Geschichten:Das Verbot der Nandus-Kirche - Abends im Boltanzimmer

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
The printable version is no longer supported and may have rendering errors. Please update your browser bookmarks and please use the default browser print function instead.

Abends auf der Villa Geldana

Ein verhaltenes Klopfen an der schweren Eichentür ließ Edorian von dem Buch aufblicken, in dem er gerade las – 1000 Jahre Neues Reich. Irgendwie sah er es seit dem Konkordat von St. Ancilla mit neuen Augen, dieses Neue Reich. Ein weiteres Mal klopfte es an der Tür, dieses Mal deutlich entschiedener.

„Ja?“

„Seine Edelhochgeboren wünscht euch zu sprechen, Hoher Herr, im Boltanzimmer.“

„Ah, ja ehm ... ich komme gleich.“

„Ich soll Euch zu ihm bringen, Hoher Herr.“

Mit etwas fahrigen Bewegungen warf sich Edorian seine brokatene Houppelande über. Der schwere, silberdurchwirkte Seidenstoff schimmerte im Licht der untergehenden Sonne, die durch das schmale Fenster seines Zimmers herein fiel, wie ein Saphir in blau, blaugrün und violett. So ganz hatte er sich auch nach mehreren Monden noch nicht daran gewöhnt, jetzt wieder dem Adelsstand statt dem Klerus anzugehören – jedenfalls hier in der Villa Geldana, wo er seit besagtem Konkordat unter Hausarrest stand. Nur eine knappe Meile weiter ostwärts, hinter den Mauern der Reichsstadt Gareth, war er Seine Gnaden Edorian Nandurius, Geweihter des Nandus. Will heißen: Er wäre es, wäre er dort. Hier dagegen war er der Hohe Herr Edorian von Weidenhoff, Neffe eines Vasallen der Raulsmark, von niederem Adel und des Weiteren Mitglied einer aufstrebenden garether Kaufmannsfamilie, mit allen materiellen Vorteilen und rechtlichen Privilegien, die dies mit sich brachte – selbst wenn man wegen Volksaufhetzung angeklagt wurde.

Edorian schloss die Spange seines silberbeschlagenen Gürtels und trat vor die Tür. Wortlos führte ihn der livrierte Diener durch die Flure und Zimmerfluchten der Stadtresidenz des Raulsmärker Burggrafen ins Boltanzimmer. In diesem Raum pflegte der Hausherr die wirklich wichtigen Gespräche zu führen, das war dem unfreiwilligen Gast in den letzten Wochen nicht verborgen geblieben. Oldebor von Weyringhaus erwartete ihn schon, sein ältester Sohn und Erbe Sigman leistete ihm Gesellschaft. Auch der wohl unvermeidliche Secretarius Friedwart Wiesenbach war zugegen. Der Burggraf gebot Edorian mit einer einladenden Handbewegung, gegenüber seines eigenen Lehnsessels Platz zu nehmen. Als sich Edorian niedergelassen hatte, machte sich der Gastgeber - wie schon so viele Abende zuvor - daran, die Karten zu mischen.

„Die eidlich beschworenen Aussagen aus Eslamsgrund sind heute eingetroffen, Euer Gnaden...“, begann der Burggraf das Gespräch in schönster Beiläufigkeit.

„Hoher Herr, Edelhochgeboren“, warf Edorian ein und kam damit offenkundig derselben Bemerkung aus Meister Wiesenbachs Mund zuvor. Der Secretarius richtete einen Stapel Pergamente, der ins Rutschen zu geraten drohte.

Oldebor von Weyringhaus blinzelte etwas irritiert.

„Ach ja, richtig. Hoher Herr...“

Der Burggraf schüttelte etwas geistesabwesend den Kopf, worüber genau, konnte Edorian nicht sagen.

„Wie dem auch sei, ein stimmiges Bild", fuhr Oldebor fort. "Die Hauptfrau der Gerbaldsgarde bestätigt, dass Euer Bruder zu ihr kam, um - nach eigener Aussage in Eurem Auftrag - Meldung über die Geschehnisse auf dem Marktplatz zu machen. Dann sind da die Aussagen von einem halben Dutzend angesehener Eslamsgrunder Bürger von gutem Leumund und noch dazu eidlich beschworen...", Friedwart Wiesenbach blätterte in dem Stapel, stets bereit, dem Burggrafen ein notwendiges Blatt anzureichen, "...die bezeugen, wie Ihr den aufwieglerischen Alfessir vom Balkon zerrtet und versuchtet, die Menge Eurerseits mit einer Rede zu beruhigen. Der ausführlichste Bericht stammt von Kunbrecht Böttcher, einem..." Der Burggraf stockte, Meister Wiesenbach warf hilfreich "Einem Küfermeister" ein. Oldebor nickte und sprach weiter: "Die Rede scheint auf ihn gehörigen Eindruck gemacht zu haben, wenn ich dies auch anhand seiner Wiedergabe nicht nachvollziehen kann. Ihr spracht von ... ehm ... 'Deichbau', Euer Gn-, ich meine Hoher Herr?" Er bot den gemischten Kartenstoß seinem Sohn zum Abheben ab. Sigman winkte nur kurz ab: zwergische Schmiedekunst hin oder her, für derart diffizile Bewegungen war die eiserne Hand, die er zur Linken seit der Entführung trug, nicht geschaffen. Der Burggraf zuckte mit den Schultern und begann, die Karten auszugeben.

"Nun ja", kam er derweil zum Thema zurück, "auf jeden Fall deckt sich das im Großen und Ganzen mit Eurer Schilderung besagter Ereignisse. Nun denn, dann sind da noch Gnadengesuche und Bittschreiben von einer Handvoll Adliger" - der Burggraf hielt wie ertappt inne und blickte ein wenig verschämt zu seinem Sohn. Der lächelte nur und machte eine wegwerfende Bewegung mit der gesunden rechten Hand. Trotzdem wählte Oldebor neue Worte: "Eine Reihe Adliger ... hm ... einige loben Euer Auftreten auf dem Konkordat. Und dann setzen sich noch einige namhafte Mitglieder der Alriksritter für Euch ein." Meister Wiesenbach zog das unterste Pergament aus dem Stapel hervor und wedelte kurz damit. Der Burggraf nickte: "Ach ja, und der Kaiserin treuer Vasall, Euer Onkel, hat mir um Euretwillen geschrieben. Auch wenn das etwas weniger schmeichelnd klang als der Rest der Schreiben. Also, um es nochmal ohne viele Worte zu machen zu wiederholen: Das wirkt alles sehr stimmig.“

Der Burggraf nahm seine Karten auf und inspizierte sein Blatt.

„Natürlich bleiben noch einige Formalitäten. Morgen während Eurer Verhandlung werdet Ihr Eure Aussage noch einmal vor einem Geweihten der Praioskirche wiederholen und beschwören müssen. Ihr wollt immer noch pro vos sprechen?“

Edorian nickte nur.

„Na dann ist es ab jetzt an Euch, das Zusammengetragene vorzubringen und den Richter zu überzeugen - sozusagen Eure Karten richtig auszuspielen.“

Lächelnd spielte Oldebor von Weyringhaus seine erste Karte.

„Ihr seid an der Reihe, Hoher Herr.“