Geschichten:Demission und Nachberufung - Reichsgerücht

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Pfalz Gerbaldsberg, im Praios 1034 BF


Es klopfte. Der Pfalzgraf blickte von den Papieren auf, die er gerade durchsah, schüttelte den Kopf, neigte das Haupt wieder und las weiter.

Erneut klopfte es, intensiver, eindringlicher als zuvor. Giselbert lächelte in sich hinein. Manche der Bewohner hatten eine individuelle und höchst persönliche Art, ihre Ankunft bemerkbar zu machen, und etliche der Bediensteten erkannte er mittlerweile bereits am Rhythmus, mit dem sie gegen die Tür schlugen. Und diese Taktfolge gehörte zweifelsohne zu der Person, die ihm hier auf der Pfalz am meisten auf die Nerven ging: Silvano von Hagenau-Ehrenfeldt, dem Hofkaplan des Praios.

Sollte der Praiosgeweihte doch noch einen Augenblick warten, dachte er erneut bei sich und schwieg weiter, denn er wusste schon, wie es weitergehen würde. Hagenau würde nochmals anpochen und dann von sich aus die Türe öffnen, wie er es immer tat. Der Praiot kannte irgendwie keine Privatsphäüre und musste seine Nase immer in alles hereinstecken – und in politische Angelegenheiten besonders tief. Nicht erst einmal war es dem Pfalzgrafen in der Vergangenheit so vorgekommen, als sähe sich der Hofkaplan lieber selbst im Verwalteramte und nicht in der Rolle des Geistlichen. Praiodan von Luring, der frühere erste königliche Rat, galt Silvano als großes Vorbild, doch von dessen politischer Brillianz wie auch der ganzen Persönlichkeit war der Hofkaplan noch weit entfernt. Und Giselbert war fest davon überzeugt, dass Silvano selbige auch niemals erreichen würde.

Die Intuition hatte ihn nicht getrogen. Noch während das Pochen an der Tür zum dritten Male und nunmehr beinahe brachial erfolgte öffnete sich die Tür, und der Ärmel eines Praiotengewandes schob sich durch den entstehenden Schlitz, der sich weiter und weiter öffnete, bis der Geweihte sich schließlich gänzlich durch die nur halb geöffnete Tür hindurchgezwängt hatte.

Giselbert von Streitzig, Pfalzgraf auf dem Gerbaldsberg, legte seufzend das Papier beiseite, stützte den rechten Ellenbogen auf das Schreibpult, an dem er stand und blickte den Ankömmling mit betont gelangweilter Miene an, dass Kinn nunmehr in der Handfläche des aufgestützten Armes ruhend. Mittlerweile hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, überhaupt nichts mehr zu sagen, wenn der Praiot ihn aufsuchte und diesen stattdessen seine Rede beginnen zu lassen – und wenn Hagenau einmal das Wort ergriffen hatte, wusste er immer auch gleich eine ganze Menge zu erzählen. Das die Relevanz des Gesagten sich dabei für gewöhnlich umgekehrt proportional zur Menge verhielt oder (und zumeist sogar und) die Angelegenheiten des Praiospriesters in keinster Weise tangierte, stand dabei noch auf einem anderen Blatte.

»Habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich?« begann dann der Hofkaplan seine Ausführungen und blickt für den Bruchteil einer Sekunde verwirrt drein, als der Pfalzgraf keinerlei Anstalten machte, etwas zu erwidern und sich augenscheinlich nicht einmal rührte. Also plapperte Silvano munter drauf los, derweil der Pfalzgraf nur mit einem halben Ohr zuhörte, zuweilen leicht mit dem Kopf nickte und ein gespieltes „Aha“ von sich gab. Wie so oft war er über die Dinge, die Silvano ihm mitteilte, bereits wohl informiert, vermied es aber, dies dem Hofkaplan gegenüber auch nur zu erwähnen. Stattdessen hörte er lieber zu, gab sich verhalten interessiert bis neugierig und stutzte dann doch, als der Praiospriester schließlich Namen ins Gespräch brachte. Sicher, es hatte ein Rücktrittsgesuch unter den Reichsrichtern gegeben, dem die Kaiserin auch stattgegeben hatte; der nunmehr vakante Posten, zuvor besetzt mit einem Koscher Baron, sollte nun an einen Garetier gehen.

