Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 8

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Gareth, 29. Peraine 1027 BF

„Bei Phex, das sieht nicht gut aus!“ Nachdenklich kratzte Junker Abelmir von Krugelberge sich am Kopf. Zusammen mit einigen seiner Getreuen stand er auf den Stufen vor dem Eingangstor der Villa Phexensglück, die ihm seit der Flucht aus der tobrischen Heimat als neues Domizil diente. Schon einmal hatte er vor Jahren vor den Horden des Bethaniers fliehen müssen, als dessen Kämpfer den Osten des Reiches mit Mord und Brand überzogen und sich die Dämonenknechte dort festsetzten, wo zuvor die zwölfgöttliche Ordnung herrschte. Nur mit Mühe war es ihm damals gelungen, zu retten, was zu retten war, was hauptsächlich aus dem Familienschatz bestanden hatte und eben allem, was man auf zwei Wagen hatte mitnehmen können. Ein Schaudern erfüllte ihn, wenn er daran zurückdachte; er hatte seinerzeit großes Glück gehabt. Der Dämonenmeister war schließlich an der Trollpforte vernichtet worden, doch seine Schergen waren lediglich geschlagen, ja nicht einmal wirklich besiegt worden. Und nun schickten sie sich an, das fortzusetzen, was ihnen damals versagt blieb.

„Vorwärts, Schnell!“ Gerion Sturmfels trieb seine Begleiter zur Eile, wenngleich sich der Weg durch die Straßen der Stadt ob des Gedränges als schwierig erwies. Immer wieder verstopfte ein Pulk von flüchtenden Menschen die Straßen, und nicht selten trafen die Hufe der Pferde versehentlich einen der Bürger Gareths. Die in der Luft liegende Anspannung machte sich nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Tieren bemerkbar, welche deutlich unruhiger waren als auf dem anstrengenden Ritt, der ihnen zugesetzt hatte. Schließlich saßen sie ab und führten die Pferden am Halfter durch die Menge, wobei sie sich oft genug mit Händen und Füßen Platz verschaffen mussten. Nach unendlich lang scheinender Zeit ragte schließlich die Silhouette der garetischen Staatskanzlei vor ihnen auf, doch noch bevor die Gefährten dort anlangten, fiel ein Schatten auf sie herab. Die fliegende Feste schwebte über der Stadt. Und wie schon bei Puleth stürzten sich todesmutige Angreifer auf ledernen Schwingen in die Tiefe. Orlan von Weyringhaus erbleichte, als er das Ziel der Angreifer erkannte, ließ sein Pferd los und eilte mit gezückter Klinge vorwärts, der Kanzleipforte entgegen. Seine Begleiter folgten ihm, und wenig später tobte auf dem Vorplatz ein heftiger Kampf gegen die dort gelandeten Gegner. Dass aber einige der finsteren Schergen auf das Dach des Kanzleigebäudes hinabgeschwebt waren und sich nun durch den Ziegel Zugang zum Inneren des Gebäude verschafften, bemerkten die wackeren Verteidiger des Guten nicht.

Die fliegende Feste schwebte bereits über der Stadt, als das garetische Heer die Kaiserstadt erreichte. Hier und da zeigten sich Breschen in der Mauer; da der Feind kein schweres Kriegsgerät mit sich führte, hatte er sich wohl magischer Kräfte bedient, um Zugang zur Stadt zu erhalten. Überall tobten die Kämpfe zwischen den finsteren Schergen des Dämonenmeisters und den aufrechten Verteidigern des Reiches. Schnell erkannte Wulf, dass die ursprünglich zurecht gelegte Taktik nutzlos war; zu weit war der Feind verstreut und bot kaum mehr eine geeignete Angriffsfläche. Ein geordneter Angriff auf breiter Front schied aus. Noch im Anritt auf die Stadt gab er neue Befehle aus, die zwar einfach, aber als einzige der Situation angemessen waren: Dort einzuschreiten und die Klingen sprechen zu lassen, wo es nötig war. Diese Weisung verbreitete sich durch Zuruf von Reiter zu Reiter; das Wutgeschrei der garetischen Kämpfer verhieß Zustimmung, und es hieß, dem Feind das wiederzugeben, was er selbst ausgestreut hatte: Tod und Verderben.

Wulf lenkte sein Ross an die Seite des Bärenauers. »Brander, nehmt Euch einige Getreue beiseite, gerade so viele, dass ihr genug Schlagkraft habt und doch nicht durch zu große Zahl unbeweglich werdet. Schlagt Euch zur Staatskanzlei durch und seht dort nach dem Rechten.« Brander von Bärenau nickte stumm und gab seinen eigenen Rittern entsprechende Weisungen per Handzeichen.

