Geschichten:Demission und Nachberufung - Im Elsternest

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Dramatis Personae:


Markgrafenpalast, Reichsstadt Perricum, Anfang Ingerimm 1033 BF wenige Tage nach dem Reichskonvent


"Wie kommt ihr voran, Firunslicht?" Rondrigan deutete mit einer Handbewegung an, der Neuankömmling möge es ihm gleichtun und sich auf einem der gepolsterten Stühle niederlassen. Der höchste Offizier seiner Erlaucht wirkte in dessen Bibliothek indes etwas deplatziert und fühlte sich auch so. Wie so oft war er aber die Definition von akkurater Beherrschtheit, als er nach einem knappen Gruß mit der Faust an der Brust den Raum durchmaß, dessen Bestimmung an mehreren Regalen leicht zu erkennen war, deren Inhalt vom jetzigen Hausherrn durchaus geschätzt und auch um einige Werke über Astronomie und Alchemie erweitert worden war. Die zahlreichen freien Regalbretter hingegen waren mit Kleinkunst, Antiquitäten, Musikinstrumenten, Figürchen und allerlei Altertümern gefüllt. Die Ringe des Kettenpanzers klirrten leise bei jedem Schritt und schoben sich ineinander, als der Marschall sich niederließ.

"Es gibt Fortschritte. Wir haben einiges an der Organisation verbessert. Die Zusammenarbeit mit Admiralin Seridarez gestaltet sich indes weiter schwierig." Die Untertreibung kam dem Firunslichter ruhig und sachlich über die Lippen. Wie schlecht beide aufeinander zu sprechen waren seit einem Treffen im Haus des Barons von Brendiltal, war ein offenes Geheimnis und nur das Ausmaß der damit einhergehenden Probleme Anlass zu allerlei Spekulationen.

"Ach ja, ich hörte davon. Das Ganze ist sehr bedauerlich und ich fürchte, dieser Streit hilft auf unserer Seite des Meeres niemandem." Rondrigan schenkte seinem Gast aus einem Krug nach, an dem sich außen feine Wassertropfen gebildet hatten, und füllte auch seinen eigenen unter den reichlich geschmückten Bechern, die auf dem kleinen Tischchen zwischen den Gesprächspartnern standen. Derweil hatte sich die Falte auf der Stirn des Firunslichters etwas vertieft und er konstatierte: "Ich versichere, von meiner Seite wird das Machbare zur Abhilfe getan."

"Gemach, gemach, Firunslicht." Rondrigan hob beschwichtigend die Hand. "Ich habe Euch nicht gerufen, um einen Tadel auszusprechen. Ihr macht Eure Sache gut. Wäre ich davon nicht überzeugt, hätte ich Euch dieses Amt gar nicht aufgebürdet. Ich habe auch gesehen, dass Ihr alles tut, um die Befehlsstrukturen innerhalb meiner Soldaten zu festigen, und Euch nicht scheut, neue Wege zu gehen mit dem Ziel, Missstände aus der Welt zu schaffen. Ihr kommt sogar so gut voran, dass ich es wagen möchte, Euch einen Vorschlag zu machen." Der markgräfliche Trunk fand seinen Weg über Lippen und Kehle, bevor der Genießende weitersprach. "Ihr wisst ja, dass der Baron von Dunkelforst und Baruns Pappel als Reichsrichter zurückgetreten ist. Inzwischen ist in bestimmten Kreisen bekannt geworden, dass Ihre kaiserliche Majestät gewisse Bevorzugungen geäußert hat, was die Nachfolge angeht. Offenbar möchte sie jemanden aus ihrem eigenen Kronlehen ernennen. Das Reichsgericht hat derzeit viele entscheidende Fälle vorliegen und die Entscheidung, wer schlussendlich über deren Beilegung mitbestimmt, hat mit Sicherheit einen großen Einfluss auf das Gesicht des ganzen Reiches. Umso wichtiger ist ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein beim zukünftigen Richter. Mir liegt viel daran, zu verhindern, dass irgendein Heißsporn oder Eigensüchtler sich im Reichsgericht breit macht."

