Geschichten:Die Faust des Grafen - Das Chaos bricht herein

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Burg Orbetreu, 22. Peraine 1031 BF


Dunkel war es in der Halle. Nur wenige Kerzen erhellten den Altarraum. Hadrumirs Fürbitten galten den Seelen der gefallenen Bauern. In die Ruhe der Halle drang wenig vom Lärm draußen. Seit sechs Tagen berannten die Truppen Geismars die Mauern der Orbetreu, doch tapfer hatten sich seine Männer und Frauen dem Angriff entgegen gestellt.

Korporal Karstrand behielt seine Gandrasch im Anschlag. Er hatte einige Zeit gebraucht, um Reto von seinem Plan zu überzeugen. Während Reto sich ein wenig ungeschützt auf der Mauer präsentierte, wartete Karstrand darauf, dass sich der feindliche Scharfschütze zeigen würde. Hinter einem Baum machte er plötzlich eine Bewegung aus. Karstrand legte an und feuerte den Bolzen ab.

Aldonaza betrachtete hinter einem Baum hockend die Mauer. Sie machte einen Scharfschützen auf der Mauer aus, welcher auf einen der Unteroffiziere anlegte. Aldonaza entschied blitzschnell, zog einen der Pfeile hervor, legte ihn auf die Sehne und legte an. Im nächsten Augenblick sackte ihr lebloser Körper zusammen.

Dulgon, Sohn des Golon, stand neben dem Zyklop, den er mit seinen Sappeuren aus den vorgefertigten Teilen in den letzten Tagen zusammengebaut hatte. Vor ihm stand der Condottiere, in dessen Diensten er gerade stand und sah ihn ziemlich verärgert an. Dulgon seufzte innerlich, es war doch immer das gleiche mit den Langbeinen ... Geduld war einfach nicht ihre Stärke. „Dom Dulgon!“ Der Junker setzte grade zu seiner Rede an. „Euer Geschütz sieht zwar beeindruckend aus, aber bislang stehen die Mauern dieser verdammten Burg dort drüben noch und wenn wir in diesem Tempo weitermachen werden sie das auch noch im nächsten Winter tun. Was gedenkt Ihr also zu unternehmen?“ Der Angesprochene lies sich nicht beirren und gab der Geschützmannschaft das Zeichen, den nächsten Schuß anzufeuern. Das Seil, das den mächtigen Wurfarm des Katapultes am Boden festhielt, wurde gelöst und das schwere Gegengewicht lies den Arm nach oben schnellen. Die Schlinge, die am anderen Ende des Wurfarms befestigt war, wurde mitgerissen und auf dem Höhepunkt ihres Bogen angekommen löste sich der Stein und nahm Kurs auf die Burgmauer. Dort schlug er mit vernehmlichen Krachen in eine der Zinnen ein und sorgte für einen Regen aus Steinsplittern, der sich über die Verteidiger ergoss. Dulgon visierte über ein L-förmiges Stück Holz, das mit Markierungen versehen war, die Mauerkrone an, hielt dann prüfend einen Finger in die Luft und brummte zufrieden in sei-nen stattlichen Bart, als er Notizen in sein Büchlein kritzelte. Erst dann wandte er sich dem Menschen neben sich zu, dessen Laune sich in der Zwischenzeit nicht grade gebessert hatte. „Capitan, Ihr solltet doch eigentlich wissen, dass ein Geschütz eingeschossen werden muß. Es wird Euch sicherlich erfreuen, zu hören, dass ich nun über eine vollständige Schuss-Tabelle verfüge. Nun wo wir treffen können, was wir wollen, wird es also Zeit ein paar andere Grüße über die Mauer zu senden.“ Er winkte einem seiner zwergischen Kollegen zu, der einen ganzen Trupp abgeordneter Söldner zu einem Wagen beorderte, wo sie begannen große Holzfässer abzuladen. „Da Ihr so freundlich wart für ausreichend Öl zu sorgen, können wir ihnen nun ein wenig Feuer unter dem Hintern machen.“ Am Zyklopen mühten sich grade ein Dutzend Landsknechte damit ab den Arm wieder nach unten zu ziehen. Dulgon ging an eine Kiste, öffnete den Deckel und förderte eine Tonkugel mit einer kleinen Öffnung zu Tage, die er dem skeptisch blickenden Boraccio unter die Nase hielt.

