Geschichten:Des Marschalls langer Schatten - Halali

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Gut Alriksrode, Mitte Phex 1038 BF

Der Gestank war widerlich. es roch nach Wild, Blut, Fäkalien. Der Gestand brannte in der Nase und in den Augen. Der Anblick war kaum besser: In der Wildkammer von Alriksrode hingen die Stücke an den Läufen von der Decke, ausgeweidet und so tot, wie Wild nach einer erfolgreichen Jagd nur sein konnte. Horulf von Luring genoss den Aufenthalt zwischen den Kadavern keineswegs, aber hatte auch die Jagd selbst als Tortur erlebt, beispielsweise den Raureif, der ihm in der Vorfrühe in die Glieder gekrochen war, oder das ohrenbetäubende Halali der Jäger. Und das Verblasen der Strecke war das Zweitschlimmste – zumal leider sechs unterschiedliche Kreaturen auf die zweifelhafte Art geehrte werden sollten, dass man für jede Kreatur das entsprechende Signat intonierte. Dazu gab Ritter Sonnwin von Ehrenbrecht das Kommando; er war als Nachbar eingeladen und galt als großer Jäger. Horulf dröhnte noch der Schall der Hörner in den Ohren, der für den Rothirschen, das Rehbock, das Wildschwein – die zu keiner Seele Trost auf Eichenzwiegen ruhten –, den Fuchs, das Kaninchen und den Fasan als Totsignal geblasen worden war. Vom Halali die Firungeweihten Clandora ganz zu schweigen.

„Können wir hier wieder raus“, fragte er ungeduldig des Gastgeber des Spektakels, den Junker Mulziber von Tannengrund, der einige Nachbarn und Freunde zu dieser Jagd gerufen hatte. Der eigentliche Anlass war der zwölfte Tsatag des kleinen Sigman Therengar von Gareth-Firdayon. Er war aber erst jetzt zu Besuch in seinem Junkertum und weilte sonst als Page am Nordmärker Herzogshof. Es war nicht die erste Jagd, an der der Bub teilnahm, aber die erste, die zu seinen Ehren veranstaltet wurde. Stolz war der Junge, das sah man wohl. Und er hätte sich noch mhr gefreut, wenn sein Vater hätte kommen können, aber des Reiches Kanzler fehlte. Dafür war Horulf von Luring hier.

Um sich zu langweilen. Und um zu frieren.

„Freilich, Exzellenz“, wies Mulziber mit Grandezza in der knappen Bewegung, „kommt mit ins Kaminzimmer. Dort sind wir einstweilen ungestört, bis die Jagdgesellschaft den Schnaps ausgetrunken hat.“

Dort brannte in einem schlanken Kamin ein wärmendes Feuer. Mulziber legte den Mantel und die wildledernen Handschuhe ab. Dem Diener winkte er Abgang, nachdem er Punsch eingegossen hatte. Dafür betrat Fridega von Isppernberg das Zimmer, die den Cantzler nicht aus den Sagen verloren hatte.

„Setzt Euch, Exzellenz. Ich nehme gern den andern Sessel.“ Mulziber nippte am Punsch und blickte über den Rand des Bechers durch den Dampf scharf zu Luring hinüber.Fridega hatte sich hinter den Sessel gestellt, ein weißes band hing eine Medaille über ihrer Brust.

„Exzellenz, Ihr seid nicht als Waidmann bekannt. Was verschafft mir die unverhoffte Zusage auf eine pro forma ausgesprochene Einladung?“

Luring lächelte: „Das nenne ich einmal ehrlich, Tannengrund. Und geradeheraus. Wie Ihr wisst, bin ich für so etwas zu haben.“

„Auch wenn Ihr ganz anders seid“, gab Mulziber zurück.

Horulf schwieg einen Moment. Dann nickte er: „Ja, das stimmt. Als ich von Eurem Nachbarn Frobert erfuhr, dass zu Sigmans Ehren so viele zu dieser Jagd kommen würden, musste ich die Gelegenheit beim Schopfe packen. Tannengrund, wie Ihr wisst, hat das Königreich ein gewises Personalproblem.“

„Ich dachte, das sei gelöst, seit Schroeckh fort ist?“, grinste Mulziber.