»Sicher, ich wüsste da so den ein oder anderen Kandidaten, Der Baron von Hirschfurten ist beispielsweise reichsweit bekannt…« trug Silvano vor. Und seine Bekanntheit beruht vor allen Dingen auf seiner Turnierverliebtheit und dem Verlust Leihenbutts im vergangenen Jahr, sinnierte Giselbert und strich den Namen sofort wieder von seiner gedanklichen Kandidatenliste, die ihm bereits im Kopf herumspukte. Silvano fuhr derweil unbeirrt fort und verwies auf den Einfluß der Pfortenritter, allen voran den des Reichsforster Grafen Danos, den er schließlich in den höchsten Töne lobte und auch noch einmal darauf hinwies, dass er, Silvano, selber ja auch aus Reichsforst stammte. Giselbert quittierte diese Bemerkung mit einem leisen Lächeln und verkniff sich die spöttische Bemerkung, dass die Familie Hagenau vor ihrer Zweitkarriere als Landritter des Reichsforster Grafen einmal Junker in Waldstein gewesen waren, bevor sie jenes Lehens verlustig gingen und die Familie Hagenbronn ihnen nachfolgte. Garetische Geschichte war eines der Steckenpferde des Pfalzgrafen, und insgeheim vermutete er, dass der Hofkaplan nicht einmal um die wenig rühmliche Vergangenheit seiner Vorfahren wusste; von ihm würde Silvano diese Kenntnis allerdings nich erhalten, zumindest noch nicht.

»Aus hiesiger Sicht betrachtet müssten wir hingegen doch wohl mehr als Eslamsgrunder denken, wie mir scheint«, ließ der Praiot nunmehr verlauten und gab damit wiederum eine Meinung zum besten, die der Pfalzgraf keineswegs teilte. Sie waren auf dem Gerbaldsberg, der Kaiserlichen Pfalz schlechthin, und die Belange der Grafschaft lagen außerhalb der Zuständigkeit des Pfalzgrafen, ebenso wie der Eslamsgrunder Graf sich nicht in die Belange der Kaiserlichen Enklave einzumischen hatte. Natürlich war Giselbert nicht so blauäugig, die Augen vor den Vorgängen im Königreich und insbesondere in der umliegenden Grafschaft zu verschließen, ganz im Gegenteil. Information war ein für die Politik unerlässliches Geschäft – und zwar handfeste Fakten und keine wilden Gerüchte und wirren Gedankenspiele, auch dass würde Silvano noch irgendwann einmal lernen müssen. Dieser war in seinem Redefluss jedoch beim nächsten Kandidaten seiner Liste angelangt: Dem Baron Malepartus von Helburg zu Höllenwall. Auch so ein Kandidat, dem er wenig Chancen ausrechnete; der Höllenwaller mochte zwar die Unterstützung der Pulethaner haben, aber einen der Beißhunde des Blutigen Ugos ins Reichsgericht zu berufen würde der Kaiserin wohl kaum einfallen.

Halhof, der nächste Name, der fiel, hatte da wegen seiner Nähe zum Hof weitaus bessere Chancen, und immerhin entstammte Hal von Ehrenstein einem der großen Häuser des Reiches. Dies sollte – so hoffte Giselbert zumindest – einen deutlicheren Vorteil mit in die Waagschale bringen als die Zugehörigkeit zu einem nicht wirklich beliebten Ritterbund. Amüsanterweise schien der Hofkaplan ähnliche Gedanken zu hegen, als er weiterparlierte und eben die Zugehörigkeit zu den Hohen Familien des Reiches als ein entscheidendes Merkmal der Kandidaten Nimmgalf von Hirschfurten und Hal von Ehrenstein nannte.

»Und dann wäre da ja noch die werte Dame Escalia von Hahnentritt«, sinnierte der Praiosgeweihte weiter und stoppte seine Rede, als der Pfalzgraf mit einem Male zu lachen anfing.

»Was ist daran so amüsant?« fragte Silvanao denn auch gleich, etwas verwirrt über die ungewohnte Unterbrechung.

