Geschichten:Der Ritt in den Reichsgau Teil 16

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Teil XVI


Die gräfliche Pfalz lag friedlich im hellen Sonnenlicht der Praiosstunde. Der lichte Wald, der die klobig wirkende Festung mit den mächtigen Mauern umgab, spendete ein wenig Schatten, vor dem gleißenden Praiosauge. Es war ungewöhnlich warm an jenem Tag. Das Banner des Grafen flatterte wilde neben den kaiserlichen Farben im strammen Ostwind.

Die alten, aber soliden Mauern, sowie die mit dunklem Schiefer gedeckten Türme, die die Wehr in regelmäßigen Abständen, gleich drohenden Speeren, die ihre Spitzen gen Himmel reckten, durchbrachen, machten auch dem größten Narren klar, dass man ein ganzes Heer brauchen würde, um die Pfalz zu erobern. Die Pulethaner waren schon auf gut zweihundert Schritte an die Festung heran gerückt, als der vorne reitende Simold den rechten Arm erhob und den gesamten Tross kurzfristig zum Stehen brachte.

Die Zugbrücke der Festung wurde herunter gelassen und das breite mit schwerem Eisen beschlagene doppelflügelige Tor öffnete sich. In den Schießscharten des darüber liegenden von zwei spitzen Türmen gekrönten Torhauses konnte man die Umrisse von Wächtern erkennen.

Simold sandte einen seiner Reiter, um die nahenden Edlen anzukündigen. Dann geschah erst einmal gar nichts.

Die Pulethaner warteten eine Weile, doch auch auf weitere Versuche willkommen geheißen zu werden erfolgte keine Antwort.

Der Baron von Dunkelsfarn schüttelte abschätzig den Kopf. „Wie erbärmlich. Der Pfalzgraf versteht sich noch nicht einmal auf die Einhaltung der Grundregeln der Etikette.“

„Wir habän Zait“, beschloss Eslam. Man ließ alle Mann absteigen und baute ein kleines Feldlager auf. Nach und nach richteten die Männer sich ein und man baute eine kleine Tafel auf, an der die Adeligen zu speisen begannen. Wein wurde von einigen Dienern herbei geholt und die Pulethaner zeigten, dass sie nicht am Hungertuch nagten.

Man gab dem Pfalzgrafen unmissverständlich zu verstehen, dass man es durchaus verstand sich selbst fürstlich zu bewirten, sofern man nicht standesgemäß begrüßt wurde.

„Hoffentlich kocht der Graf jetzt vor Wut, wenn er sieht, dass sein Schweigen uns keineswegs vertreibt.“ Rondrigo riss sich ein Stück Brot ab und steckte es in den Mund, während Eslam einem seiner Hunde einen Brocken rohen Fleisches hinwarf, worauf die beiden mächtigen Tiere sich sofort darum balgten.

Luidor von Hartsteen schüttelte den Kopf über die Borniertheit seiner Gäste, beschloss aber ebenfalls zu warten. Vielleicht würden sie bald einsehen, dass sie nicht willkommen waren. Der beste ungebetene Gast war jener, der irgendwann selbst erkannte, dass seine Präsenz nicht erwünscht war.

Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis die Provokation ihre Wirkung zeigte. Eine kleine Gruppe von einem halben Dutzend Reiter verließ im Galopp die Feste und machte sich auf den direkten Weg. An ihrer Spitze ritt ein Mann im blinkenden Harnisch, in der Hand ein Banner mit dem gräflichen Wappen.

„Scheinbar hat da jemand seine Meinung geändert und will nun doch reden.“ Fredo von Dunkelsfarn wies seinen Knecht an, das Pferd zu bringen. Nacheinander stiegen alle wieder auf und ritten dem Empfangskomitee entgegen, während die Diener der Adeligen zurück beim Lager blieben.

„Und wänn schon! Wär will denn schon redän?“ Eslam gab seinem Pferd die Sporen und seine tapferen Krieger folgten ihm unmittelbar.

Rondrigo sah sich unruhig um, denn schon seit einiger Zeit hatte ihn das Gefühl beschlichen, dass man sie beobachtet hatte.

Knapp achtzig Schritt vor den hohen Mauern der Festung trafen die Reitergruppen aufeinander. Die Gruppe aus der Festung war gut gerüstet und bewaffnet. Alle trugen einen Reiterharnisch, Helm und Schild. Ihr Anführer, ein hoch gewachsener Mann, der einen in gelb und dunkelblau gehaltenen Wappenrock über der Rüstung trug nickte den Pulethanern knapp zu und schob dann das eiserne Visier seines Helmes zurück.