Horulf schwieg erneut einen Moment. Mulziber von Tannengrund hatte definitiv eine scharfe Zunge. Aber er war auch bestens über alle politischen Dinge im Königreich informiert, ein Strippenzieher und Hinterzimmerakrobat. Und – nach Horulfs Informationen – der Tatsache überdrüssig, dass er für seinen Lehnsherrn stets den Stellvertreter, Ausputzer, Dreckwegräumer und Kindermädchen sein sollte, ohne eine anständige Gegenleistung zu erhalten. Burggraf Alarich war vom Stamme Nimm, ein echter Gareth eben. Das hatte sich nicht gebessert, als er die Amtskette des Erzkanzlers anlegte und sich anschickte, den großen Fußspuren seines Vorgängers zu folgen. Mulziber also war ideal, um endlich aus dem Lager der Monarchisten abgeworben zu werden. Und dazu bedurfte es eines Köders. Und offenbar einer Portion Geduld, um der gekränkten Seele des schöngeistigen Junkers Gelegenheit zu geben, sich wieder besser zu fühlen.

„Die Cantzlerpersonalie ist in der Tat auf lange Sicht geklärt, Tannengrund. Und ich bin eitel genug zu bemerken: gut so. Aber wie Ihr wisst, sind dem Königreich einige Persönlichkeiten an wichtigen Positionen abhanden gekommen: Rathsamshausen, Randersburg, Alriskmark und jetzt auch noch Gerbaldsmark. Das sind Lücken, die sich nicht einfach füllen lassen.“

Mulziber nippte an seinem Punsch. Dann nickte er: „Ich bedauere den Tod Rondrianes von Eslamsgrund. Sie hatte etwas Korrektes und etwas Mütterliches in einer Person. Haffax muss sich daran gestoßen haben, dass sie so gut mit allen konnte und deshalb die Koordination von Bürgerwehr und Heerbann wahrscheinlich gut hinbekommen hätte.“

„Ihr seid doch auch eher als Zeitgenosse bekannt, mit dem gut Kirschen essen ist, Tannengrund“, sagte Horulf.

„Auf welche Kirschen wollt Ihr hinaus?“

„Auf Gerbaldsmärker Kirschen, Tannengrund-“

„Aha“, machte Mulziber knapp. „Was ist mit denen?“

„Die brauchen einen Reichsvogt, bis die Neubelehnung der Burggrafschaft geklärt ist. Das sollte ein Mensch sein, der Erfahrung in Lehnsführung hat, der von Adel wie Garether Pack gleichermaßen akzeptiert wird, dessen Ambitionen nicht in die Wolken reichen und mit dem man gut Kirschen essen kann.“

„Ihr haltet mich für leicht führbar?“, fragte Mulziber nach.

„Nein, aber für dankbar. Ich weiß doch, dass Ihr Euch nicht ewig als Mädchen für alles im Haushalt Sighelmsmark sehen wollt.“ Horulf streckte blind die Hand nach hinten und ließ sich von Fridega ein Bündel Pergamente reichen. „Bestallungsurkunde zum Reichsvogt der Gerbaldsmark … wir könnten Ehrenbrecht und Klagen hereinbitten und Euren Sohn Eberhelm als Zeugen und die Sache heute und hier glatt machen. Fridega, geh schon einmal nach draußen.“ Die Secretaria ging still hinaus, wie ihr geheißen.

Mulziber sah den Cantzler misstrauisch an: „Wo ist der Haken?“

„Es gibt keinen Haken. Ihr würdet auch die Koordination der Landwehren übernehmen. Dabei wollen wir lediglich, dass Ihr die Belange des Adels in weitestgehender Form berücksichtigt. Und wir wollen, dass Ihr Euch mit dem Kaisermärker Landobristen anlegt.“

„Das ist doch der Vater Eurer Secretaria?“

„Ebenderselbe. Herr Balrik von Keres hat mir interessante Mitteilung gemacht. Deshalb brauche ich als Koordinator der Landwehren jemanden, der sich mit Isppernberg gut anlegen kann.

„Gut, Exzellenz. Ich werde Eure Kreatur. Zumindest solange ich Reichsvogt auf der Gerbaldsaue bin und im Zedernkabinett sitze.“

Die beiden gaben sich die Hand. Dann sagte Mulziber: „Vergesst nicht, noch den Ehrenlauf einzustecken!“

„Ehrenlauf?“

„Den rechten Vorderlauf des Zwölfenders, den wir heute erlegt haben.“

Horulf sah sein Gegenüber entgeistert an: „Was soll ich damit?“



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12. Phe 1038 BF
Halali
Unerwartete Post


Kapitel 4

Autor: BB