Geschichten:Der Truchsess von Oberhartsteen - Zwischen Tür und Sattel

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Reichsstadt Hartsteen, früh am Morgen des 6. Boron 1043 BF

Die Reichsstadt hatte eine würdige Kulisse für die Grablegung Luidors von Hartsteen abgegeben. Zwei Tage lang war der Leichnam des am Jahresfieber verstorbenen Grafen zuvor im Tempel aufgebahrt gewesen; die Bevölkerung hatte mit zahlreichen Referenzen zu seinen Ehren in einem außerordentlichen Maße ihre Anteilnahme gezeigt und noch einmal vor den Augen des zur Beisetzung angereisten garetischen Adels das enge Band, das zwischen dem Verblichenen und den Bürgern der alten Stadt an der Natter bestanden hatte dokumentiert: Entlang der Route des Trauerzuges vom Praiostempel zur Gruft der Grafenfamilie gab es kein Haus, das nicht in den Farben des Herrn Boron – und der Hartsteens – geschmückt war. Am darauf folgenden Tag hatte die Krönung von Luidors Sohn Odilbert Rondrasil stattgefunden. Barhäuptig, aber sonst in voller Rüstung war der junge Graf vor den sagenumwobenen Schwurstein getreten und hatte mit ernster Miene seinen Eid vor dem Cantzler Garetiens geleistet, bevor ihm der Hochgeweihte Arnhold von Wengenholm, wie schon seinem Vater, die Igelkrone aufs Haupt gesetzt hatte. Obwohl der Ratsplatz voll war von schaulustigem Volk, hatte selbst bei den Familienangehörigen und den engsten Vertrauten des Hauses Hartsteen nur verhaltener Jubel aufkommen wollen; gar zu ungewiss schien die Zukunft des jungen Grafen. In wenigen Tagen schon würde die ausgehandelte Fehderuhe enden und Odilbert hatte keine Zeifel daran gelassen, dass er trotz der schlechten Lage, in der sich Hartsteen befand, den Forderungen seiner zahlreichen Gegner nicht nachgeben würde. Entsprechend kurz waren die Feierlichkeiten ausgefallen und schon früh am nächsten Morgen schickte sich die gräfliche Entourage zum Aufbruch an. Zu den Hutter Rittern, welche Odilbert auf dem Hinweg noch als ihren Baron eskortiert hatten, gesellten sich nun weitere Vertreter der Hartsteener Adelshäuser, die dem neuen Grafen ihre Aufwartung gemacht und ihre Dienste angeboten hatten.

Durch das geschäftige Gewusel von Reit- und Packpferden, herrschaftlichen Reitern und eilfertiger Dienerschaft bahnte sich, noch im Vorbeigehen dies und jenes für den bevorstehenden Auszug ordnend, der am Vortag zum gräflichen Truchsess ernannte Tsadorn von Bugebühl seinen Weg zum Stadthaus der Familie Hartsteen. Im geöffneten Portal desselben entdeckte er beim Näherkommen neben dem Grafen die Zeugmeisterin Irmhelde von Gneppeldotz, die gerade auf einen einzelnen respektvoll abseits wartenden Ritter wies, dessen Wappen auf grün einen schräglinken goldenen Wellenbalken zeigte.

Odilbert winkte seinen neuen Truchsess heran: „Bugebühl. Können wir aufbrechen?“

„Alles ist bereit“, verkündete der, was der Graf mit einem kurzen Nicken quittierte. Dann wandte er sich mit Blick auf den Bittsteller wieder der Gneppeldotz zu: „Also, was will er denn?“

„Es geht um den ehemaligen Truchsess Retodan. Euer Vater hat ihn auf Burg Oberhartsteen einkerkern lassen, als die Hartwaldens Graf Luidor die Fehde erklärt hatten. Jener da ist sein Sohn Hagen. Er bittet Euer Hochwohlgeboren um die Konditionen zu Herrn Retodans Freilassung.“

Bei dem kurzen Rapport der Zeugmeisterin zogen sich die Brauen Odilberts zusammen und sein Blick verfinsterte sich: „Wenn die Hartwaldens ihre Feindseligkeiten einstellen, sich für ihre Untreue vor dem gräflichen Richterstuhl verantworten und Genugtuung leisten, soll dem nichts im Wege stehen“, beschied er kühl.

„Herr Hagen hat betont, dass er nicht als Unterhändler der Schlunder Hartwaldens hier sei, sondern vielmehr als Greifenfurter und Lehnsmann des Barons von Kressenburg, der nichts mit der Fehde zu tun habe.“

„Dann verschwenden wir unsere Zeit. Dieses Pfand werde ich nicht so einfach aus der Hand geben“, schüttelte Odilbert den Kopf.

„Ich fürchte, dass dieses Pfand nicht so viel wert ist, dass sich dadurch die Fehde mit den Hartwaldens beenden ließe“, blieb Irmhelde hartnäckig, „Immerhin befindet sich der alte Truchsess schon fast zwei Monde in Haft, ohne dass sich die restliche Sippe sonderlich für seinen Verbleib interessiert hat.“

Der Graf überlegte kurz, bevor er in die kleine Runde fragte: „Was schlagt Ihr also vor?“

„Unser Säckel ist leer und der Winter hat noch nicht einmal angefangen. Wenn er ein angemessenes Lösegeld zahlt, sollten wir seinen Vater freigeben.“

Tsadorn von Bugebühl, der dem Gespräch bisher schweigend gelauscht hatte, widersprach: „Mit Verlaub, Hochwohlgeboren, ich wäre dagegen, den alten Truchsess freizulassen. Er kennt Oberhartsteen zu gut und ich möchte dieses Wissen auf keinen Fall auf Seiten der Belagerer sehen.“

„Ein guter Punkt, Bugebühl“, pflichtete Odilbert seinem Truchsess bei.

„Und wenn wir eine Garantie einfordern?“

„Die beste Garantie ist immer noch sein Verbleib im Kerker“, blieb Tsadorn fest.

„Ja, aber je länger die Belagerung von Oberhartsteen dauert, desto weniger unnütze Esser kann Herr Orestes dort gebrauchen.“

Mit einer unwirschen Handbewegung beendete Odilbert die kurze Diskussion seiner Ministerialen und entschied mit einem scharfen Blick in Richtung des wartenden Ritters: „Herr Hagen ist Greifenfurter? Dann soll er seinen Vater mit nach Greifenfurt nehmen und dafür Sorge tragen, dass der Truchsess für die Dauer der Fehde nicht mit unseren Gegnern in Kontakt tritt oder auf andere Weise Informationen über die Verteidigungsanlagen der Burg weiter gibt. Gneppeldotz, Ihr werdet das in die Wege leiten.“

Irmhelde von Gneppeldotz verneigte sich: „Wie Ihr wünscht.“

Dann klatschte der Graf kurz energisch in die Hände: „Und nun: Zu Pferde! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“