Ramiro ritt an der Seite Leutnant Franjos. „Seht dort vorne, Leutnant!“ Doch der Leutnant hatte die Soldaten neben einem kleinen Wäldchen ebenfalls bemerkt. Als man den Reitertrupp bemerkt hatte, zogen es diese Hartsteener offensichtlich vor, das Hasenpanier zu ergreifen. Leutnant Franjo gab den Befehl zur Verfolgung. Ramiro gab seinem Pferd die Sporen.

Schnell hatte der Trupp den Wald umrundet. Ramiro stockte der Atem. Auf einer Anhöhe standen in einer Reihe nicht die erwarteten versprengten Soldaten, sondern Ritter. „Für Hartsteen!“ ertönte ihr Angriffsruf und mit einer Urgewalt stürmten die Hartsteener in ihre Reihen. Ramiro versuchte sich zu verteidigen. Er wehrte Schläge links ab, er wehrte Schläge rechts ab, doch um ihn herum fielen die Reiter wie die Fliegen. Ramiro musste mehrere Treffer einstecken und stürzte vom Pferd. Schwärze umfing ihn.

„Stirb, Du dreckiges Almadanerschwein!“ „Nein!“ Das zweite war die Stimme von Leutnant Franjo. Ramiro stöhnte leise und öffnete vorsichtig die Augen. Sein ganzer Körper schmerzte. Er hatte übelst einstecken müssen. In einiger Entfernung sah er zwei bullige Gestalten. „Musstest Du ihn direkt töten, Wallmir?“ „Er hatte eh keine verwertbaren Informationen für uns, Onkel!“ „Einem geschlagenen Feind wird Pardon gewährt!“ „Ja, Onkel! Aber die sind eh alle tot!“ Die mit Onkel angesprochene Person schaute sich um. Ramiro hoffte inständig, dass man ihn nicht bemerkte. „Sei’s drum! Das waren die letzten Späher.“ Ramiro stockte der Atem. Keiner im Heerlager wusste von dieser Bedrohung! „Aufsitzen und dann zurück auf die Beobachtungsposten, Männer!“ sprach der „Onkel“. Ramiro rührte sich nicht. Auch wenn er noch nicht wusste wie, er musste das Heer warnen. Vor Schmerz fielen ihm aber die Augen zu.