Beim Heermeister seiner Ritterschaft gab er das gleiche Kommando aus, rief einer Handvoll Ritter zu, ihm selbst zu folgen und winkte seine Leibwächterin Jessa an seine Seite. Durch die Breschen in der Mauer drangen die Garetier in die Stadt ein, und wie befohlen gingen die Streiter des Guten sofort zum Angriff über, wo sie einen der Angreifer erblickten. Baron Bärenau und Heermeister Ralbert von Streitzig folgten ihren eigenen Befehlen und preschten durch die gegnerischen Kämpfer hindurch auf unterschiedlichen Wegen ihrem Ziel, der Staatskanzlei, entgegen.

Als sich das Feld seiner Streiter immer weiter in die Straßen und verwinkelten Gassen verteilte, hielt Wulf seine Anwesenheit am Platze nicht länger für nötig. Die Ritter und Soldaten kämpfen in den Gruppen, wie man sich von Haus aus kannte; es wäre ohnehin kaum möglich gewesen, noch befehlend einzugreifen, er konnte schließlich nicht überall sein. Als Torias von Treuenbrück durch Zufall in seine Nähe geriet übertrug Wulf dem verdutzten Hauptmann kurzerhand das Kommando und wies ihn an, sich, wenn alles zu Ende sei, in der Staatskanzlei einzufinden. Dann machte er sich mit seinen wenigen Begleitern selbst auf den Weg dorthin. Nur unweit vom Kanzleigebäude trafen sie schließlich auf Heermeister Ralbert und die übrigen Streitziger Ritter, die sich nicht so schnell durch das Gewühl hatten durchschlagen können; gemeinsam bahnten sie sich die letzten Meter des Weges vorwärts, mussten sich aber dabei immer wieder den Angriffen der Heptarchenkämpfer erwehren.

Als sie die Kanzlei erreichten, tobte dort ein weiterer Kampf. Baron Brander von Bärenau hatte sich offenbar schneller durchschlagen können und focht mit den seinen gegen feindliche Söldner, doch es stand nicht gut für die Garetier. Noch bevor die Uslenrieder heran waren wurde der Bärenauer von den Säbeln zweier Söldner durchbohrt; während er niederfiel verlor er den Helm, seine Augen waren bereits erloschen. Die ersten Söldner wurden einfach über den Haufen geritten, und mit dem Eintreffen Wulfs und seiner Kämpen waren die Verteidiger des Guten wieder in der Überzahl. Schließlich sprangen sie aus den Sätteln, denn im Gedränge war der Kampf zu Pferd kaum mehr möglich. Zu viele Tote und Verletzte behinderten das Fortkommen der Rösser, zu groß war die Gefahr eines Sturzes.

Mann um Mann kämpften sie sich vor, allen voran sein Oheim Ralbert, der Heermeister der Streitziger Ritter, mit seinem Sohn und Bannerträger Garwin. Wulf folgte ihnen mit weiteren Streitern.

Vor dem Portal der Kanzlei erspähte Wulf Gerion Sturmfels mit seinen Gefährten. Auch sie hatten ihr Ziel vor ihm erreicht und verteidigten das Gebäude gegen feindliche Eindringlinge. Dabei wurde des Weyringhäusers Sohn am Kopf getroffen und brach bewusstlos zusammen.

„Seht nach den Burggrafen“, rief Wulf dem Ordenswächter entgegen, „wir halten hier die Stellung und geben Euch Rückendeckung!“

Der Ordenswächter nickte kaum wahrnehmbar und bedeutete seinen Gefährten, ihm zu folgen. Den bewusstlosen Orlan von Weyringhaus nahmen sie mit sich und legten ihn außer Reichweite der Kämpfer in der Eingangshalle ab. Dann stürzten sie die Treppen hinauf, wo Kampfeslärm zu hören war – aus dem Zedernkabinett, dem Ratssaal der Garether Burggrafen.

Abelmir zwängte sich durch die Gassen, die Hand am Griff seines Rapiers. Die ganze Stadt war von Unruhe erfüllt, überall waren Schritte zu hören von jenen, die Flucht ergriffen. Die Rufe derjeniger, die für Ordnung sorgen wollten, erschallten allerorten, andere Stimmen hingegen brüllten Befehle. Waffengeklirr und Schmerzensschreie erfüllten die Luft, wo Feind und Freund aufeinander trafen.

