Geschichten:Der Schandzug

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In Ketten von Havena bis nach Mendena

Die beiden Delinquenten, denen in diesen Tagen entlang der Reichsstraße von Sonnenuntergang nach Sonnenaufgang soviel Beachtung geschenkt wird, sind der gewesene Landvogt von Mendena, Sherianus von Darbonia, und der gewesenene Baron Feron Hadarin von Rallerfeste

Sie sind am 22. Praios 25 Hal zu dem verurteilt worden, was nunmehr treue Vasallen der Krone ausführen. Gefällt wurde das Urteil nach jahrelanger, zäher Beweisaufnahme und Verhandlung. Doch letztendlich haben die höchlich-adeligen und die gemein-adeligen Reichs-Cammer-Richter, in der Iuristerei höchst verständige Leute, dieses gerechte und harte Urteil gefällt, den Göttern zum Gefallen und der Krone des Heiligten Neuen Reiches zu Ruhm und Glanze gereichend: Herrschen doch noch Ordnung, Strenge und Praios wohlgefällige Ordnung in den Landen von Albernia bis in den letzten Winkel von Tobrien! Denn beide sollten einen Schandzug antreten - angeprangert in jedem Marktflecken, Buße leistend in jedem Praiostempel am Wege -, von Havena nach Gareth, wo Feron Hadarin durch das Schwert gerichtet werden sollte, und Sherianus sollte den Schandzug von Gareth nach Mendena fortsetzen, damit das ganze Reich sehe, was Reichsverrätern blüht in einem von Praios sel'ger Ordnung erfüllten Reiche!

Gefangennahme, Haft und Verhandlung haben den beiden Verurteilten übel mitgespielt: Gebeugt Sherianus von darbonia, die rotgequollenen Augen in tiefen, schwarzschattigen Augenhöhle, aschfahle, eingefallene Wangen, der Mund zuckend zwischen gramvoller Reue und irrwitzigem Lächeln. Eine rostpockige Praioskrause zerrt schwer am dürren und aufgescheuerten Halse des Magiers, auf daß er nicht Magie einsetze gegen das von Praios geschützte Recht und Gesetz! Feron Hadarin ist ebenso gezeichnet von Krankheit und Lichtlosigkeit des Kerkers, doch noch kräftig; den Krieger von einst sieht man dieser Gestalt wohl noch an, auch wenn außer dem Stolz nicht viel geblieben ist. Hadarin verzieht keine Miene und hat für Sherianus, den reuigen, nur Verachtung und für die Wachen der Krone nur Haß.

Von einem halben Banner kaiserlicher Drachengarde, der Eliteeinheit des Reichsgerichtes, begleitet, werden Hadarin und Sherianus zufürderst von Gareth in zwei großen Käfigen nach Havena verbracht.

Dort werden sie unter der strengen Bewachung des halben Banners Drachengarde unter Weibel Gerwulf von Gareth zu Rabensbruck einen Tag auf dem Platz vor dem königlichen Schloß angeprangert, auf das das Volk von Havena sehe, wie weit des Reichs-Behüters Arm reicht, und merke, daß im Neuen Reich ein jeder Gerechtigkeit erwarten kann! Morgens, mittags und abends verliest ein gardist laut und volltönend das Strafregister der Verurteilten, woraufhin jedermann sie anspucken udn verhöhnen darf. Sherianus erträgt dies kaum und leidet, wie es gefällig ist, doch Hadarin erdreistet sich, zurückzuspucken! In den Tagen des mittleren Efferd geschieht dies. Am 20. Tage des Efferd aber erscheint Baronin Elfwyn Ni Bennain von Hohelucht mit einigfen mannen und Frauen auf dem Plöatze, läßt die Drachengarde auifsitzen und befehligt als Hauptfrau für dero einen Mond, die beiden Verurteilten im Schandkragen auf der Reichsstraße gen Sonnenaufgang marschieren zu lassen. Doch in jedem Marktflecken und jedem Praiostempel hält der Zug: Wieder werden Sherianus und Hadarin angeprangert, ihre Strafen verlesen, und immere auf das Neue kann das Volk entlang der Reichsstraße das Spektakel der Gerechtigkeit bestaunen,. Von Nord und Süd strömt Volk an die Reichsstraße um das Schauspiel zu verfolgen, der Schandzug erhält mehr und mehr Gefolge aus fahrenden Gauklern, Scharlatanen und Krämern, die gute Geschäfte wittern. In den wenigen Praiostempeln aber werden die verurteilten gewaschen und gespeist, damit sie Buße tun und beten können. Sogar den ehemaligen Magier Sherianus gewährt der Götterfürst diesen Bußgang!

