Geschichten:Der König im Dunkeln - Travias Bruder und Satuarias Schwester

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Bruder Jaakon saß auf der grob gezimmerten Bank vor der kleinen Hütte nahe des Waldrandes und ließ sich die Nachmittagssonne auf das bärtige Gesicht scheinen. Seine Wanderstiefel hatte er ausgezogen und entspannt bewegte er spielerisch seine Zehen hin und her.

“Etwas geht um, im Feidewald.“

Erstaunt blinzelte der kraftstrotzende Mittdreißiger die ältliche Frau an, die neben ihm auf der Bank Platz genommen hatte. Mit dem leichten Silberblick ihrer grünblauen Augen blickte sie den Traviageweihten forsch von unter ihrem grünroten Kopftuch her an.

“Was meint ihr damit, Gurnhild?“

“Nun ja, Bruder. Irgend etwas Unheimliches geschieht dort.“

Bruder Jaakon schnaufte fröhlich. “Aber natürlich, Gurnhild. Wann immer ich zu Euch komme, um Kräuter zu kaufen, passieren irgendwo irgendwelche unheimlichen Dinge.“

Die Alte ließ sich nicht beirren. Wie ein gezogener Degen streckte sich ihre spitze Nase dem Geweihten entgegen.

“Ihr wart nicht immer ein Geweihter, Bruder. Ihr habt genug gesehen von der Welt. Kennt all ihre Scheußlichkeit. Habt Monstrositäten gesehen, die Anderleut ihr Leben lang nicht mehr schlafen lassen würden ...“

“... und stehe nun wohlbehütet in den Diensten der guten Mutter Travia, Gurnhild. Viel zu wohlbehütet, um mich von Euren Schauergeschichten beeindrucken zu lassen. Und ebenso habt Ihr vollkommen Recht: Auch habe ich bereits zu viel gesehen in meinem Leben, um mich bei Euren ständigen Versuchen, mich bangebüx zu machen, zu erschrecken.“

Die alte Gurnhild schaute hinüber zum Wald, dann bohrte sich ihr Blick wieder in den des Geweihten. “Die junge Frau vom Kiependreher, sie hat ein Kind geboren, und ich schwöre Euch, es war nicht von dieser Welt. Ich habe es selbst gesehen“, flüsterte sie. “Zerrissen hat’s die Mutter von innen unter der Geburt, und als es endlich rauskam, da hatte es keine rosige Haut, sondern war stachelig und borstig, ganz einem Igel gleich.“

Milde lächelnd seufzte Jaakon und er wollte gerade zu einer Replik ansetzen, als die schneidende Stimme Gurnhilds ihm das Wort abschnitt:

„Der alte Kiependreher hat das Balg zerhauen, auf der Stelle. Und da braucht Ihr auch nicht so zu schauen, Bruder, denn was ich erzähle ist nichts als die Wahrheit.“

“Mich wundert wohl, das keiner Euch dafür verantwortlich gemacht hat“, brummte Jaakon amüsiert, der es gelernt hat, den Geschichten der alten Gurnhild nicht zu viel Beachtung zu schenken.

“Das Spötteln wird Euch noch vergehen, Bruder“, giftete die Alte. „Die Kinder von Bauer Weistreu, Alwine und Waltrift, sie fanden einen Toten im Wald. Glaubt’s oder glaubt es nicht, doch in seinem Körper steckten Igelstacheln von mehr als drei Spann Länge!“

Mit einem weiteren Seufzer schlüpfte Jaakon in seine Stiefel und begann sie kopfschüttelnd zuzubinden.

“Die alten Stätten der Magie und Macht im Wald ...“ Die Stimme der Alten hatte nun fast einen flehenden Ton und gebot dem Geweihten innezuhalten. So aufgewühlt hatte er Gurnhild dann doch in der Tat noch nie erlebt. „ ... Einst waren sie überwuchert, unbegangen, alleingelassen. Sie werden wieder gepflegt.“

„Vielleicht haben Kinder ....“, wollte Jaakon eine Erklärung anbieten, doch wurde er abermals unterbrochen.

„Papperlapapp, Kinder! Viel zu tief im Wald verborgen sind diese Orte, von denen ich spreche. Nur die wenigsten kennen sie überhaupt. Jahrelang haben sie nur furchtsame Blicke aus der Ferne erfahren. Nun werden sie wieder umsorgt.“

„Und ihr wisst auch von wem, nehme ich an.“

„Ganz Recht, Bruder. Von einem Elf und einem Orken.“

“Nun schlägt es aber Dreizehn!“ schalt der Geweihte die Alte und machte gleichsam das Zeichen der Abwehr gegen den Namenlosen, dessen Zahl er hier so unbedacht im Munde führte. „Jetzt weiß ich erst Recht, dass ihr mich wieder nur vergackeiern wolltet, Gurnhild. Und fast wäre ich drauf reingefallen. Doch solltet ihr nicht immer so maßlos mit euren Phantastereien übertreiben. Ein Elf und ein Ork!“

Resigniert erhob sich Gunhild und Jaakon tat es ihr nach. Sie stolzierte ins Haus und kam nur kurze Zeit darauf mit einem ledernen Beutelchen zurück, das sie dem Geweihten in die prankengleiche Hand drückte.

“Eure Kräuter, Bruder Ungläubig“, schnaubte sie und entließ ihn damit. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, machte sie auf dem Absatz kehrt zurück in ihre Hütte.

Eine kurze Weile stand Bruder Jaakon noch verdattert da, bevor er sich schulterzuckend in Richtung der Reichsstadt aufmachte.

Er pfiff einen frohen Frühlingsreigen vor sich hin, in den sich ganz leise jedoch in seinem Kopf die warnenden Worte der alten Gurnhild mengten und stetig lauter wurden.

Etwas geht um, im Feidewald.