Erneut wurde das Zeichen zum Abschuß gegeben und eine tönerne Kugel, in die eine brennende Lunte gesteckt war, ging auf die Reise. Präzise schlug sie auf der Mauerkrone ein, wo sie zerbarst und ihren Inhalt über den Wehrgang und den Innen-hof verteilte. Der Lunte gelang es zwar ein kleines Feuer zu entzünden, das aber schnell von der Burgbesatzung gelöscht wurde, die anscheinend ausreichend Löschwasser bereit hielt. Boraccios Miene hatte sich noch weiter verfinstert. „Jetzt haben wir gut eine halbe Wagenladung Öl rübergeschossen und nichts passiert. Das Zeug brennt einfach nicht!“ Gelassen zog Dulgon seiner Pfeife. „Nun, dem kann abgeholfen werden. Wird Zeit ordentlich Feuer in der Esse zu machen.“ Der Zwerg bedeutete zweien seiner Leute ihm zum Wagen zu folgen, wo sie eine weitere Kiste abluden. Mit großer Vorsicht trugen die Angroschim die Kiste zum Zyklopen. Dulgon öffnete mit Bedacht den Deckel. Zu sehen war eine einzelne Tonkugel, die sorgfältig in Sand verstaut war, so dass sie auf der Reise keinen Schaden nehmen konnte. Boraccios Miene hellte sich auf. „Ist das ... Hylailer Feuer?“ Der Zwerg nickte nur. Sachte, fast liebevoll nahm er die wertvolle Fracht aus der Kiste und legte sie behutsam in die Schlinge. „Vielleicht solltet Ihr Eure Leute bereit machen für einen Angriff. Boraccio nickte. „Joß! Zafira! Zu mir!“ Die Angesprochenen eilten herbei. „Bereit machen für einen neuen Sturm! Zafira, Dein Banner an die Sturmleitern, ihr geht über die Mauer! Joß, Du gehst mit dem Rammbock ans Tor! Der Rest machst die Reserve! Und jetzt aber hurtig!“ Die Offiziere eilten zu ihren Einheiten und bellten ihre Befehle. Schon bald stand alles bereit, hunderte Augenpaare richteten sich erwartungsvoll auf das Geschütz. Der Geschützmeister prüfte noch einmal die Windrichtung, dann nickte er. Der Sicherungsbolzen wurde gezogen und wieder senkte sich das Gewicht. Mit schon gewohnter Präzision flog das Gefäß durch die Luft und verteilte beim Aufprall seinen Inhalt. Doch diesmal handelte es sich nicht um einfaches Öl. Eine klebrige Flüssigkeit spritze in alle Richtungen und entzündete sich dort, wo sie kleben blieb. Nicht wenige Spritzer fielen in die Öllachen, die vom vorherigen Beschuß übrig geblieben waren und setzten sie in Band. Überall auf den Gängen und im Hof züngelten nun Flammen. Ein Knecht, der zum Löschen eingeteilt war, schüttete in seiner Panik seinen Wassereimer über eine der brennenden Ölpfützen. Ein Korporal, der wusste, was dort herab geregnet war, schrie noch auf, aber das Unheil nahm seinen Lauf. Das Wasser mischte sich unter das Öl und die große Hitze von brennendem Öl und Hylailer-Feuer ließ die Wassertropfen schlagartig verdampfen. Brennende Öltropfen wurden in alle Himmelrichtungen weggerissen und entzündeten alles, mit dem sie in Kontakt kamen. Der Innenhof der Vorburg verwandelte sich innerhalb eines Augenblicks in ein flammendes Inferno.

Vor der Burg starrte alles ungläubig und mit offenen Mündern auf den Feuerball, der aus dem Hof der Vorburg aufstieg. Eine unglückliche Gestalt auf der Burgmauer wurde von den Flammen umhüllt und stürzte als lebende Fackel von der Mauer. Boraccio überwand zuerst seine Starre. „LOS! ALLE MANN ZUM ANGRIFF! VORWÄRTS!!“ Die einzelnen Trupps setzten sich in Bewegung. Sergeanta Zafira und ihre Mannen legte die langen Leitern an die Mauern und begannen den gefahrvollen Aufstieg. Die befürchtete Erwiderung der Verteidiger blieb aus. Wer auf den Wehrgängen noch lebte, war damit beschäftigt der lodernden Flammen Herr zu werden, die überall züngelten. Bald hatten die ersten Angreifer das Ende der schwankenden Leitern erreicht und schwangen sich über die Zinnen. Auf den Wehrgängen begann ein blutiges Handgemenge, aber die wenigen verbliebenen Verteidiger waren im Moment zu schlecht organisiert, als dass sie der wachsenden Flut der Angreifer stand-halten konnten. Zafira kletterte über die Mauerkrone und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Nicht weit von ihrem Standort entfernt führte eine Treppe in den Innenhof hinab, die grade zwei Soldaten hoch stürmten. „Los, alles mir nach!“ Wie eine Raubkatze sprang die drahtige Zahori den Angreifern entgegen. Einer verlor das Gleichgewicht und fiel in die Tiefe, der andere wurde von der Wucht des Angriffs überrascht und stolperte die Treppe wieder herunter. Immer mehr Almadaner stürmten die Treppe herunter, ihrer Sergeanta hinterher. „Los, zum Tor!“ Die Eindringlinge rannten zum Tor, wo sie die wenigen desorientierten Wachen im blutigen Nahkampf nieder machten. Während die meisten Mercenarios nun Front zum Inneren der Burg machten begannen einige mit Äxten Bewaffnete auf die zusätzlichen Stützbalken, die man innen gegen das Tor gestemmt hatte, einzuschlagen. Von Außen krachte derweil der Rammbock wieder gegen die mächtigen Torflügel. Die Verteidiger hatten sich mittlerweile wieder halbwegs gesammelt und stürmten nun wütendend auf die Angreifer ein, die sich am Tor zu schaffen machen. Ein verbissenes Handgemenge entbrannte und die Almadaner wurden zurückgedrängt. Doch dann fiel der letzte Stützbalken. Wieder krachte der Rammbock gegen das Tor und mit lautem Knirschen zerbarst der Riegel. Das Tor schwang auf. Von draußen brandete Jubel herein. „VIVAT!“.