Angelangt in Honingen Anfang Travia, übergibt Baronin Elfwyn von Hohelucht den Schandzug der Obhut des Hauptmannes für einen Mond Baron Nerek von Schnakensee und dem Edlen Heridan Bolthan von Wichtenfels.

In der Nacht vom 9. Travia aber - der Schandzug hat den Marktflecken Witzichenberg hinter sich gelassen und muß an der Straße nach Rickenhausen nächtigen -, als die Gardisten und die Leute des Barons von Schnakensee und des Edlen von Wichtenfels am Feuer sitzen und sich einander Geschichten erzählen - von der Ogerschlacht, von den Schlachten auf den Silkwiesen oder von den Abenteuern der beiden Adelsleute, da raschelt es im Unterholz und kurz darauf stürmt eine Rotte übler Gesellen den Lagerplatz! Wegelagerer in ärmlicher Kleidung und mit schartigen Säbeln kommen über die Begleiter des Schandzuges und beginnen ein ungleiches Gefecht. Zwar sind der Schächer wenige, doch haben sie die Überraschung auf ihrer Seite! Dennoch dauert es nur wenige Minuten, dann liegen viele der Räuber in ihrem Blute und der Rest verschwindet wieder in den Wald, von wo sie gekommen.

Doch! Wo sind Sherianus und der Edle von Wichtenfels? Die Aufregeung legt sich nicht nach dem Überfall, sondern steigt vielmehr! Sollte in Nordmärker Landen etwa die Schande des Gefangenenausbruchs auf die Gardisten und die Nordmärker fallen? Wohl zwei Stunden suchen die Gardisten und finden doch niemanden. Den Hadarin aber hat man sicherheitshalber festgeschnürt, damit er nicht auch nocn fliehe. Als der Morgen graut - so traurig, schaurig, schummrig, fahl -, hat man noch immer weder den Verurteilten noch den Edlen wiedergefunden! Baron Schnakensee ist sehr unruhig. Dann aber - die Sonne meldet schon ihren Tageslauf - bemerkt ein Gardist das Nahen zweier Gedstalten auf der Reichsstarße von Rickenhausen her: Wenig später bricht Jubel aus, denn der Edle von Wichtenfels ist's, den Sherianus vor sich herstoßend. Unter Beifall und großem Hallo erzählt der Edle, wie er gesehen hat, daß Sherianus geistesgegenwärtig den Überfall ausgenutzt hat und plötzlich in das Unterholz verschwunden ist. Er sei sofort hinterdrein, habe aber die Spur zunächst verloren, dann aber im frühen Morgengrauen eine Schmiede in einem nahen Weiler aufgestöbert, in der Sherianus gerade seine Fesseln lösen wollte. Kurzerhand habe er ihn gepackt, den Schmied gescholten und sei zurückgekehrt. So einfach! Baron Schnakensee war des Lobes voll für seinen flinken und bescheidenen Collega.

Auf dem Greifenpaß über die kalten Koschberge, dort oben am Traviakloster zum Passe nahe der Baronei Twergentrutz, wo die Reichsstraße von Gratenfels kommend den Scheitel der Koschberge überquert um zu den Angbarer Hügeln hinabzusteigen, dort stehen schon die Mannen und Frauen des Stadtvogtes zu Angbar. Dieser erwartet auf seinem Rosse den Schandzug und übernimmt ihn aus den wack'ren Händen des Barons von Schnakensee und des Edlen von Wichtenfels, und damit auch die Verantwortung. nun ist Bosper zu Stippwitz, jüngst gewählter und bestätigter Vogt von Angbar, Hauptmann für einen Mond und geleitet den Zug durch das festliche Angbar, das Spektakelverwöhnte. Eben noch hatte hier der Fürst Blasius sein fünfzigstes Tsafest am 15. Travia gefeiert, da nahte zum ersten Boron der Schandzug! Zwei Tage lang blieb er - einen für den Pranger und einen für den Praiostempel seiner Ehrwürden Tarjok Boquoi zu Drift. Dann machte sich das Spektakel wieder auf, die Angebrücke bei Steinbrücken zu queren: Die Drachengarde inmitten bunten Volkes und der Stadtgardisten von Angbar.