„Die Zwölfe zum Gruße, hohe Herren,“ rief er ernst, wahrte aber etliche Schritte Distanz zu den Südländern und ihren Kriegern. Erschrocken musterte er die große Zahl der Kämpfer, mühte sich aber, seine Überraschung zu verbergen.

Anhand der goldenen Schärpen mit dem blutroten Greifenwappen waren die Pulethaner eindeutig zu erkennen. Auch wenn nicht alle versammelt waren, so waren es ihrer dennoch mehr als genug, befand der Junker von Firunshöh.

„Du waißt wär wirr sind. Wir wollen mit deinäm Marbän reden und zwarr rasch. Es gibt einigäs zu besprächän!“ Simold ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass man sich keinesfalls mit einem Lakaien zufrieden geben wollte.

Unbeeindruckt richtete der Ritter sich im Sattel auf. „Ich bin Junker Radulf von Firunshöh und habe Euer Begehren zur Kenntnis genommen. Darob möchte ich kund tun, dass Seine Hochedelgeboren Bernhelm von Wetterfels, Pfalzgraf zu Reichsgau, Euch nicht zu sprechen wünscht. Kehrt um und reitet in Eure Heimat zurück.“ Er drehte sich zu Luidor und nickte respektvoll. „Euch grüßen wir voller Ehrerbietung, Luidor von Hartsteen. Seid willkommen.“

Radulf kannte Luidor, wenn auch nur flüchtig, aber er wusste, dass sein Herr, der Pfalzgraf, sehr gute Beziehungen zu den anderen Hartsteens unterhielt. Der Angesprochene erwiderte den Gruß, doch bevor er etwas sagen konnte, hatte einer der greifenfurter Pulethaner das Wort ergriffen.

Rondrigo schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir wollen vom Grafen selbst hören, dass er uns nicht empfängt! Wir haben nicht den langen Weg hier her in Kauf genommen, um nun wie einfache Bittsteller abgewiesen zu werden!“

Radulf lächelte dünn. „Ihr könnt allesamt aufbrausen, so viel ihr wollt. Mein nobler Herr wünscht mit Euch keinesfalls zu sprechen. Andere wichtige Aufgaben erfordern seine Aufmerksamkeit. Eure Lügen und intriganten Ränke sollen sein Gemüt nicht weiter mit Sorge beschweren. Ihr seid nicht willkommen in Reichsgau diese Tage.“

„Unsere Lügen?“ Eine Augenbraue des Barons von Dunkelsfarn wanderte nach oben, seine Augen funkelten böse. „Wer geht denn einem klärenden Gespräch aus dem Wege? Wir, oder dein Herr?“

„Das ist eine äußerst berechtigte Frage,“ bekräftigte der Junker von Breitenhof die Worte seines greifenfurtischen Landsmanns.

Radulfs Pferd war unruhig und tänzelte zur Seite. Energisch brachte der Ritter das Tier zur Räson und sah die Edlen vor sich entschlossen an. „Es gibt den durch mich überbrachten Worten meines Herrn nichts mehr hinzu zu fügen. Geht jetzt!“

Eslam kochte vor Wut, jedoch hielt er sich noch zurück und wurde noch nicht handgreiflich. „Ha! Du kannst uns nischts befählän! Dein Marbän ist ein älendär Faigling! Är fürchtet sich und verkriecht sisch liebär in seinär Fästung, anstatt uns wie ein äschter Mann gegenübär zu träten! Zuärst lässt är uns aus dem Hintärhalt angreifän und dann versteckt är sich hintär seinen Rittärn!“ Wild einige nebachotische Flüche ausstoßend hob der Baron verärgert die Faust und schüttelte sie in Richtung der dicken Mauern.

Alles entwickelte sich, wie Luidor es befürchtet hatte. Noch schwieg er, aber wenn die Pulethaner sich nicht zu beherrschen wussten, dann würden sie bald erfahren, was es bedeutete sich mit den Hartsteens anzulegen.

Auch Radulfs Gemüt kochte nun. „Wagt es nicht, den edlen Grafen auf diese Weise zu beleidigen! Dazu habt Ihr kein Recht! Er ist ein tapferer und ehrenvoller Mann. Nehmt Euer räudiges, stinkendes Tulamidenpack und verschwindet vom Land meines Herren, bevor selbst die Läuse und Würmer vor eurem Gestank fliehen!“ Einen Moment lang herrschte Totenstille. Die Ritter im Gefolge des Junkers von Firunshöh sahen sich bang und fragend an, einige von ihnen tasteten bereits vorsichtig nach dem Knauf ihrer Schwerter, obwohl ihnen bewusst war, dass ein Kampf gegen diese Übermacht aussichtslos war. Selbst die beiden Bluthunde schienen die Luft anzuhalten und abzuwarten, was jetzt geschehen würde.

