke nicht absichtlich verdecken mussten.

Schon aus einiger Entfernung war zu bemerken, dass sich im Tempel des Güldenen, der sich im Zentrum der Stadt Leihenbutt befand, etwas zu ereignen schien. Durch die abgedunkelten Fenster war schwacher Lichtschein zu erkennen, dumpf erklang ein Chor der eine seltsame Litanei intonierte. Aischa bemerkte die Wachen auf den Treppen vor dem Tempel, die gerade dabei waren, ein Leihenbutter Bürgerpärchen freundlich aber bestimmt abzuweisen. Den Grund konnte sie nicht erkennen. Da sie nicht unbedingt davon ausgehen konnten im Tempel willkommen zu sein, zogen die vier es daraufhin nach kurzer Beratung vor, unerkannt zu bleiben.

„Wir müssen herausfinden, was dort von statten geht.“ Stellte Seanna grimmig fest. „Wenn wir offen hineingehen, werden wir eventuell wieder keine Gewissheit haben.“ Mit geballten Fäusten musste auch der Geweihte der Kriegerin Recht geben, leider. Dies war eine Sache, die er selbst vor Rondra zu verantworten hatte. Ohne großes Aufsehen zu erregen teilte sich die Gruppe in zwei Hälften, und schlug entgegengesetzte Wege um das Tempelgebäude herum ein. Kurze Zeit später traf man sich wieder und war sich einig, ein unscheinbares Seitenfenster, das auf eine Gasse blickte, die nicht vom Zentrum der Stadt aus so einfach eingesehen werden konnte, als Beobachtungsposten zu beziehen. Aischa und Anjun versuchten, sich durch das Fenster einen Überblick über das Innere des Tempels und die Vorgänge darin zu verschaffen, während Seanna und Manujuk die Gasse und Zuwegungen zu ihrer Stellung im Auge behielten. „Wenn Logan, der Baron und wir uns getäuscht haben und dort unten ein harmloser, normaler Gottesdienst zu Ehren einer der Zwölfe stattfindet, dann werden wir uns persönlich bei der Comtessa entschuldigen und vor Rondra Busse tun“, raunte Aischa Anjun zu, um diesen zumindest etwas zu beruhigen. Der Geweihte nickte nur stumm, allerdings konnte die Wächterin sehen, wie Anjun ein inneres Zwiegespräch führte und dem Anschein nach Rondra um Vergebung bat.

Die düstere Litanei wurde lauter. Selbst aus der Nähe war es den Beobachtern nicht möglich, die gesungenen Worte zu erkennen. Offenbar wurde eine Sprache gesungen, die keiner von ihnen beherrschte. Bosparano war es jedenfalls nicht. Da bemerkte Aischa, wie sich eine erhabene Gruppe in schwarz-purpurnen Kutten angeführt von einer Gestalt, deren Gesicht mit einer goldenen Maske verhüllt war, dem mit seltsamen Reliquien und schwarzen Kerzen geschmücktem Altar näherte. Der Gesang verstummte, als sie sich deutlich sichtbar für alle Anwesenden positioniert hatten und die Gestalt hob beschwörend die Arme.

„Willkommen meine Brüder und Schwestern! Willkommen im `aus des Güldenen!“

Aischa schlug das Herz bis zum Hals. Die verhüllte Priesterin war niemand anderes als die Comtessa selbst! Ihre Stimme hatte sie verraten! Welch bizarre Form der Gottesverehrung fand hier statt?

Die Priesterin fuhr fort: „Dies ist die Stunde, an dem der Blick des Einen wohlwollend auf uns liegt. Wir sind seine Auserwä’lten und er ist unser Gott! “ Die Menge wiederholte den Satz wie aus einer Kehle. „WIR SIND SEINE AUSERWÄHLTEN UND ER IST UNSER GOTT!“

„Groß ist die Zahl der Ungläubigen und Zweifler! Blind sind sie geboren, und blind bleiben sie in ihrem Glauben, der sie verblendet und ihnen die Wa‘r‘eit vorenthält. Es wird der Tag kommen, an dem er sisch uns offenbart, dann wird er scheiden die Zweifler von den wa’r’aft Gläubigen.“

Sie ergriff eine Schale mit schwelendem Weihrauch und hielt sie in die Höhe. „Se’et das Bildnis Kerb’olds, der den Willen und die Le’ren des All-Einen in der Zeit der Götterkriege verbreitete. Er durchstreift die Äonen und hütet das Wissen aus längst vergangener Zeit!“ Sie stellte die Schale wieder vorsichtig ab.

