Geschichten:Der erste Zerbelhufen

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„Mach dir keine Sorgen, Alara. Ich reise ja nicht weit ins Tobrische hinein, nur soweit hinter die Trollpforte, wie eben nötig. Mein Waffengefährte aus alten Tagen, Ritter Schnattermoor, fiel nun einmal bei Meilersruh. Wir werden eine Menge alte Kameraden sein, wir passen schon aufeinander auf.“ Dorian von Zerbelhufen beschwichtigte seine Tochter nicht zum ersten, aber zum letzten Mal. Ihre Sorgen zwar nicht teilend, wohl aber klug in die Zukunft schauend, hatte er dennoch sein Testament gemacht. Immerhin war er nun ja schon Großvater!

Die Reise bis zur Trollpforte verlief ereignislos, auch die Passage dahinter reiste er zügig und ohne Hindernisse, wenn er auch weit weniger Volk auf der Straße fand, als er angenommen hatte. Vielleicht brachen die anderen später auf – er war just am Neujahrstage aufgebrochen.

In Meilersruh in Norddarpatien traf er die alten Gefährten aus den Tagen des Feldzuges gegen den Daimonenmeister. Hier war man ein letztes Mal dem Endlosen Heerwurm entgegengetreten, um dann doch schnell Reißaus zu nehmen. Immerhin sie weiland den lustigen Ritter Schnattermoor mit ausreichend Segen und allem Geflitter bestatten können, dass er sich nicht etwa wieder erhoben hatte, um ihnen als Toter weit weniger lustig zu folgen.

Manche waren noch am Leben, andere hatten mittlerweile ihren letzten Atemzug getan. Zerbelhufen war der Jüngste unter ihnen – und auch der Belesenste. Man versprach sich an Schnattermoors Grab, sich in zwei Jahren wieder zu treffen, sofern die alten Knochen es noch mitmachten. Alte Knochen? Pah – Zerbelhufen war erst Anfang Fünfzig. Er hatte noch zwanzig, vielleicht dreißig Jahre vor sich! Er reiste zurück und geriet in ein dramatisches Sommergewitter, das ihn von der Straße zwang, die zu einem Sturzbach geworden war. Abseits es Weges dauerte es nur wenige hundert Schritte, bis er sich vollkommen verkaufen hatte und plötzlich in einem tiefen Wald feststeckte, den er nicht erwartet hatte. Es donnerte und blitzte über ihm – neben ihm – in ihm!

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„Veni! Veni! Veni! Ex tempore, o Satinav, da! Da imperatorem daimonum! Da noster, qui sunt servi! Vadete, anni!“

Gespenstisch zuckten die Blitze. Die Paraphernalia im Octagramm, dem Spiegel des Unsterblichen, brannten und zischten. Der Schrei des geopferten Säuglings und der ausgebluteten Hundertjährigen war verklungen, ihre Leiber lagen an der nördlichen und südlichen Spitze des exakt gezeichneten Siegels, mit dem der Meister den großen Chrononautos zu sprechen gewagt hatte. „Gib, o Satinav, gib!“

Mit ohrenbetäubendem Krachen schlugen Blitze ein. Einer zerstäubte des Meisters beide Schüler. Allein stand er an der östlichen Spitze des Siegels, seine Stimme ein schrilles Schreien, als ein Blitz die Mitte des Zeichens zerriss, ein Donnern den Regen pulverisierte und alles zur Seite schleuderte, was der Gewalt zu nahe stand.

Ruhe kehrte ein. Das Gewitter flaute ab, der letzte Donner vergrollte. Nur der Regen fiel noch dicht und satt.

Der Meister stöhnte und erhob sich.

Zerbelhufen ebenfalls. Er tastete sich ab: Nichts war gebrochen, er blutete nicht und war auch nicht geröstet, wenn auch sein Haar und Bart verbrannt waren. Schnell griff er nach seinem Schwert und zog es blank.

„Meister!“, rief der Mann in Robe, der sich eben erhoben hatte und warf sich Zerbelhufen zu Füßen. Dieser brauchte nicht lange, um zu begreifen, was das hier gewesen war: ein Beschwörungskreis, irgendein schwarzmagischer Mummenschanz. Womöglich etwas mit Untoten? Heilige Etilia: Dort waren Leichen hingestreckt: ein Säugling, eine Greisin und zwei verbrannte Jünglinge. Zerbelhufen fühlte sich, wie in die Jahre seines Kampfes gegen den Dämonenmeister versetzt. Er zögerte nicht, sondern nutzte die Gunst des Augenblicks: Der Schwarzmagier hatte ihm seinen Nacken dargeboten. Also sollte er bekommen, was er verdiente. Mit raschem Hieb ließ er das Schwert darauf niedersausen. Keine Fragen tellen – Antworten würden sich auch später finden lassen.