Die dumpfen Aufpralle des Rammbocks lieferten sich vor dem Tor einen Wettstreit mit dem Kampfeslärm, verursacht durch die Verteidiger und die Söldlinge die über die Sturmleitern auf den Wall gelangt waren. Ulmenbert stand mit gezogenem Schwert bereit für den Moment, in dem das Tor zerbersten würde. In den Gesichtern aller Umstehenden zeigte sich die Anspannung eines bevorstehenden Kampfes. Es waren seine eigenen Leute und einige Sturmfalken. Da bereits auf den Mauern gekämpft wurde hatte der Beschuss glücklicherweise nachgelassen und diesmal keinen hohen Blutzoll verlangt. Als er schon ungeduldig wurde war es endlich soweit: das Tor gab unter einem finalen Rammstoß nach. „Vorwärts Leute! Lasst uns ihnen auf die Finger klopfen!“ brüllte Ulmenbert unter dem Triumphgeschrei der vorwärts drängenden Schar.

Im Hof waren die Niederhöllen losgebrochen. Zwischen einigen Brandherden waren Boraccios Mannen bereits über die Mauern in den Hof gelangt und lieferten sich erbitterte Gefechte mit den Schwingenfelser Söldlingen, so auch auf der Innenseite des Tors. Ulmenbert streckte einen Angreifer nieder, der im schreiend mit einem Streitkolben attackierte. Zufrieden registrierte er, dass seine Tochter neben ihm auch „ihren“ ersten Gegner gefällt hatte. Während er sich einem anderen Schwingenfelser Waffenknecht zuwandte, gewannen die Angreifer am Tor mehr und mehr die Oberhand und konnten Verteidiger Schritt um Schritt zurücktreiben. Hatten die Schwingenfelser die Vorburg bereits aufgegeben? Das Tor zur Hauptburg war auf jeden Fall schon geschlossen. Eigentlich ging das Ganze Ulmenbert schon fast zu einfach.

Aufgeregt stürmte Ludeger in die Halle. Hadrumir schreckte auf. Außer Atem schrie Ludeger: „Der Feind ist in der Vorburg!“ Hadrumir sprang auf: „Was wagst Du es, die Ruhe dieser Halle zu stören?“ „Aber…!“ „Kein Aber!“ unterbrach ihn Hadrumir barsch. Er war auf dem Weg nach draußen. „Wie konnte das geschehen?“ fragte er knapp. „Sie haben Hylailer Feuer eingesetzt!“ Hadrumirs Gedanken rasten. Woher hatten diese Bastarde Hylailer Feuer? Gehetzt schaute er sich um. „Ist das Haupttor gesichert?“ fragte er Korporal Bellenhofer auf dem Hof. „Ja, Hauptmann!“ „Wer von unseren Leuten ist noch in der Vorburg?“ Ludeger antwortete gehetzt. „Eleona und Wolfhardt mit ihren Leuten!“ Hadrumir schüttelte den Kopf. „Auch das noch!“ sprach er mehr zu sich als zu den Anderen. „Korporal! Ihr sorgt dafür, dass die Frauen und Kinder in die Kapelle gebracht werden! Dort sollten sie sicher sein! Ludeger! Du wirst das Kriegsbanner einholen!“ Ludeger schaute ihn entgeistert an. „Ich soll was machen?“ Hadrumir war auf dem Weg zur Mauer. „Bist Du schwerhörig? Hol das Kriegsbanner ein!“ „Aber…“ Hadrumir packte seinen Oberarm. „Mach es einfach! Vertrau mir!“ Hadrumir nickte ihm aufmunternd zu.