In der Abtei Leuwenstein zu Steinbrücken aber hielt man wieder für einen Praioslauf, ist dieser Orte doch dem Praios heilig, auch wenn der Priesterkaiser Kathay hier sein Ende fand. Jenseits der Angebrücke aber harrte schon Burggraf Oldebor der Falke zu Raulsmark, der erste unter den Garether Burggrafen, in karmesinrotem Wamse und mit Fünfzig prächtigen Söldlingen des Zuges, ihn zu übernehmen aus der Hand des braven Vogtes. Doch weh! Mitten auf der Brücke - noch nicht in Garetien, doch auch nicht mehr im Kosch - entsprang Baron Hadarin - der weniger ausgemergelt schien als noch zu Anfang des langen Marsches - seinen beiden Wachen und entfleuchte trotz Ketten und dünnem Büßergewande den haschenden Händen! Mit einem Satz schwang er sich über die Brücke und fiel lachend in die Fluten der Ange, die hier schon recht tief ist. Nicht lange jedoch zögerte WeibelGerwulf von Gareth zu Rabensbruck, sondern sprang beherzt dem Schurken hinterdrein. Alles Volk und auch die Gardisten, von denen keiner zu springen sich getraute, schauten von der Brücke und vom Ufer den Ringkampf in den Fluten, als der Weibel den Hadarin gepackt hatte. Da! Sie verschwanden unter den Wellen und blieben dort! Burggraf Oldebor befahl dreien seiner Leute den Sprung, die auch sogleich Waffen und Rüstzeug ablegten - da tauchten die Kämpfenden wieder auf! Und Weibel Rabensbruck hatte den Hadarin an der Gurgel und schleppte den Zappelnden mühsam an das garethische Ufer. Burggraf Oldebor war zu einem solchen Rot angeschwollen, wie sein Wams gefärbt war, und wollte den Hadarin kräftig ohrfeigen, doch wurde er von einem Rufe zurückgeghalten: „Heda! Laßt ab von diesem Rittersmanne!“ - der Sherianus war es, aufgerichtet zwischen den Gardisten, der da den Todfeind von einst vor dem Zorn des Burggrafen bewahren wollte! Und Oldebor der Falke ließ ab, denn er erkannte, daß hier das gemeinsame Schicksale die Schranken des Hasses von einst überwunden hatte, des Hasses, der seinerzeit zur Verhaftung der beiden geführt hatte. Und Hadarin schien tatsächlich gerührt zu sein! Alle Verachtung war aus seinem Blick gewichen, als er den Sherianus nun - ja, dankbar fast - ansah.

Den folgenden Weg nach Gareth - der Zug war gewißlich schon tausend Mann stark - stützten die beiden Kontrahenten von einst sich: Strauchelte Sherianus, so hielt ihn Hadarin, stolperte Hadarin, so fing ihn Sherianus auf - oder beide fielen zu Boden. Burggraf Oldebor ließ den Schandzug über die Silkwiesen führen, denn dort war des Reiches Stärke gegenüber Usurpator Answin dem Ruchlosen und gegen den Schwarzpelz augenscheinlich geworden vor der Götter und der Welt Angesicht!

Am 21. Tage des Boron aber langte der Zug in der Stadt des Lichtes an, wo für die Verurteilten der Gipfel des Bußganges erreicht war. Zwei Tage und zwei Nächten beteten sie in der hohen Halle des Götterfürsten, ehe am Morgen des 24. Boron der Schandzug für Feron Hadarin sein Ende nahm.

Auf dem Greifenplatz kündeten Trommel- und Paukenwirbel das Nahen des Delinquenten unter Bewachung der Drachengarde. Honoratioren der Stadt bevölkerten eine Tribüne, die direkt gegenüber einer zweiten aufgebaut worden war, auf der des Reiches Richtmeister Cildros von den Zyklopeninseln wartete. Das Richtpodest war umringt von blauuniformierten Gardisten der Drachengarde, befehligt von Garde-Capitänin Fenia von Ragath. In seinem Büßergewande schritt Hadarin durch die Reihen der Gardisten., dahinter die blutgierige, aufgebrachte Menge - Garether wie allerlei Volk aus der Provinz. Zuletzt wurde adeliges Blut durch das Richtbeil unter Answin vergossen! Stolz erhobenen Hauptes erstieg Hadarin die Stufen zum Richtbock, neben dem Cildros höhnisch grinsend bereitstand. Garde-Capitänin Fenia von Ragath verlas ungerührt und donnernd laut das Register der Untaten des gewesenen Barons von Rallerfeste, nunmehr Feron Hadarin, und die Honoratioren - Bürgermeister Trautmann Karfenck, Baron Irian Ohneturm von Vierok, Kanzleirat Narbosios von Eslamsgrund, einige Reichs-Cammer-Richter, allerlei Barone der Umgebung, wohl auch die Burggrafen der Garether Marken - die hörten's mit Wohlgefallen, wie das göttliche Recht und das neureichische Gesetz hier und auf diesem Platze ausgeführt wurde.

