Geschichten:Das Leben geht weiter - Eine Eidechse im Winter

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Friedheim, Anfang Tsa 1044

Der Winter war lange und bitterkalt. Die Tage verbrachte Meara mit Handarbeiten. Sie nähte, sticke, sponn und webte. Daneben kümmerte sie sich natürlich um den kleinen Bolzer. Alle sagten, er ähnele seinem Vater so sehr. Das stimmte auch. Doch während Meara ihren Gatten damit meinte, sprachen die anderen von Unswin. Ob sie diese Ähnlichkeit sahen, weil sie sie sehen wollten? In der Tat, der Knabe hatte blondes Haar wie auch Unswin, aber... wie viele Kinder waren blond? Doch recht viele, dachte die Rían. Für Meara war der Knabe jedoch eines: Eine schmerzhafte Erinnerung an ihren Gatten Bolzer. Den Namen Bolzer brachte sie auch einfach nicht über die Lippen, so sehr sie sich auch mühte, stattdessen nannte sie ihn stets Oisín. Es fiel nicht sonderlich auf, ihr Name war schließlich auch ein albernischer, da gab es keinen Grund misstrauisch zu werden. Alle anderen, mit Ausnahme von Unswin, nannten den Knaben – vielleicht auch weil die Aussprache des albernischen Namens für den ein oder anderen schwierig war – schlicht Bolzer. Natürlich auch Rondrasil. Der war ganz zufrieden mit seinem kleinen Bruder, spielte sogar manchmal mit ihm, obgleich er schon ein wenig enttäuscht war, dass Bolzer die meiste Zeit des Tages schlief und auch sonst zu nicht viel zu gebrauchen war. Das würde jedoch noch kommen, versicherte Meara. Es würde eben dauern. Meara brachte Rondrasil auch etwas lesen, rechnen und schreiben bei. Zumindest versuchte sie es. Er war jedoch ein kleiner Wildfang und hielt nicht viel davon, beschwerte sich auch öfters bei seinem Vater, aber vergeblich.

Die langen und dunklen Nächte verbrachte Meara nicht mehr allein. Oft war Unswin bei ihr. Er blieb unterschiedlich lange. Manchmal blieb er bis zum Morgengrauen, manchmal bis sie eingeschlafen war und manchmal da ging er bereits, da war der Schweiß noch nicht trocken auf ihrer Haut. Wenn er ging, war sie immer etwas wehmütig, aber der Geruch in den Laken tröstete sie stets darüber hinweg, obgleich sie ihn gerne für länger oder gar für immer neben sich im Bett gehabt hätte. Sie sagte das nicht, sie fürchtete sich, zwar schien er ihre gemeinsam verbrachten Stunden genauso zu genießen, wie sie, aber was hieß das schon? So blieb es einfach, wie es war. Und es war nicht nur gut so, sondern auch wunderschön.

Unbemerkt blieb ihr Tun freilich nicht. Bald schon wusste es das ganze Gut. Kurz darauf – trotz des Winters und des vielen Schnees – das Dorf. Gewiss würde auch bald Unswins Mutter davon erfahren. Heiltrud von Budenhog hatte das Gut kurz nach Mearas Ankunft verlassen, selbst wenn sie ihr doch recht höflich entgegen getreten war, war sie der Grund für ihre Abreise gewesen. Deutlicher konnte man seine Abneigung wohl kaum zeigen. Sie musste eben ihrem Sohn glauben, dass Bolzer Unswins Sohn war. Warum sollte sie auch daran zweifeln? Es gab keinen Grund. Und irgendwie war er ja auch Bolzers Vater. Der Knabe kannte nicht nur seine Stimme und erkannte inzwischen auch sein Gesicht, sondern er würde auch Vater zu ihm sagen. So wie Rondrasil. Letzteres berührte Meara sehr. Ob sie ihm je die Wahrheit sagen könnte? Vielleicht, dachte sie inzwischen, sollte auch das einfach so bleiben, wie es war. Manchmal war Schweigen die beste Option.

Und als der grimmige Firun so langsam genug hatte, genug von Schnee und Kälte und ganz, ganz langsam die Herrin Tsa sich ankündigt, da kündigte sich noch etwas anderes an: Meara war nicht nur unfassbar müde, sondern ihr war auch übel. Immer gegen Abend war ihr schrecklich übel. Sie mochte auch nicht richtig essen. Das Essen roch richtig widerwärtig. Konnte es etwa sein? Die Zeichen war ziemlich eindeutig und dennoch… Meara war sich unsicher. Wobei, eigentlich entsprach das nicht der Wahrheit, sie wusste sehr genau was das bedeutete, aber sie war verwirrt: War das ein Grund zur Freude?