Ludorand von Schwingenfels sah auf seine Burg. Innerlich zerriss ihn der Gedanke an die Erstürmung der Burg. Neben ihm stand Boraccio d’Altea betont gelassen.

„Los! Ihr sollt hier keine Wurzeln schlagen! Durchsucht die Gemäuer hier, ob sich noch ein paar Ratten versteckt halten!“ Joß trieb seine Leute weiter. Der Hüne hielt seinen gewaltigen Zweihänder in nur einer Hand und benutzte ihn als Zeigestock. „Hier, Sergeant! Hier haben sich welche verkrochen!“ tönte es aus einem der hinte-ren Winkel der Vorburg. Fast schon gemächlichen Schrittes begab sich Joß in die Richtung der Rufe. Eine Hand voll seiner Leute hielt drei Garetier in Schach, zwei Männer und eine Frau, die ihrer teuren Kleidung nach eine höhergestellte Person sein mußte. Trotzig hielten die drei ihre Schwerter in Richtung ihrer deutlich zahlreicheren Feinde. „Überlaßt das mir!“ Mit diesen Worten trat der baumlange Sergeant zwischen die Fronten und stützte sich demonstrativ auf sein Schwert, das einen anderen Mann fast schon überragt hätte. „Ich schlage vor, daß ihr drei Hübschen einfach eure Schwerter hier auf den Boden werft.“ „Du räudiger almdanischer Hund!“ Einer der Garetier stürzte mit beängstigender Geschwindigkeit vor und setzte an, Joß mit einem gut angesetzten Stich zu durchbohren, was dieser kaum noch hätter verhindern können. Doch sein Fuß rutschte auf einer Ölpfütze, die noch vom vorgehenden Beschuß stammte, aus und er taumelte in die Reihen der Angreifer, die ihm mit ihren Hakenspießen einen blutigen Empfang bereiteten. Sein Kamerad setzte nun ebenfalls zum Angriff an, aber der mächtige Zweihänder beschrieb bereits eine Kreisbahn. Mit voller Wucht fand die Klinge ihr Ziel und lies sich auf ihrem Weg weder vom Kettenhemd, noch vom Arm, noch von den Rippen aufhalten. Erst im Brustkorb des unglücklichen Soldaten kam die Bewegung zu einem Ende. Sterbende Au-en sahen entsetzt den hünenhaften Almadaner an, bevor der Körper leblos zusammensackte. Joß setzte einen Fuß auf den Leichnam und zog sein Schwert heraus. Die Frau starrte ihn mit großen Augen an. „Nun, meine hübsche Domna, wie steht es mit Euch? Wollt Ihr auch ein Tänzchen mit mir wagen? Ich finde ja, Gevatter Boron hat heute seinen Anteil bereits abbekommen. Und die liebliche Rahja würde mir sicherlich nie verzeihen, wenn ich ein so treffliches Abbild von ihr so brutal zu ihrem göttlichen Bruder schicke.“ Er lächelte nun sehr freundlich und hielt Elenoa auffordernd seine Hand entgegen. Klirrend fiel ihr Schwert zu Boden und sie lies es zu, daß der gutaussehende Riese ihre Hand ergriff und einen Kuß andeutete. „Bitte gnädigst um Verzeihung, Domna, aber der Capitan würde sicher Fragen stellen, warum eine Gefangene nicht gefesselt ist.“