„Oh, großer Kerb’old, lass uns teil‘aben an deinem Wissen, deiner Weis’eit, deiner Macht. Gib uns die Kraft, die Wa’r’heit des einzig wa’ren Gottes zu erkennen.“

Sie zückte einen Opferdolch und legte ihn auf dem Altarstein bereit.

Ein Mann zur Linken der Priesterin trat vor und fuhr fort: „Dir, All-Einer, Hüter meines Schicksales, Herr über mein Leben, soll alles gehören, das ich bin. Dieses Fleisch sei dein Fleisch, dieses Blut, dein Blut. Mein Verstand, er gehört dir. Mein Herz, es schlage nur für dich, ich atme allein für dich. Nimm, und verfüge über mich, wie dir beliebt. Ich bin dein Werkzeug, dein Diener, ganz dein.“ Daraufhin ergriff er den Dolch und schnitt sich den kleinen Finger der rechten Hand ab. Ein Diener reichte ihm ein dunkles Tuch mit dem er die Blutung stoppte.

Aischa ahnte, das hier etwas Ungutes vor sich ging. Zwar kannte sie diese Figur, die dort gerade verehrt wurde, nicht, aber das? Und warum sollte die Figur des…

„Jetzt sprecht mir nach meine Brüder. Er, der liegt..“ „ER, DER LIEGT…“ „wird sisch erheben…“ „WIRD SICH ERHEBEN…“ „und uns sein wahres Antlitz zeigen!“ „UND UNS SEIN WAHRES ANTLITZ ZEIGEN!“

In diesem Moment zogen zwei Tempeldiener begleitet von einem wie auf stummen Befehl einsetzenden Lobgesang der Versammelten die große Plane herab, und enthüllten die übermannsgroße Statue eines gefesselt liegenden goldenen Mannes ohne Gesicht.

Die Erkenntnis traf Aischa wie ein Schlag: Hier wurde der Namenlose verehrt! Es waren keine Worte zwischen ihr und Anjun nötig. Der Geweihte der himmlischen Leuin war ebenso blass geworden, zitterte aber beinahe schon vor Wut ob des Frevels, dessen sie gerade Zeugen wurden.

Schnell zogen die beiden Beobachter sich vom Fenster zurück, sie hatten genug gesehen und dieses Wissen musste so schnell wie möglich an die richtigen Stellen gebracht werden.

Gerade zogen Aischa und Anjun ihre Ordensgeschwister von ihren Wachposten ab, als ein „Halt, ist da wer?“ sie innehalten ließ. Bei allen Göttern, man hatte sie entdeckt. Zwei Wachen stürmten die schmale Gasse entlang, schnell würden sie die Gruppe erreicht haben.

Anjun war nur Recht. Seinen Zorn konnte er kaum noch zurück halten. Welch eine Dreistigkeit, welch ein Frevel. „Bei Rondra“, knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, „kommt her und lasst euch reinigen!“

Aischa setzte Seanna und Manujuk kurz ins Bild: „Hier wird der Namenlose verehrt! Egal was passiert, einer von uns muss durchkommen und diese Nachricht nach Schwertwacht bringen.“ Die beiden Krieger nickten grimmig und machten sich zum Kampf bereit.

Dann prallten die Gegner aufeinander. Angelockt durch den sich entwickelnden Kampflärm fanden zwei weitere Wachen ihren Weg in die Gasse neben dem Tempel, jetzt hatte jeder der Zorneskrieger einen Gegner, die es schnellstmöglich auszuschalten galt.

Mit schnellen Hieben ließen die Krieger ihre Waffen tanzen und auch wenn die Söldner keine unerfahrenen Gegner waren und sich gut zu wehren wussten, sank einer nach dem anderen getroffen zu Boden. Ob bewusstlos oder tot ließ sich so ohne weiteres nicht sagen, der Kampf hatte sowieso schon zu lange gedauert.