Nachdem die Capitänin Fenia von Ragath geeendet hatte, kniete Hadarin vor dem Richtbock nieder, legte das Haupt darauf. Ein lauetes „Rondra hilf!“ stieß der stolze Hadarin aus, als das Richtschwert auf seinen Hals niedersauste, und danach das Gegröhle und Gejohle der Menge, die nicht genug Blut fließen sehen konnte.

Zu dieser Stunde bereits befand sich der einsame und gramgebeugte Sherianus wieder auf der Straße nach Wehrheim, bewacht von abermals einem halben Banner Drachengarde unter dem mutigen Weibel Gerwulf von Gareth zu Rabensbruck und dem Burggrafen Oldebor von der Raulsmark. Allhöchstens fünfzig Schaulustige und Schausteller folgten dem halbierten Schandzuge nach Wehrheim, wo allerdings wieder ein Heer von Gaffern die Ankunft des Schandzuges begleitete. Auf dem Sonnenplatze übergab Burggraf Oldebor den Zug dem darpatischen verantwortlichen Hauptmann für einen Mond, dem Baron zu Echsmoos Malzan von Rabenmund und seinem Collega Baron zu Wolkenried Bollkîn von Waldenböckel.

Doch - nicht freundlich war das Grinsen des Herren Rabenmund, als er Sherianus an den Ketten packte! Denn Feron Hadarin hatte, nachdem er durch die Anzeige des Sherianus verhaftet worden war, noch geheiratet, und zwar eine Edeldame aus dem Hause Rabenmund. Allfolglich gab Baron Malzan von Rabenmund keinen Kreutzer auf den Sherianus, schließlich ist Blut dicker als Tränen, und die Bande der Familie Rabenmund seit alter Zeit fest! Mehr denn einmal mußte der weise und greise Baron zu Wolkenried einschreiten und bei aller richterlicher und gerechter Härte die göttergefällige Barmherzigkeit dem „feigen Witwenmacher“ gegenüber anmahnen - und hätte er es nicht getan, Sherianus von Darbonia, mehr Knochen und Haut denn je, hätte Warunk nicht mehr gesehen, zu dem die Reichstraße den Zug hinführte. Denn der Herbst war gekommen, mit buntem Blattwerk, aber auch mit eisiger Nachtkälte. Und es würde noch Winter werden, bis Sherianus sein Ziel erreichen würde. Tobrischer Winter!

Sherianus beschleunigte die Schritte nach Warunk, näherte er sich doch nicht nur Mendena, dem Endpunkt seines schweren Marsches, sondern auch Warunk, an dessen Grenze er den forschen Baron Rabenmund endlich gegen einen anderen Bewacher eintauschen würde! Und siehe: Rittfrau Jolinde von Springewull, Burggräfin zu Warunk, trieb den Geketten zwar wüst an, sich zu beeilen, doch auf der Burg wurde Sherianus gewaschen und gespeist, damit er den Rest des Weges zurücklegen und auch die vielen noch kommenden Tage am Pranger überstehen konnte. Denn niemand wollte, weil er das Gebrechen des Verurteilten verursacht hatte, die Strafe selbstselbsten zur Ausführung bringen, erst recht nicht die altgediente Rittfrau. Und auch der forsche Baron von Rabenmund hatte stets geachtet, bei aller Häme und allem , daß der Büßer immer auf eigenem, schändlichem Fuße würde marschieren können!

Nach Warunk aber, auf der Landstraße nach Vallusa, schrumpfte der Zug schnell wieder zusammen auf das halbe Banner Drachengarde und den Warunker Gardisten, denn kein fahrender Gesell wollte dem Zug bis in das tiefe Tobrische folgen, denn für so manchen Garether endet die zivilisierte Welt in Warunk, danach gäbe es nur noch Schafe und Tobrier.

