Geschichten:Das Vermächtnis einer Edeldame

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Dorf Zweifelspitz, Junkertum Zweifelfels in der Sighelmsmark, 1. Efferd 1046

Anspannung und Ungewissheit lagen in der Luft. Junker Oldebor von Zweifelfels war sichtlich nervös und tippte ungeduldig mit seinem Bein auf und ab. Sein hünenhafter Bruder Adhemar hingegen stand, ohne eine Regung zu zeigen, an einer Zimmerwand gelehnt. Oldebors Töchter Aldare und Edala saßen schweigend und etwas unbeholfen auf einem der ausladenden Sofas, während ihr kleiner Bruder Helmbrecht vor sich hin schluchzte. Oldebors Nichte Rudane blickte betreten zu Boden.

Schließlich öffnete sich die Tür zu Schlafkammer und Ihre Gnaden Jendara schritt hinaus. Mit traurigen Augen blickte sie zu ihrem Stiefvater Oldebor und schüttelte sachte ihren Kopf. Der kleine Helmbrecht fing sofort an zu weinen, die Mädchen umarmten sich, um sich gegenseitig Beileid zu bekunden. Langsam erhob sich Oldebor und schritt ebenso langsam in die Schlafkammer seiner Mutter. Ederlinde von Eychgras war gerade von ihnen gegangen.

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Aldare Rondirai von Zweifelfels blickte von dem Balkon des Herrenhauses auf den Innenhof hinab. Männer und Frauen in den Farben der Göttinnen Tsa, Peraine und Rahja liefen über den Hof, mal mit Decken oder Tüchern beladen, mal Invalide stützend. Ja, Aldare konnte ihre Großmutter nicht ausstehen, sie war in ihren Augen eine garstige Hexe ohne Freude im Leben. Was hatte die Alte ihr das Leben in jungen Jahren doch schwergemacht. Doch, was ihre Großmutter hier in Zweifelspitz in den letzten Götterläufen auf die Beine gestellt hatte, rang der Heranwachsenden gehörigen Respekt ab.

Im Zuge des Bundes von Einhorn und Doppelsäbel der Familien Zweifelfels und Pfiffenstock wurde Efferd 1042 BF im Dorf Zweifelspitz der ‚Stift zu Ehren der Helden des Landes unter dem Schutz von Einhorn und Doppelsäbel‘ gegründet. Ziel war es, den invaliden Schlachtenveteranen einen Ort der Gesundung und Ruhe zu bereiten, im Namen der gütigen Göttinnen Tsa, Peraine und Rahja. Aldare erinnerte sich noch, wie ihre Großmutter zuerst komplett dagegen gewesen war – war ihr doch die Perricumer Ausrichtung der Drei-Schwestern-Verehrung zu frivol. Doch nach einer gewissen Zeit ließ sich die Alt-Junkerin von dem Projekt vereinnahmen und wurde zur größten Fürsprecherin des Stifts. Mit Nachdruck hatte sie den Umbau des kleinen Herrenhauses zu einem Spital vorangetrieben, hatte unermüdlich Ressourcen beschafft und hatte bei den Familien Zweifelfels und Pfiffenstock die nötige und vor allem versprochene Hilfe eingetrieben. Im letzten Götterlauf wurden die Bauarbeiten beendet. Um das Herrenhaus herum gruppierten sich nur viele kleine Gebäude und Anbauten, die den Invaliden der letzten Schlachten einen ehrenwerten Lebensabend darboten.

Aldare merkte, wie sich ihr eine Person von hinten näherte, es war Sibela von Pfiffenstock, die Edle von Zweifelspitz.

„Eure Großmutter hat dem Land und den Göttern einen großen Dienst erwiesen!“, begann die zierliche Nebachotin mit sanfter Stimme.

„Ehrlichkeit ist eine Tugend, so will ich Euch nichts vormachen. Ich habe meine Großmutter nie gemocht, aber dennoch verneige ich mich vor ihrem Vermächtnis. Nicht viele erschaffen etwas, was nach ihrem Tod andauern wird.“

„Wohl gesprochen“, Sibela nickte zustimmend, „nun macht daraus Euer Vermächtnis!“

„Was meint Ihr?“ Aldare blickte verwundert zu der Frau mittleren Alters neben ihr.

„Ihr seid jung, keine Frage, doch Ihr habt ein gutes Herz, dient dem Land und verehrt die drei gütigen Schwestern. Das Vermächtnis Euer Großmutter, das Vermächtnis unserer beider Familien, braucht jemanden, der es weiterführt und so zu seinem eigenen Vermächtnis werden lässt.“

Aldare nickte verstehend, denn sie wusste, Sibela hatte recht.