Simold kniff, wie von plötzlichen Zahnschmerzen gepackt die Augen zusammen; wohl schon ahnend, was gleich folgen würde.

Schließlich durchbrach Eslams Stimme die Stille und es lag ein ungläubiger Tonfall in ihr. Überrascht sah er Simold an. „Wuos hat där grad gäsagkt?“ Die berittenen Krieger an der Seite der nebachotischen Barone konnten ihre Wut kaum noch zügeln. Mit Kor als ihrem großen Vorbild lebten sie ihren Zorn und ihre Kampfeslust für gewöhnlich voller Leidenschaft aus.

„Zügelt Eure dreiste Zunge, Herr von Firunshöh! Sonst werdet Ihr es noch einmal bereuen.“ Auch Rondrigo war über die Unverschämtheit des Ritters deutlich erbost. Ra’oul, der erstgeborene Sohn des Marben von Brendiltal preschte vor. Niemand redete auf solch abscheuliche Weise mit einem Nebachoten, schon gar nicht mit dem Al’Shuar und den Ammayin a Korosan. „Isch wärda diese Hyäne Respäkt lehren!“ Mit einem kräftigen Ruck zerrte Ra’oul sein Krummschwert aus der Lederscheide und trieb sein Ross an, um sich auf den Ritter zu stürzen.

Lächelnd verschränkte Eslam die Arme vor der breiten Brust, während die restlichen Pulethaner und Luidor von Hartsteen überrascht den Vorstoß des jungen Mannes nur beobachten konnten. „Isch wärde langsam alt. Mein Sohn ist schnäller als isch.“

Nur einer wirkte nicht sonderlich überrascht. Simold ließ kopfschüttelnd den das Kinn auf die Brust sinken. Radulf von Firunshöh war ebenso überrumpelt von der Attacke des Nebachoten wie der Rest seiner Schar. Mit einem lauten Scheppern krachte das gebogene Schwert des Südländers auf den massigen Brustpanzers des Junkers, der von der Wucht des unerwarteten Angriffs aus dem Sattel gerissen wurde. Mit einem dumpfen Laut schlug Radulf auf dem mit dichtem Gras bewachsenen, harten Boden auf.

Ächzend rollte er sich zur Seite und rappelte sich mühevoll auf. Seine Seite und sein Rücken schmerzten niederhöllisch, als er sich vollends aufrichtete. Höhnisches Gelächter aus fast fünfzig rauen Kehlen empfing ihn, als er wieder stand.

Ra’oul lenkte sein Pferd im gemächlichen Schritt zurück an die Seite seines Vaters. Mit grimmigem Blick schritt Radulf von Firunshöh zu seinem Ross und stieg wieder auf. Seine Begleiter waren bereit und warteten auf den Befehl ihres Anführers.

Ohne weiteres Zögern zog der Dienstmann des Grafen blank und seine Ritter taten es ihm gleich. Rondrigo konnte nicht glauben, was er da sah. Wie kurzsichtig waren die Männer des Grafen bloß? Seine rechte Hand packte den Griff der am Sattel hängenden Reiteraxt, während gut fünfzig Klingen unter schabenden Geräuschen nun gezogen wurden.

„Für diese Demütigung wird der Bastard büßen müssen!“ Radulfs Pferd machte einige Schritte vor, während er mit der freien Hand das Visier nach unten klappte. Der Zweitgeborene und uneheliche Sohn des Brendiltalers ergriff nun das Wort: „Du schprichst hier von däs Marbän Ärstgeboränam, däm Mar’olum (Edlen) Ra’oul han Beshir a’Danal“ schnauzte er den Junker an, „ISCH bin där Bastard!“ Doch Radulf ignorierte den Einwand.

„Bleibt zurück,“ rief er seinen Rittern zu. „Das ist eine persönliche Ehrenangelegenheit.“

Ra’oul wollte bereits wieder lospreschen, als Simolds mahnende Hand ihn kurz zurück hielt. „Lass ihn bittä am Läbän, wenn du kannst.“ Die Geschichte würde bereits jetzt genug Staub aufwirbeln. Beide Streithähne ritten nun zornig aufeinander zu, mehr als bereit den Gegner wie eine Made zu zertreten.

Luidor von Hartsteen traute seinen Augen nicht. „Was soll dieser Unfug, Ihr habt versprochen, dass ihr mit keinerlei Gewalt gegen den Grafen vorgehen wollt! Das gilt auch für diesen Dienstmann des Pfalzgrafen. Ist Euer Wort so wenig wert?“ Eslam sah kurz zu ihm herüber. „Das ist einä Ährenangelägenhait. Da müssen wirr uns raushaltän.“...