»Ich finde es äußerst amüsant, Hagenau, dass ausgerechnet Ihr über die Geeignetheit der Fremmelsfelderin nachdenkt, nach allem, was über sie bekannt ist. Ein Kind der Magierkriege, Jahrhunderte verschollen in einer Globule, fremd in der Welt wie auch im Reich; selbst in der Grafschaft hat sie kaum etwas zu bestellen. Dass Ihr als Diener des Götterfürsten eine Person mit derartiger magiegeprägter Vergangenheit präferiert, ist – mit Verlaub – sehr amüsant. Doch fahrt fort, ich wollte Euch nicht unterbrechen.« Auffordernd nickte Giselbert von Streitzig seinem Gegenüber zu.

»Äh, ja. Aber Ihr werdet anerkennen müssen, dass gerade die nicht vorhandenen Klüngel, in denen ihre Hochgeboren steckt, sie derart für diesen Posten prädestineren, da kaum jemand im Köngreiche neutraler und darob für das Richteramt geeigneter ist als sie.« Der Praiot fand zu seiner alter Form zurück. »Wie dem auch sei. Wie steht Ihr denn zu der Angelegenheit?«

Der Pfalzgraf antwortete nicht sofort. »Meine Angelegeneheit ist es nicht, mich in derartige Dinge einzumischen. Sollen sich jene darum kümmern, die in dieser Frage ein berechtigtes Interesse oder ab Entscheidungsbefugnis haben«. Oder jene, die nichts besseres zu tun haben, dachte Giselbert mit Blick auf den Praioten, ohne selbigen an dem Gedanken teilhaben zu lassen.

»Aber Ihr werdet doch eine Meinung dazu haben?« fragte der Hofkaplan mit ungläubigem Blick.

»Sicher, ich habe eine Meinung dazu, nicht mehrere. Und sollte die Kaiserin mich nach dieser fragen, werde ich ihr mit meinem Rat zur Seite stehen, wie es meine Aufgabe als ihr Vasall ist. Jeder tut das halt das, wozu der Herre Praios ihn ausersehen und an die ihm bestimmte Stelle in der Welt gesetzt hat, nicht wahr, Hagenau?«

Wenn Silvano die Ironie im letzten Satz überhaupt bemerkt hatte, ließ er sich nichts anmerken; vermutlich war es jedoch eher so, dass ihm die Spitze gar nicht aufgefallen war – noch dazu, weil er sich jenes Satzes gerne in seinen Predigten bediente. »Ihr könntet natürlich auch selber Reichsrichter werden, als Pfalzgraf und mit Eurem Erfahrungsschatz aus der Zeit in den Kanzleien des Reiches seid ihr doch wie geschaffen für diesen Posten«, setzte des Praiospriester etwas maulig nach. »Eure Gedanken in Ehren, Hochwürden, doch dieser Vorschlag scheint mir wenig erfolgreich, wenngleich die Schlussfolgerung gar nicht so übel war. Aber seid unbesorgt, ich habe keine derartigen Ambitionen und werde Euch folglich noch ein wenig erhalten bleiben.«

Hagenau verbarg seine Enttäuschung hinter einem Schulterzucken.

»Und zudem sei der Form halber darauf hingewiesen, dass das Reichsrichteramt eine Berufung ehrenhalberhrenhalber ist und ich selbst mit dieser weiteren Aufgabe hier verbleiben dürfte. Das ist Euch doch sicher bekannt?«

Der Hofkaplan nickte nur stumm.

»Nun denn, Eure Meinung war zumindest sehr erbaulich und informativ. Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?«

»Nein, Exzellenz. Wenn ihr entschuldigt, so werde ich mich nun auf die kommende Praiostagspredigt vorbereiten. Praios mit Euch!« Damit verschwand er kopfschüttelnd durch die Türe und zog sie geräuschvoll hinter sich zu.

Giselbert von Streitzig, Pfalzgraf auf Gerbaldsberg, blickte noch einige Augenblicke auf die nun geschlossene Türe, hinter der sich Silvano schnellen Schrittes entfernte. In einem Punkt hatte der Hofkaplan genau seine Meinung getroffen, als er ihn selbst ins Spiel brachte: Der vakante Reichsrichterposten musste an das Haus Streitzig gehen; nicht an ihn selbst, sondern an das Familienoberhaupt. Genau diesen Rat würde er der Kaiserin geben, unabhängig davon, ob sie ihn fragen mochte oder nicht. Dann wandte er sich wieder dem Brief zu, den er zuvor gelesen hatte und der deutlich machte, dass er mit dieser Meinung keineswegs alleine war…