Hadrumir sprang in Deckung neben Korporal Karstrand. Dieser feuerte seine Gan-drasch ab und schaute den Hauptmann dann an. „Und wie sieht es aus?“ fragte er den Korporal. „Nicht gut, Hauptmann! Sie sind in der Vorburg!“ Hadrumir schmunzelte. „Das scheint Euch nicht wirklich zu beunruhigen!“ Hadrumir überschaute kurz das Chaos vor der Burg. „Ich habe noch eine Überraschung für den Feind parat!“ Jetzt war es der Korporal, welcher schmunzelte. „Hätte mich auch schwer gewundert, wenn Ihr diesen Drecksäcken nicht noch Feuer unter dem Arsch machen würdet!“

Die Kleidung des Spähers wirkte genauso abgewetzt und gebraucht wie die Rüstun-gen der Katterqueller Ritter. Brinian von Allingen hatte sich an den Anblick erst gewöhnen müssen. Eher wirkten Borstefred und seine Leute wie eine Horde Räuber als wie die strahlenden Ritter der Grafschaft. Nichtsdestotrotz salutierte der Späher vor Brinian. „Hauptmann, melde gehorsamst: Das Kriegsbanner der Schwingenfelser wurde eingeholt.“ Brinian schaute Borstefred ernst an – das vereinbarte Zeichen. Borstefred von Katterquell nickte Brinian zu. Brinian erhob seine Stimme: „Zeigen wir diesem almadanischen Geschmeiß, was es heißt, Hartsteener Ritter zu sein! Bereit machen zum Angriff!“ Mit einem Schenkeldruck setzte er sein Pferd in Bewegung. Hinter ihm setzte sich die komplette Reiterei in Bewegung. Borstefred von Katterquell ritt an seiner Seite, während die Reiter in Keilformation auf die rückwärtigen Stellen des Feindes zu hielten.

Raul Zornbold schaute kurz in die Gesichter seiner Männer. Er hatte die Reiterei der Orbetreuer Schwingen schon seit drei Tagen in Stellung gebracht. Viele der Männer und Frauen waren ungeduldig, wussten sie doch, dass in der Burg ihre Kameraden um ihr Leben kämpften. Raul erhob seine Stimme: „Freunde, heute zeigen wir der Welt, wer die Orbetreuer Schwingen sind!“ Er setzte sich an die Spitze der Reiter. „Immer vor!“ „NIEMALS ZURÜCK!“ ertönte das Echo seiner Männer. Wahrscheinlich war der Wahlspruch der Familie Schwingenfels niemals treffender als heute! Dachte Raul und trieb sein Pferd voran.

Durch das offene Tor strömten die almadanischen Mercenarios in die Burg. Der letzte Widerstand der Verteidiger wurde durch die schiere Masse der Angreifer erdrückt – die Vorburg war gefallen. Boraccio versuchte sich gerade durch das Gedränge seiner Leute zu schieben und sich einen Überblick zu verschaffen, als sich von außen ein Söldner zu ihm durchdrängelte. „Verzeiht, Capitan! Ihr solltet vielleicht wieder mit vor die Burg kommen. Einer der Reiter von Leutnant Franjo ist zurückgekehrt.“ Boraccio, der in dem Getümmel den Melder kaum verstanden hatte, runzelte die Stirn. „Was sagst Du da? Was meinst Du mit zurückgekehrt?“ „Er ist eben angekommen, mehr tot als lebendig, hat sein Pferd fast zuschanden geritten. Konnte kaum noch reden. Anscheinend wurden sie angegriffen.“ Der Codottiere zerrte seinen Soldaten vor das Tor, wo etwas mehr Ruhe herrschte. „Was redest Du da? Angegriffen? Von wem?“ „Das konnte er nicht mehr genau sagen ... vermutlich von den Reitern dort drüben!“ Der Söldner deutete mit schreckgeweiteten Augen auf die Staubwolke, die sich mit hoher Geschwindigkeit dem Feldlager der Belagerer näherte. Im Troß breitete sich bereits Panik aus, als man erkannte, dass dort Reiter heranpreschten. „Verdammte Sch..!“ fluchte Boraccio. „Wo zum Namenlosen kommen die denn her? Geh in die Burg und suche Joß oder Zafira, sie sollen sofort mit ihren Tercios wieder raus kommen und nur ein halbes Banner und Ulmenbert mit seinen Leuten drin lassen!“ Der Soldat nickte und verschwand in der Burg. Boraccio trat mitten unter die Söldner, die sich noch am Eingang drängten und rief mit lauter Stimme: „STURMFALKEN!! HERHÖREN!! Alles mir nach! Wir werden im Rücken angegriffen!“ Dann zog er seinen Säbel blank und deutete in Richtung Lager, wo bereits die ersten Reiter durch den Ring der aufgestellten Wagen preschten. Ja, kommt nur alle zwischen die Wagen, wo ihr mit euren Pferden nicht mehr manövrieren könnt. Er grinste kurz. Viel-leicht ließe sich aus dieser unangenehmen Überraschung ja doch noch ein Sieg erringen.