Eigentlich hatte er nur noch einmal eine schnelle Runde durch die Stadt machen wollen, um sich einen Überblick zu verschaffen und vor allen Dingen Godelbart von Herrelshausen aufzusuchen, der in Momenten höchsten Anspannung immer leicht die Besinnung verlor. Und da Herrelshausen in der Stadt kaum weitere Bezugspersonen hatte als die Freunde der Kurtzweyl, denen er selbst angehörte, hatte Abelmir beschlossen, seinen Freund sicherheitshalber lieber in die Villa Phexensglück einzuladen, wo ihm nicht all zuviel geschehen mochte. Dummerweise war Herrelshausen aber entgegen seiner Gewohntheit nicht in der Herberge anzutreffen, in denen er sich schon seit Jahren eingenistet hatte. So eilte der Krugelberger mehr schlecht als recht vorwärts. Wäre der Grund für dieses Gedränge ein Volksfest gewesen, so hätte es sein Herz sehr erfreut; doch leider waren die Umstände nun einmal weit traurigerer Natur. Schritt für schritt drängte er sich weiter, bis er plötzlich mit dem Fuß irgendwo hängen blieb und um ein Haar der Länge nach hingeschlagen wäre.

Abelmir blickte hinter sich. Auf dem Boden hockte oder vielmehr lag seltsam verrenkt eine zusammengekrümmte Gestalt am Straßenrand, gekleidet in alte Wollfetzen und einen mehrfach geflickten Umhang. Das rechte Bein stand seltsam verdreht vom Körper ab, und das andere ragte auf den Weg hinaus, wo es dem Junker zur Stolperfalle geworden war. Abelmir, das Herz am rechten Fleck, beugte sich nieder und sah unter der Kapuze das zerschundene Gesicht eines jungen Burschen hervorlugen, welcher offensichtlich nicht bei Bewusstsein war. Ein schneller Griff zum Handgelenk verriet ihm aber, dass noch Leben in dem zerbrochenen Körper war, denn der Puls schlug noch schwach. Kurzentschlossen nahm er den Bewusstlosen vom Weg auf, darauf bedacht, dass weder er noch der Verletzte von den vorbeiströmenden Menschenmassen zu sehr gedrängt wurden, und machte sich mit seiner Last auf den Schultern auf den weiteren Heimweg. „Wenn schon dem Godelbart nicht zu helfen ist, dann soll wenigstens diese arme Seele heute nicht im Staub der Straße umkommen“, redete er sich selbst zu. Wenig später erreichte er mit seiner Last unversehrt die heimische Villa.

Die Tür zum Zedernkabinett stand offen, als Gerion und seine Begleiter die Treppen hinter sich gelassen hatten, und aus dem Inneren drang Kampfeslärm. Zwei Söldlinge der Feinde kamen die Treppe vom Dachgeschoss herabgelaufen. Gerion überließ die Angreifer seinen Gefährten und stürmte in den Kabinettssal, in welchem sich die Burggrafen Eran von Gareth und Arnwulf von Rabenmund sowie zwei Schreiber und andere Adlige nach Leibeskräften ihres Lebens erwehrten. Golgaritin und Magus folgten ihm, doch noch bevor sie den Bedrängten zu Hilfe eilen konnten fuhr der Säbel eines Angreifers in den Leib des Halsmärker Burggrafen. Rasend schnell färbe das Blut sein Wams in ein tiefes Rot. Und just, als sie nur einen Augenblick später die Feinde erreichten fiel auch Eran von Gareth und den Säbelklingen der schwarzen Schergen.

Unversehens wandten sich die Feinde den Neuankömmlingen zu, waren aber nun in der Unterzahl. Gemeinsam mit den Anwesenden kämpften sie die Söldlinge nieder, bis auch der letzte besiegt war; das altehrwürdige Kabinettszimmer glich einem Schlachtfeld. Gerion zögerte nicht lange. Seine Gefährten hieß er, das Gebäude auf weitere Angreifer zu durchsuchen und diese dingfest zu machen; er selbst eilte die Treppen hinab, um den übrigen Garetiern zu Hilfe zu kommen.

Während der Kampf in der Kanzlei ausgestanden war, tobte er in den Straßen und Gassen der Kaiserstadt weiter. Wulf und seine Mannen verteidigten das Gebäude, so gut es ging, doch es gelang ihnen kaum, der Feinde Herr zu werden. Schlag um Schlag führte er seine Klinge, doch wann immer ein Gegner zu Boden ging, war schon ein weiterer heran. Garwin eilte seinem Vater Ralbert zu Hilfe, der plötzlich von drei Gegnern umringt war; Wulf hingegen konnte sich gerade noch unter dem Hieb eines Feinde hinweg ducken, während sein Schwert einem anderen Angreifer in die Eingeweide fuhr.

Plötzlich ertönte neben ihm ein Schmerzensschrei; der Heermeister stürzte getroffen zu Boden, tödlich verletzt von der Klinge eines Söldlings. „Vater!“ schrie Garwin entsetzt und konnte nur mit Mühe den Hieb seines Gegner abwehren. Wulf, der seinen Kontrahenten gerade niedergestreckt hatte, hatte den Tod seines Onkels aus dem Augenwinkel mitbekommen. In einer fließenden Bewegung drehte er sich um, und die Klinge seines Schwertes durchtrennte den Hals des Mörders.