Der Gottesdienst neigte sich bereits dem Ende zu, als ein Korporal der Tempelwachen zu Simiona vordrang und ihr berichtete was geschehen war. Ihr Gesicht verwandelte sich binnen eines Herzschlages in eine Fratze des Hasses. „Sofort hinter‘er. Findet sie! TÖTET SIE! ALLE! Keiner darf am Leben bleiben, `ast du misch verstanden?“

Der Söldner nickte und eilte davon. Sie mussten tun was die Comtessa verlangte, wenn ihnen ihre Leben lieb waren.

Wertvolle Augenblicke waren vergangen, und so mussten die Ordenskrieger zusehen, dass sie schleunigst aus der Stadt verschwanden. Glücklicherweise hatten sie nur leichte Blessuren davon getragen, die sich unter den dunklen Reiseumhängen gut verbergen ließen.

Schleunigst begaben Sie die Ordenskrieger in Richtung Stadtausgang. Sie hatten schon beinahe ihre Pferde erreicht, die sie in einer alten Scheune untergebracht hatten, als Manujuk laut aufschrie und stürzte. Ein Bolzen hatte sich in seinen Rücken gebohrt. Seanna drehte sich um und kam dem Gestürzten zur Hilfe, doch die Verletzung war schwer. Anjun bemerkte jetzt die Verfolger – es musste sich um beinahe ein Dutzend handeln. „Schnell, uns bleibt keine Zeit!“ Auch Aischa erkannte jetzt den Ernst der Lage. Die Feinde kamen näher und schon zischten die nächsten Armbrustbolzen heran. Wie durch ein Wunder wurde diesmal keiner getroffen.

„Lauft!“ brüllte Seanna und zog ihr Schwert. „Ich halte sie auf solange es geht!“ Manujuk stöhnte vor Schmerzen und konnte nicht aufstehen – es war aussichtslos. Er würde es nicht schaffen. Aischa und Anjun blickten sich kurz an und wandten sich an die beiden: „Streitet wohl, Kameraden! An Rondras langer Tafel werden wir uns wieder sehen!“ Ein kurzer Rondrianergruß, dann liefen sie zu ihren Pferden, die Nachricht musste Schwertwacht erreichen, ansonsten wäre alles umsonst gewesen.

Seanna blickte ihren Ordensgeschistern noch einmal nach. Bevor sie sich ihren Feinden stellte. So würde es also für sie auf Dere enden. Ob es schmerzen würde? Wie in Zeitlupe schien alles um sie herum abzulaufen. Sie hatte nochmal Zeit ihr Schwert abzusetzen und in ihre Handflächen zu spucken, bevor sie das Nachtgebet des Ordens zitierte.

“Heiliger Hlûthar, Schutzpatron meines Ordens. Nun, da der Tag gegangen ist, neige ich mein Haupt zur Ruhe. Doch meine letzten Gedanken sollen unserer Herrin und Dir gelten: Hlûthar, göttlicher Streiter, nie wankendes Schild Deinen Namen will ich ewig preisen! Du bist unser Bruder, unser Licht, glühendes Herz unseres flammenden Zorns. Erleuchte unsere Nacht, Heiliger und wisse: wir beten für Dich!“

Dann waren die Feinde heran…

Als die beiden sich nochmal kurz umblickten konnten sie noch sehen, wie Manujuk trotz seiner schweren Verletzung, gemeinsam mit Seanna wie Löwen kämpften. Von irgendwoher schienen sie Unterstützung zu erhalten, konnten sie doch die erste Welle der Angreifer – wenn auch mit Mühen – abwehren und ihnen somit weitere, wertvolle Zeit verschaffen. Dennoch, Aischa und Anjun wussten, dass die Comtessa zu viele Mannen unter Waffen hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Seanna und Manujuk von der Übermacht niedergeworfen werden würden. Sie eilten weiter und verließen die Stadt so schnell sie konnten. Als sie ihre Pferde erreicht hatten, brachte das Triumphgeheul der Feinde ihnen traurige Gewissheit vom Ende ihrer Ordensgeschwister. Grimmig entschlossen sahen sie sich an und gaben ihren Pferden die Sporen. Aischas Gedanken waren leer, auf das Notwendige reduziert. Keine Zeit für Emotion, Eisige Kälte durchströmte ihren Leib, das Eis, das notwendig war, um im rechten Moment zu reagieren, im rechten Moment töten zu können. Doch eines schwor sich die Südländerin – die Comtessa würde büssen!