Zusammen mit Rondrasil und Oisín brach sie schlussendlich an einem recht schönen Tag im ausklingenden Winter zum Schrein der Herrin Tsa ins Dorf auf. Sie brauchte Antworten. Ein Zeichen. Irgendetwas. Rondrasil ging mutig und tapfer voran. Mit einem Stock beschützte er Meara und seinen kleinen Bruder und kämpfte erbittert gegen böse Feinde aller Art. Am Schrein der Herrin sprach sie ein kurzes Gebet: „Bitte Herrin Tsa, gib mir ein Zeichen. Ich stehe an einem Scheideweg. Ist das ein Neuanfang? Ein neues Leben? Was soll ich tun?“ Doch die Herrn Tsa schwieg. Rondrasil focht noch immer, Oisín schlief. Schließlich ging sie wieder. Die Praiosscheibe senkte sich bereits langsam. Plötzlich wurde Meara erbärmlich übel. Sie musste sich übergeben. Rondrasil blieb ganz ruhig, hielt ihr die Haare aus dem Gesicht und erklärte: „Ist nicht so schlimm, Meara. Das ist mir auch schon passiert. Das macht nichts.“ Und wenig später: „Oh! Eine Eidechse! Da! Eine Eidechse. Schau doch mal.“ Doch die Rían konnte nur hervorwürgen: „Was? Wo?“ Die Eidechse war da bereits fort. Eine Eidechse im Winter? Rondrasil hatte sicher keinen Unfug erzählt. Mit solchem Getier kannte er sich aus. Bunt sei sie gewesen, ganz bunt. Hätte seltsam geglitzert. So etwas habe er noch nie gesehen. Das war dann wohl das gewünschte Zeichen. Und was für eines! Dann war es wohl wahr, oder? Doch war es... war es ein Grund zur Freude?

Die Sonne war schon fast untergegangen, als sie zusammen auf Gut Friedheim ankamen. Unswin stand an der alten Eiche. Ob er auf sie gewartet hatte? Sicher war sich Meara nicht. Rondrasil stürmte auf seinen Vater zu und erzählte ihm natürlich augenblicklich, was geschehen war und er erzählte nicht nur von der Eidechse...

Mearas Wangen brannten. Sie fühlte sich ertappt und sie wusste auch, dass sie jetzt reden musste. Rondrasil würde das gewiss jedem erzählen, egal ob er es hören wollte oder nicht und wie sah das aus, wenn Unswin es als Letzter erfuhr?

„Geh und wasch dir die Hände, es gibt gleich Abendessen“, schickte sie den Knaben fort. Sie sah ihn im Gutshaus verschwinden, fröhlich plappernd. Nun gab es kein zurück. Gerne hätte sie mehr Zeit gehabt, um sich mit dem Gedanken anzufreunden, aber...

„Unswin, wir...“, Meara schluckte schwer. Er nahm ihre freie Hand in seine und schaute ihr tief in die Augen. Für einen Wimpernschlag glaubte die Rían ein wissendes Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen. Danach war sie noch verunsicherter als zuvor. Konnte er es denn wissen? Bisher war sie sich selbst noch nicht einmal sicher gewesen.

„Wir...“, hob sie mit glitzernden Augen und zitternder Stimme an, „Tsa hat uns gesegnet. Wir bekommen ein Kind.“

Jetzt schmunzelte der Ritter tatsächlich. Leomara war dreimal schwanger gewesen, hatte ihm vier Kinder geschenkt. Und in jeder Schwangerschaft war ihr zu Beginn ständig übel gewesen. Natürlich war ihm da Mearas Verhalten in den letzten Wochen nicht verborgen geblieben. Er hatte es nur nicht ansprechen wollen, da er sich schlicht unsicher war, wie sie selbst mit dieser Erkenntnis umgehen würde und ob es ihr überhaupt recht war.

“Weißt du Meara”, meinte er neckisch, “nach der vielen Zeit die wir in den letzten Wochen in deinem Bett verbracht haben, hätte es mich auch überrascht, wenn es nicht irgendwann passiert wäre.” Noch immer wich die Verunsicherung nicht aus ihrem Gesicht. “Ich freue mich wirklich sehr. Es wird uns vereinen. Dich und Oisin mit mir und Rondrasil meine ich. Irgendwie fühlt sich das für mich richtig an.” Liebevoll zog er sie an seine Brust und schlang die Arme um ihren Rücken. Plötzlich rührte sich quengelnd Oisin. Er hatte selbst Mearas Missgeschick verschlafen, aber jetzt wurde es ihm zwischen den beiden Erwachsenen zu eng. Lachend lösten sich die beiden wieder voneinander, ohne dass der Ritter aber Mearas Hand losließ. “Komm, lass uns erstmal etwas essen. Auch wenn dir vielleicht gerade nicht danach ist. Und keine Widerrede!”