Geschichten:Der erste Tag - Morgenstund hat Gold im Mund

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Morgenstund’ hat Gold im Mund – oder doch einen faden Beigeschmack?

12. Praios 1021 BF

Der erste Trupp, welcher am zwölften Praioslauf gen Nacia zog, erreichte schon kurz nachdem die Praiosscheibe über den rahjawärts gelegenen Landen aufgestiegen war, den Hügelkamm gegenüber das Plateaus, auf welchem Schloss Nacia thronte. Bald kündeten kräftige Fanfarenstöße, sehr zum Missfallen des dösenden Mietvolks, von dem Herannahen des Barons von Uslenried und dessen großen Gefolge. Wieder einmal ritt da der Natzunger Hauptmann der Streitmacht entgegen, um ihr einen großen Teil abzuzwacken und das Heerlager um ein weiteres zu vergrößern. Doch bedurfte es diesmal einiger Hilfe der Schlosswache, da die Nordmärker der Baronin und die »Schwarzen Schwerter« des Uslenrieders (eine Söldnertruppe aus dem Horasreich) wohl nicht gut aufeinander zu sprechen waren und dies lauthals der jeweils anderen Partei zu verstehen gaben.

Dessen ungeachtet zogen die Uslenrieder Führer weiter den Schlossweg hinan, streng ihre zukünftige Herberge musternd. Nebeneinander durchritten der Baron Wulf und seine Gemahlin, die Edle Sinya Phexiane von Aschenfeld-Streitzig zur Greifenklaue das große eiserne Tor, begleitet von der Leibgarde der Herrschaften. Hernach folgten der Baron Radulf von Hirschfurten, die Jungfer Derya von Erpelsberg, Schwertschwester Rondrina von Streitzig zur Greifenklaue, die Herren Ralbert und Garwin von Streitzig zur Greifenklaue, der Uslenrieder Hofmagus Aldoberion Toppeller und schließlich weitere Ritter des Hauses Streitzig zur Greifenklaue.

Vor der Treppe, welche empor zum doppelflügligen Eingangsportal des Schlosses führt, wartete der Natzunger Hofrat Pagan, die Neuankömmlinge in die große Eingangshalle zu geleiten. Obwohl bereits die überaus kräftigen Strahlen der Praiosscheibe von einem schwül-warmen Tag kündeten und mancher Gardist vor dem Schlosse schon arg zu schwitzen begann, drängte sich doch der Eindruck auf, der grimme Jäger persönlich sei bei der Begrüßung der Gastgeberin anwesend gewesen und hätte seinen frostigen Odem über die Halle gelegt,. Denn derart eisig verlief diese Zeremonie, dass einer eifrigen Dienerin der Travia wohl sprichwörtlich der Kragen geplatzt wäre! Kein Wort, das nicht unbedingt nötig gewesen wäre, kam da über die Lippen der Beteiligten, Blicke, die Bände sprachen, musterten ihr Gegenüber.

Einzig der Baron von Bärenau, offensichtlich ein Mann des Ausgleichs, bemühte sich wiederum, die Situation zu entschärfen, indem er scherzhaft die Hoffnung äußerte, die Söldner würden sich bis zum Abmarsch nicht zu sehr gegenseitig dezimieren, so dass der Feldzug abgeblasen werden müsse. Doch wenig half’s und so verschwanden die Uslenrieder bald in ihren Gemächern.

Fanfarenhall, Fanfarenschwall

Der Heerwurm, der um die heißen Mittagsstunden von der Turmwache gemeldet wurde, war so groß und so prächtig anzuschauen, dass es der Herolde fast nicht mehr bedurft hätte, von der Erhabenheit und Größe des Praios und seiner donnernden Schwester, deren Diener und Streiter dort herankamen, zu künden. Eiligst ließ da das Volk alles stehen und liegen und kam von den umliegenden Feldern und Höfen herbeigeströmt, freilich gezähmt von der Schlosswache unter ihrem Hauptmann Zolthan von Arres, so dass binnen kürzester Zeit Scharen von Schaulustigen wohlgeordnet den breiten Weg zum großen Tore säumten, zu sehen, wer denn der Baronin neue Gäste seien. Bald ging das Gerücht, der Staatsrat sei’s (der Zug bewegte sich nur gemächlichen Schrittes vom Hügelkamm herunter in die weitläufige Ebene, als auch schon die kräftigen Stimmen der Herolde, welche zuvorderst ritten, vom Winde zu den Tuschelnden und Schwatzenden herübergetragen worden und von der Ankunft des Staatsrates kündeten. Hundertfaches Jubelgeschrei erhob sich da, und als man der vorangetragenen Feldzeichen und Wappen ansichtig wurde, verstummte manch einer in ehrfurchtsvollem Staunen. Nicht alleine zog da der Staatsrat Garetiens, Seine Hochwürden Praiodan vom uralten Geschlechte derer von Luring heran. Nein, sein Gefolge war auch das prächtigste, was manch einer, der an diesem Tage den Weg nach Nacia säumte, je zu Gesicht bekommen hatte. Die Vorhut bestand aus den bereits erwähnten Herolden, welche da festlich gekleidet im Sattel saßen und das Wappen Garetiens allen voran trugen. Ihnen folgten in zehn Doppelreihen königliche Lanzer, welche ebenso stolz die Farben Garetiens auf eleganten Elenviner Rössern zur Schau trugen. Endlich zu die goldbeschlagene Karosse des Staatsrates hintendrein. Einmal sogar war es den jubelnden Massen vergönnt, das Antlitz Seiner Hochwürden zu erblicken, als dieser sich ein wenig hinauslehnte, um einen flüchtigen Blick auf die zahlreichen versammelten Streiter zu werfen.