Aldron hatte die Rede des Markgrafen genutzt, selbst von dessen Wein zu kosten und behielt den Becher vorerst in der Hand. "Meine Kenntnis um den garetischen Adel ist nicht umfassend genug, um Euch in dieser Sache weiterhelfen zu können."

Rondrigans Antwort wurde von einem Lächeln begleitet und kam schnell. "Nein, nein, Firunslicht. Ihr missversteht mein Ansinnen. Ich möchte nicht Euren Rat. Ich sehe in Euch einen geeigneten Kandidaten für das Amt." Aldron setzte seinen zum Schluck erhobenen Becher ab und stellte ihn auf dem Tisch ab. Rondrigan indes sprach ruhig weiter. "Nicht so erstaunt, Firunslicht. Ihr seid integer, gut beleumundet, von altem Blut und als Landvogt von hohem Adel. Euer Gerechtigkeitsempfinden ist ungetrübt und Ihr seid gewohnt, Euch durchzusetzen." Nicht offen, sondern nur im Geiste fügte Paligan noch an, dass er sich einigermaßen sicher war, dass sein Vasall im Reichsgericht zumindest keine Entscheidungen _gegen_ perricumsches oder paligansches Interesse vorantreiben würde. Aldron von Firunslicht hatte sich in den letzten Jahren als eine der stärksten Stützen der jungen Provinz und ihres Markgrafen erwiesen.

"Mit Verlaub, Euer Erlaucht, ich bin kein Garetier", gab Aldron zu bedenken, als er sich auch innerlich wieder vollständig gefasst hatte nach dieser Eröffnung. "Zudem lässt mir euer Auftrag, die perricumsche Wehr auf die Schlacht mit Haffax vorzubereiten, wenig Zeit, in elenvinischen Amtssälen zu beraten." Rondrigan nickte, doch der Einspruch trübte seine Laune nicht. "Niemand sagt, dass Ihr in Elenvina verstauben sollt. Dort tagt ohnehin nur die ständige, niedere Kammer. Das Gremium, um das es hier geht, tritt zumeist zur gleichen Zeit und am Ort eines Reichskongresses zusammen. Auch als Baron sollte man ja sein Lehen nicht zu lange vernachlässigen." Rondrigan machte eine kurze Pause und nippte am Wein. "Und was das andere angeht – ich rechne mit weniger Widerstand, als Ihr wohl vermutet. Für die meisten Garetier gehört Perricum immer noch zu Garetien. Da würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen. Dann haben wir beide uns schlussendlich wenigstens nicht vorzuwerfen, nicht das Beste fürs Reich versucht zu haben. Also, kann ich auf Euch zählen, Firunslicht?"

Rondrigan hatte den gebürtigen Darpatier inzwischen kennengelernt. Er hoffte, dass er mit seiner Einschätzung ausreichend richtig lag und Aldron sich tatsächlich an seiner Ehre packen ließ. Viele Alternativen, die auch zumindest halbwegs durchsetzbar waren, hatte er nicht unter seinen echten Getreuen. Aufmerksam beobachtete er sein Gegenüber. Aldrons Stirnfalte war wieder gewachsen, jetzt wohl als Zeichen von Nachdenklichkeit. Langsam nahm er einen Schluck, kaute ihn sorgfältig und ließ ihn die Kehle herabrollen. Schließlich bemerkte er: "Es wäre in diesem Sinne vorteilhaft, wenn auch die nächsten Reichskongresse vor dem Hintergrund der Bedrohungslage nicht jenseits des Kosch stattfänden." Rondrigan hob die Schultern. "Vermutlich. Man weiß nicht, was kommt, aber Haffax ist – denke ich – ein Problem, über das noch oft genug beraten werden muss. Ich werde nicht müde werden, die Notwendigkeit zu betonen. Also sagt Ihr ja?"

Aldrons Antwort kam rascher als erwartet. "Wenn Ihrer Majestäts Wahl auf mich fällt, werde ich meine Pflicht tun, das wohl!" Rondrigan lächelte wieder erfreut und die für einen Augenblick aufkeimende Anspannung fiel von ihm ab. Mit feierlicher Geste hob er den Becher. "Dann ... auf eine gute Entscheidung und viele hoffentlich gerechte Urteile in Zukunft." Das erste Hindernis war genommen. Nun musste nur noch der Rest der Bahn geebnet werden.