Doch Sherianus selbst blühte zusehends auf, nachdem die Pein langsam ihrem Ende zuging, und er endlich wieder in die Gefilde seiner Heimat zurückkehrte. Und als an der tobrischen Grenze am 18. Hesinde zwanzig wohlgepanzerte, tobrische Ritter im eisigen Regen standen, ihn zu übernehmen und die Warunker Burggräfin ehrfurchtsvoll auf gut tobrisch grüßten, da lächelte der Verurteilete gar und begrüßte seinerseits als erster den Hauptmann für einen Mond, der den letzten, tobrischen Teil des Schandzuges befehligte: „Seid gegrüßt in der Götter Namen, Baron Wulfhelm von Friggenhaupt! Sied Ihr gekommen, Euren alten Grafen zu begrüßen?“ Doch mit derben Stößen in die Rippen ließen die Tobrier aus der Grafschaft Mendena den gewesenen Vogt wissen, was sie von einem Reichsverräter hielten, der auch den Namen der Grafschaft in Verruf gebracht hatte. Baron Friggenhaupt führte den Zug in eisigem Schweigen, Sherianus nicht einmal beachtend. Und auch Firun schien es nicht gut mit dem ausgemergelten Vogt zu meinen, denn Ende Hesinde war Winter über Tobrien hereingebrochen und weiße Kälte überzog die Wälder und Moore des Herzogtums.

Ähnlich kalt war auch der Empfang in Eslamsbrück, der Stadt, wo der Mendensiche Landweg von der Straße nach Vallusa abzweigt. Hier stand allerlei Volk auf dem Marktplatz und schien erst befriedigt, als der Verurteilte endlich am Pranger stand und reuig-konzentriert den Boden zu seinen Füßen anstarrte. Da trat der Stadtvogt von Eslamsbrück aus der schweigenden Menge und baute sich vor dem Verurteilten auf. Mit einer Mischung aus Mitleid, Zuneigung und Abscheu betrachtete er den Angeprangerten, der doch vom gleichen Blute war! Denn der Vogt ist Eberhelm von Darbonia-Schnattermoor, der Vetter des Sherianus. Schließlich sprachen beide bis in die Dunkelheit miteinander, leise. Beiden waren die Tränen in die Augen getreten, als sie sich trennten.

Am 3. Firun endlich erreichte der Schandzug die Tore von Mendena. Die Drachengardisten waren gezeichnet von diesem halben Götterlaufe, in dem sie das Reich von Sonnenuntergang nach Sonnenaufgang durchquert hatten. Doch schlimm stand es um Sherianus von Darbonia: Kälte und Anstrengung hatten ihn ausgezehrt. Seine Augen waren entzündet, sein Blick wirr. Auf dem letzten Stück des Weges hatte er begonnen, dummes Zeug zu plappern. Den Gaffern am Wege schien es mitunter, daß die Gestalt, die sich durch den Schnee schleppte, dünner und dürrer wäre als die Decke, die sie um die Schultern trug.

Doch am 3. Firun erreichte Sherianus von Darbonia Mendena, und auf dem Platze vor dem Praios-Tempel wurde er zum letzten Male angeprangert. Niemand geringeres als sein eigener Bruder Litprand von Darbonia, der lang verschollene, aber war es, der ihn am Morgen des 4. Firun aus dem Schandkragen befreite, seine Ketten löste und ihn stützend in den Praiostempel führte.

Weibel Gerwulf von Gareth zu Rabensbruck aber verkündete laut: „Höret Frauen und Männer von Mendena! Bei Praios, Kaiser, Reich und Recht! Hier nahmen die Untaten des schändlichen Vogtes Sherianus von Darbonia ihren Anfang und hier nimmt der Schandzug des nämlichen sein Ende! Seht die Weitsicht des Richtspruches, daß er den Verbrecher reuig zurückführt an die Stätte seines Vergehens! Sherianus von Darbonia wird von diesem Tage an aus dem Neuen Reiche verbannt und mag nimmermehr zurückkehren, es sei denn als Rechtloser und Vogelfreier, den jeder Bettler ungestraft erschlagen mag! Hoch das Reich! Hoch der Reichs-Behüter!“

Av. Bote No. 61