Hadrumir schaute ernst und entschlossen auf den Kampf vor der Burg. „Lechdan!“ rief er in den Hof. „Ja, Herr!“ „Macht Eure Männer zum Ausfall bereit!“ Er wandte sich um. „Korporal! Ich will die Vorburg von diesem Geschmeiß gesäubert haben. Ihr und Eure Schützen werden den Ausfall vorbereiten! Ich will Dauerbeschuss des Feindes! Sie sollen glauben, die Niederhöllen wären über sie herein gebrochen!“ Korporal Karstrand grinste. „Wird mir ein Vergnügen sein!“

Im Burghof beförderte derweil Siglind ärgerlich einen verlorenen Lederhelm mit einem Tritt fort. Draußen fiel die Katterquellmeute – denn um wen sollte es sich sonst handeln – über das Lager her, während sie sich hier die Beine in den Boden stehen durfte. Die Kommandos ihres Vaters Ulmenbert von Grabandt drangen gar nicht bis in ihr Bewusstsein vor. Der war eher mit dem Schlachtenlärm draußen beschäftigt. Auf einmal erklang ein vielfaches Sirren in der Luft und gleich darauf streifte sie ein Bolzen am rechten Bein und riss sie aus ihren missmutigen Gedanken. Aus dem Tor und einer versteckten Mannpforte strömten die Leute des Schwingenfelsers in die Vorburg, begleitet von einem nicht enden wollenden Geschosshagel. Im Getümmel kreuzte Siglind die Klingen mit mehreren Gegnern. Durch einen gewaltigen Hieb hatte sie ihren Schild verloren und der linke Arm war taub. Zudem humpelte sie wegen des Streifschusses. Um sie herum war die Ordnung der Grabandter Waffentreuen weitgehend zusammengebrochen und die ersten wichen zurück, während Siglind einen Waffenknecht, der sie für ein leichtes Opfer gehalten hatte, die Waffe aus der Hand schlagen konnte. „Na wenn das nicht die reizende Tochter dieses Köters Ulmenbert ist!“ Siglind erkannte die Stimme des Schwingenfelsers unter dem Helm. Er lies sogleich seinen Anderthalbhänder auf sie nieder sausen. Mit letzter Kraft konnte sie den Hieb parieren. Noch ehe sie reagieren konnte, griff er erneut an. Schlag auf Schlag ließ er auf sie niederprasseln. Schritt für Schritt wich Siglind zurück. Panik erfüllte sie. Diesem Gegner war sie nicht gewachsen. Als sie strauchelte, schloss sie innerlich schon mit dem Leben ab. Doch der erwartete Todesstoß blieb aus.