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„Der Überbringer dieses Wechsels hat Anspruch auf die Auszahlung von fünf Dukaten Garether Prägung, sofern und gegebenen Falls das Siegel unbeschädigt sei. Gegeben zu Warunck am 20. Tsa des Jahres 21 Valpo. Grabunz Heiderstetter.“

Zerbelhufen raufte sich das Haar. Er wusste nicht, wo er war, er hatte den Wald nach dem Ende des Regens schon sehr lange abgesucht, aber sein Ross nicht erspäht und nicht die Straße. Den Beschwörungsplatz hatte er auch nicht wiedergefunden. Die Durchsuchung des Magiergepäcks und alles dessen, was er dort gefunden hatte, gab ihm Rätsel auf. Als wären es Museumsstücke: alte Münzen, alte Wechsel.

Was war los?

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Zerbelhufen schloss schnell auf. Ein Halbbanner Söldlinge in blauen Wappenröcken waren auf der Straße gelaufen. Er hatte sie gesehen, nachdem ihm endlich – am zweiten Tag – die Rauchsäule eines Herdfeuers über den Baumwipfeln erschienen war. Dieser Rauchsäule entgegeneilend wie dem Banner der Erlösung, war er auf das Waldesende gestoßen und auf die Straße. Dort marschierten die Soldaten, zu denen er geeilt war, so schnell sein hungriger Leib ihn tragen konnte.

„Die Götter zum Gruße, Soldaten!“, rief er. „Zum Gruße, Hauptfrau!“ Diese hatte nun ihrem Trupp Halt geboten und sich dem abgerissenen Edelmann zugewendet, der aus dem Wald gestürmt kam. Sein Haar und Bart war versengt, seine Kleidung praktisch, aber erleben, sein Schwert von hervorragender Machart. Gewiss kein Tobrier. Sie nickte ihm zu.

„Sagt, Hauptfrau, in welche Richtung geht es nach Meilersruh?“

Hauptfrau Selinde Jentig wies in die Richtung, aus der der Trupp gekommen war. „Dorthin. Aber da findet Ihr nichts mehr. Meilersruh ist niedergebrannt.“

„Niedergebrannt? Aber von wem denn in aller Götter Namen?“ Zerbelhufen war erschrocken.

„Vom verräterischen Tobrier natürlich.“

„Von wem?“

„Wo wart Ihr, Mann? Vom selbsternannten Kaiser Kunibrand natürlich. Zu welchem Banner gehört Ihr?“

„Kunib…? Äh. Ich … Reichsforst.“ Zerbelhufen drehte sich alles.

„Graf Herdan Alriks Banner ist schon lange weiter gezogen, Ihr müsst eine ganze Weile im Wald gewesen sein.“

Zerbelhufen schüttelte den Kopf. Irgendwie … Glücklicherweise hatte er nie zu den Dümmsten gehört. Oder besser: Würde er nie zu den Dümmsten gezählt haben. Er besah sich die Wappenröcke des Trupps genauer. Silberner Delphin auf Blau. „Seid Ihr Tedescos Haufe?“

„Das sind wir. Der Reichsverweser ist im nächsten Lager.“

„Im Tobrischen Krieg?“

„Krieg ist das gewiss noch nicht. Wir haben doch gerade erst angefangen. Herzog Kunibrand hält sich für den Kaiser, und der Reichsverweser ist anderer Ansicht.“ Die Hauptfrau sah den Edelmann prüfend an. War der beschränkt?

„Moment, Moment!“ Zerbelhufen dachte nach. Tobrischrer Krieg, Campagne durch Norddarpatien. Brennendes Meilersruh … Graf Herdan Alrik noch in Tobrien und noch nicht im Krieg gegen Tobold von Zweieichen im nördlichen Garetien. Er besah kurz das Wetter: „Dann haben wir Herbst 902 nach Bosparans Fall?“

Die Hauptfrau sah ihn entgeistert an: „Ganz genau. 22 Valpo, Friede seiner Seele. Darpatien. Mittelreich. Dere.“

Zerbelhufen unterdrücket die Panik, die seine Speiseröhre hinaufkriechen wollte. Er träumte! Er war tot! Er war Opfer eines Zeitparadoxons! Er riss sich zusammen. 902 BF. Tedesco. Das war das Jahr, in dem seine Familie in den Adelsstand erhoben worden war. Von Tedesco von Perricum. Für herausragende Leistungen im Tobrischen Krieg. Er musste seinen Ahnen finden!

„Bringt mich zum Reichsverweser. Ich habe wichtige Informationen für ihn, Entscheidende. Ich weiß, wo sich seine Gegner derzeit aufhalten!“

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„Zerbelhufen? Ein solches Geschlecht gibt es nicht. Es gibt auch keine Frau und keinen Mann in diesem Lager, die sich so nennen. Aber wenn er Euch so gefällt, dann behaltet ihn. Ich mache Euch zum Junker von Zerbelhufen, mein kluger Darian.“ Tedesco lächelte seinen Glücksbringer an.