Geschichten:Der Pfalzgraf erntet den Sturm - Teil 6

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Grafschaft Eslamsgrund, Baronie Gallstein, Burg Mor’Tres – Verließ


Selinde von Wiesenbrück zitterte am ganzen Leib. Einige Unbekannte hatten sie vor zwei Tagen aus ihrem Bett gezerrt, ihre Zofe und ihre Diener nieder geschlagen, ihr dann eine Kapuze über den Kopf gezogen und sie im Nachtgewand auf ein Pferd gepackt. Wohin die Reise gegangen war, wusste sie nicht. Man hatte einige Pausen gemacht, doch sie war sich sicher, dass ihre Reise nun ein Ende hatte. Sie meinte das Knarren eines großen Tores gehört zu haben und dazu das Rasseln eines nach oben gehievten Fallgitters.

Dann ging es wohl in die Tiefe und dort hatte man sie grob an einen Stuhl gefesselt. Wie lange sie nun bereits so dort saß, vermochte sie nicht zu sagen. Sie vernahm immer wieder Schritte, doch niemand schien sich um sie zu kümmern.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie das Ächzen einer Holztür vernahm, die langsam geöffnet wurde. Der frische Duft eines Parfums stieg ihr in die Nase. Eine grobe Hand zog die Kapuze von ihrem Gesicht und sie blickte sich nervös um. Sie befand sich in einer kleinen Kammer, mit Stroh auf dem Boden und einem hölzernen Eimer in der Ecke. Eine Zelle!

Ein grober Kerl mit vierschrötigem Gesicht und einer ledernen Weste über dem nackten, haarigen und muskelbepackten Oberkörper stand neben der Tür, eine breite Knute in der großen Hand.

Neben ihm stand ein deutlich schlankerer, gut aussehender Mann mit dunkelblondem kurzem Haar. Seine feinen Gesichtszügen erzählten die Geschichte eines verwöhnten Lebens. Er trug saubere und edle Kleidung aus feinstem Stoffen, die für die garether Mode etwas zu übertrieben waren.

Seine grünen Augen funkelten viel versprechend und sein charmantes Lächeln beruhigte Selinde ein wenig. Dieser Mann sah zivilisiert aus, so dass sie sich nicht mehr allzu sehr fürchtete. Zumindest für einen kurzen Augenblick. „Verehrteste Edle von Wiesenbrück,“ begann der Fremde aalglatt, „seid willkommen in dieser bescheidenen Behausung und verzeiht bitte die Unannehmlichkeiten der so plötzlichen Reise.“

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte und zögerte. Doch dann fand sie ihre Stimme wieder: „Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?“ Sie flüsterte beinahe, denn mehr Kraft fand sie im Moment nicht.

Claudio di Conserrano lächelte dünn. “Nun, vorerst reicht es, wenn ich Euch kenne und Ihr wisst, dass ich nur ein bescheidener Gastgeber bin. Leider können wir Euch im Moment kein standesgemäßes Quartier zuweisen, aber Ihr verzeiht uns das sicher.”

Der Horasier deutete knapp auf die strammen Fesseln um ihre Handgelenke. „Zu Eurem eigenen Schutz müssen wir leider darauf bestehen, dass Ihr diese tragt.“ „Lasst mich sofort wieder frei!“ flehte sie leise.

„Noch nicht, meine Teuerste. Von Euch wollen wir gar nichts, es ist Euer Verlobter, an den wir ein Anliegen haben. Er soll merken, dass er sich mit den falschen Leuten angelegt hat. In dieser Hinsicht ist er war ein sehr tapferer, aber auch äußerst dummer Bursche.“

Ihre Gedanken überschlugen sich. Was wollten diese Leute bloß von ihrem Verlobten?

„Was hat er denn getan? Warum wendet Ihr Euch nicht an ihn direkt, wenn Ihr Streit mit ihm habt?“ Sie versuchte alles, um sich die Freiheit herbei zu reden, doch sie ahnte, dass es nicht gelingen würde.

„Nun, sagen wir es so: der Junker von Firunshöh, eben jener Verlobter von Euch, dient dem Pfalzgrafen Bernhelm von Wetterfels und hat in dessen Namen ein paar ziemliche üble Verbrechen begangen. Wir wollen ihn nun auf Praios’ Pfad der Gerechtigkeit zurück führen; damit er bereuen kann.“

Das scheinheilige Geschwätz des Mannes trieb Selinde die Galle hoch. „Ihr seid ein Lügner und ein Feigling.“

Claudio lachte zaghaft und sah keineswegs beleidigt aus. „Da habt Ihr zweifelsohne Recht, meine Dame, aber dafür habe ich andere Qualitäten. Ihr werdet Eurem Versprochenen einen Brief schreiben, indem ihr ihn darauf hinweist, dass weitere dumme Aktionen sehr unangenehme Folgen haben werden.“

Trotzig spuckte sie Claudio ins Gesicht. Der Kerkermeister wollte sie schon züchtigen, aber Claudio hielt ihn mit einer knappen Handbewegung zurück. „Noch seid ihr ein wenig forsch, aber das wird sich mit der Zeit geben. Ich verspreche Euch, dass Ihr den Brief schon morgen früh schreiben werdet. Ihr werdet mich sogar darum bitten.“

Sie spuckte ihn noch mal an, doch der Liebfelder zückte nur sein Spitzentaschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich das Gesicht behutsam ab. Dann drehte er sich zu dem bulligen Wärter. „Isgerion sei doch bitte so gut und schneide der werten Dame den Ringfinger ab.“ Er hob mahnend den Zeigefinger. „Aber ordentlich diesmal, verstanden?“

Der Knecht nickte mit einem sadistischen Grinsen in der hässlichen, bärtigen Visage. „Gern doch, hoher Herr.“ erwiderte er unvermittelt.

„Und dann sieh zu, dass sie gewaschen wird. Die Fesseln bleiben dran und die Kapuze kommt wieder über ihren Kopf. Wenn sie sauber ist, schick sie in meine Gemächer. Mich gelüstet es nach etwas Abwechslung und diese hübsche junge Dame freut sich bestimmt darüber mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Die Zofen werden ihr ein Nachtgewand bringen, auch wenn sie es nicht wirklich benötigen wird.“

Selinde traute ihren Ohren nicht. Entsetzen fraß sich durch ihr Innerstes und sie schrie wie wild.

Claudio verneigte sich spöttisch. „Ich freue mich bereits darauf Euch später noch zu sehen.“ Dann zog er sich zurück und der grobe Knecht stopfte ihr einen Knebel in den Mund. Kaum hatte Claudio den Raum verlassen, betrat ein weiterer ungewaschener Kerl die Kammer und brachte einen Feuerkorb, in dem bereits reichlich Holz geschichtet worden war. Mit aller Ruhe entzündete Isgerion ein Feuer und wetzte vor den Augen Selindes ein scharfes, großes Messer.

Panisch wand sie sich auf ihrem Stuhl, doch es gab kein Entrinnen. Gemütlich pfeifend hängte der Knecht das Messer ins Feuer und beobachtete, wie die Klinge sich allmählich rot färbte.

Heiße Tränen rannen über Selindes blasse Wangen, während Isgerion sich langsam näherte...