Mitten im Getümmel versuchte Ulmenbert die Ordnung unter seinen zurückweichen-den Leuten aufrecht zu erhalten. Zu seiner Linken war aus dem Zurückweichen eher eine Flucht geworden. Rechts kämpfte sein Schwager Kunrat wie ein Fels in der Brandung und auch seine schwer vom Kampf gezeichnete Tochter erblickte Ulmenbert. Entsetzt erkannte er, dass niemand geringeres als Hadrumir persönlich sich den Weg zu den beiden bahnte. Brüllend stürmte er durchs Getümmel in Siglinds Richtung. Panisch musste er sehen, wie sie zu Boden ging. Kunrat warf sich heldenhaft zwischen sie und den Schwingenfelser und verschaffte ihr so Zeit, sich zurück zu ziehen. „Rank! Schaff Siglind hier raus!“ wies er seinen treuen Waffenknecht an. Mit einem Blick stellte er fest, dass es in der Vorburg außer einem blutigen Tod nichts mehr zu gewinnen gab. Der Weg zu Kunrat war durch nachrückende Schwingenfelser Söldlinge ebenfalls versperrt. Kunrat drohte unter Hadrumirs Schwertgewitter bald zu fallen. „Edo und ihr drei! Rechts und links an meine Seite! Den Rückzug so lange wie möglich decken!“ Die meisten Überlebenden hatten sich vor die Burg gerettet. Einige waren abgedrängt worden. Kunrat fiel endgültig unter einem Streich des Schwingenfelsers. Mit belegter Stimme kommandierte Ulmenbert: „Gemeinsam Schritt für Schritt zurückweichen! Die Reihe halten! Und Schritt! Schritt! Schritt!“ Er konnte es nicht riskieren, Kunrat zu bergen, damit hätte er sich und seine Leute gefährdet, dachte er als er Trauer und Leere hinunterschluckte, wie er es schon zu oft tun musste.

Boraccio schob das Visier seiner Schnaller nach oben und schaute sich um. Einige seiner Leute hatten zwei Reiter eingekreist und zerrten die Unglücklichen mit ihren Hakenspießen vom Pferd. Angesichts des verwüsteten Lagers war nicht damit zu rechnen, dass die Beiden noch mal aufstehen würden. Der Angriff der Fußtruppen hatte einige der Angreifer im Lager kalt erwischt, aber die Masse der Reiter hatte sich vor den heranstürmenden Spießen schnellstmöglich in Sicherheit gebracht. Sie würden eine Weile brauchen, um sicher wieder zu sammeln. Falls sie überhaupt noch einmal kommen würden. Der Condottiere wischte seinen Säbel am Wappenrock eines toten Reiters ab und steckte ihn weg. Wut stieg in ihm auf und als er Ludorand erblickte hatte er auch ein passendes Ziel dafür gefunden. „Euer Cousin scheint ja noch viele Freunde zu haben! Sollen wir vielleicht noch mehr Tee und Gebäck kommen lassen, vielleicht kommen ja noch mehr ungebetene Gäste? Wir müssten nicht hier vor der Burg rumlungern, wenn Ihr endlich etwas mitteilsamer wärt über die Verteidigungsanlagen oder die Verbündeten Eures Cousin!“ Bevor der Schwingenfelser antworten konnte erschall plötzlich Kampflärm aus der Vorburg. „Was zum ...? Jacopo, Dein Banner bleibt hier draußen und nimmt diese traurigen Gestalten auf ihren Mauleseln gebührend in Empfang, falls es ihnen einfällt wieder zu kommen. Der Rest kommt mit mir. VORWÄRTS!“

Hadrumir schmiss sich erleichtert gegen das Tor. „Bringt die Balken her!“ befahl er den Soldaten. Erschöpft blickte er Wolfhardt an. „Sie haben Eleona!“ sprach dieser ernst. Hadrumir wirkte erschöpft. „Darum müssen wir uns später kümmern!“ Wolfhardt widersprach energisch. „Sie kennt Deine Pläne!“ Hadrumir schüttelte den Kopf, als er sich auf den Weg zurück machte. „Nicht wichtig! Wir haben die Vorburg gehalten! Nur das ist wichtig!“