Neben dem Staatsrat auf dem samtbezogenen Polster saß ein Mann, wie er furchteinflößender für das gemeine Volk kaum sein könnte – denn er war eine derjenigen Personen, deren Auftreten einhergeht mit einer Aura absoluter Macht und unangefochtener moralischer Legitimation, wie sie nur die höchsten Diener der Praios zu Eigen sind.

Freilich ahnten die Wenigsten, um wen es sich handelte, noch erfuhren sie überhaupt, dass sich eine weitere Person in der Kutsche befände, doch machte bald nach der Ankunft aus unerfindlichen Gründen der Name Yacuban von Creutz-Hebenstreyt die Runde, und nur einige Eingeweihte oben auf dem Schlosse wussten, das es sich um einen der zwölf Geheimen Inquisitionsräte der Praios-Kirche handelte, welcher da an der Seite Seiner Hochwürden Praiodan reiste (welchselbiger neben seinem Amte als Staatsrat auch noch Ordentlicher Inquisitionsrat im Orden der Göttlichen Kraft ist). Da hätte es denn auch niemanden mehr verwundert, dass die Karosse in Bedeckung von sechs Rittern in strahlend weißen Umhängen einherkam, die ein jeder, gleich welchen Standes, sofort als dem Bannstrahl Praios’ angehörig erkannte.

Hintendrein folgte, ebenfalls durch Herolde angekündigt, die Kutsche der Gräfin zu Hartsteen, Ihrer Hochwohlgeboren Thuronia von Quintian-Quandt mitsamt Gefolge. Die Gräfin, ehemals berühmt für ihr begehrenswertes Antlitz und bekannt dafür, ihrer Grafschaft mit lockerer hand zu verwalten, wurde lediglich von einem kleinen Trupp Lanzenreiter begleitet, in deren blankpolierten Brünnen sich das Licht der Praiosscheibe mannigfach spiegelte. Doch der Zug nahm zur Freude der Schaulustigen noch kein Ende, und bald war der Gaugraf zu Retogau, Seine Edelhochgeboren Ugo von Mühlingen mitsamt seiner Leibwache aufgerückt. Da er es war, dem die Führung des Feldzuges gen Waldfang anvertraut ward, folgte ihm eine Schar Kürassiere sowie zahlreiche pikenbewehrte Infanteristen.

Die nächste Würdenträgerin, welche sich dem Zug des Staatsrates angeschlossen hatte und nun die Blicke auf sich zog, war Ihro Edelhochgeboren Ginaya von Luring-Gareth, die Burggräfin der Kaiserlichen Alriksmark, eine gestandene Rittfrau aus altem Geschlechte, die erst kürzlich von langen Abenteuerfahrten zurückgekehrt war und sogleich ihr Lehen vom Vater übernommen hatte. Zu Ihrer Edelhochgeboren Gefolge gehörten wohl an die zwanzig gut ausgerüstete Streiter, die das Ende des langen Zuges markierten. Hernach folgte schließlich noch der sicherlich doppelt so lange Tross mitsamt einigen weiteren Fuhrwerken und Kutschen, mit denen sowohl Reiseutensilien als auch etliche persönliche Bedienstete der hohen Herrschaften nach Nacia gebracht wurden.

Kaum hatte Maline von Natzungen die Gäste persönlich vor dem großen Doppelportal freudig begrüßt, da erscholl auf’s Neue ein Fanfarenstoß vom großen Turme, zu künden von weiteren Gästen. Und so ging es bis zum Abend.