Geschichten:Das Leben geht weiter - Anderes Leben

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Burg Scharfenstein, 15. Peraine 1043

Als Meara mitten in der Nacht erwachte, glaubte sie ihren Vater auf der Kante ihres Bettes sitzen zu sehen. Schläfrig rieb sie sich die Augen und wisperte: „Herr Vater? Seid Ihr es?“

„Als du noch ein kleines Mädchen warst, saß ich oft an deinem Bett und habe dich beim Schlafen beobachtet. Es hat etwas Friedliches, wenn man seine Kinder in den Armen des Herrn Boron ruhen sieht. Ich habe auch deine Geschwister beobachtet, doch bei dir… bei dir war es immer etwas… Besonderes.“ Er schenkte seiner Tochter ein liebliches Lächeln. „Du warst unser letztes Kind. Unser kleines Nesthäkchen. Und es hat mich immer mit besonderem Stolz erfüllt, dass du mehr mir als deiner Mutter zugetan warst.“

„Dabei lieb ich auch meine liebe Frau Mutter sehr. Genauso wie ich Euch liebe.“

„Dass weiß sie auch, Kätzchen“, beschwichtigte der Vater seine Tochter, „Dass weiß sie sehr wohl.“

Die Rían setzte sich in ihrem Bett auf.

„Als du dich damals in meinen Knappen verliebt hast, da wusste ich, dass ich dich bald hergeben muss. Es war schwer. Sehr schwer. Ich rang mit mir. Ich haderte, aber ich wusste, dass ich dich ziehen lassen muss. Glaub mir, das war nicht leicht. All die Götterläufe über warst du mir so nahe und dann…“ Er zuckte sichtlich verunsichert mit seinen Schultern. „… dann plötzlich so weit fort.“

„Ich… ich hab ihn so sehr geliebt, Vater“, erwiderte Meara mit schwerer Stimme, „Mit all meinem Sein und all meinem Herz. Doch jetzt… jetzt ist er fort. Gefallen. Einfach so. Einfach so…“ Sie senkte demütig ihren Kopf und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. „Ich denke immer, es geht schon. Es geht schon irgendwie, aber… aber jedes mal wenn ich an ihn denke, muss ich doch nur wieder weinen…“

Verständnisvoll nickte Sionnach.

„Nichts ist mir von ihm geblieben. Nicht einmal unsere Kinder. Nicht einmal die! Meine süße Emer! Mein kleiner Reto! Die alte Hexe hat sie mir einfach weggenommen. Einfach so, dabei bin ich ihre Mutter. Ihre Mutter! Und sie haben doch schon ihren Vater verloren!“ Fassungslos blickte sie ihren Vater an.

„Sie werden für immer auch deine Kinder bleiben“, erklärte dieser ruhig, hatte jedoch wenig Hoffnung die Trauer seiner Tochter zu lindern, „Daran können auch die Nadoreter nichts ändern und irgendwann… irgendwann werden sie Fragen stellen und sie werden wissen wollen, wo und wer du bist.“

„Die Hexe wird ihnen niemals die Wahrheit sagen. Sie wird ihnen einreden, dass… dass ich sie verlassen hätte… dass… dass sie mich nicht kümmern. Alles, alles wird sie tun, damit sie nichts mit mir zu tun haben wollen.“

Nachdenklich nickte er nun: „Ich fürchte, dass du recht hast und dennoch glaube ich, dass du deinen Kindern unrecht tust. Sie werden dich irgendwann suchen. Sie werden wissen wollen, wer du bist, da mag ihnen die Nadoreterin erzählen, was immer sie will. Und du hast den Keilholtzer, er wird gewiss für dich sprechen. Ganz sicher sogar. Er ist ein ehrbarer Mann.“

„Ja“, Meara nickte seufzend, „Das ist er. Ohne ihn säße ich noch heute in der verschlossenen Kammer auf Burg Basilstein und würde auf das warten, was sich diese Hexe für mich ausgedacht hat. Ich verdanke ihm viel, dabei kenne ich ihn gar nicht und er mich nicht. Er kannte Bolzer. Er war bei ihm…“ Sie fröstelte. „…als er starb.“

„Sie haben zusammen gekämpft, Meara. Das verbindet. Gewiss hat Bolzer ihm von dir erzählt und auch davon, dass du und seine Familie nie so richtig zusammen gewachsen seid.“

„Ich werde sie nie wieder sehen, nicht wahr?“, wollte die Tochter tonlos von ihrem Vater wissen.

„Irgendwann werden eure Wege sich wieder kreuzen. Ich kann dir nicht sagen wann, aber es wird geschehen. Ich bin mir sicher.“

„Ich will aber kein Leben ohne sie“, krächzte Meara einer Krähe gleich, „Ich kann nicht… Ich…“ Ihre Stimme brach. Sie konnte sich kein Leben ohne ihre Kinder vorstellen. Nicht jetzt, da ihr Liebster gefallen war.

„Damit lässt du die Hexe gewinnen. Du musst stark bleiben, Kätzchen. Für deine Kinder. Für Emer. Für Reto. Für Bolzer. Hätte er gewollt, dass du dich diesem Schicksal beugst? Nein, ganz gewiss nicht. Er erwartet genauso wie deine Kinder von dir, dass du stark bleibst, dass du für dein Recht kämpfst. Und wenn ihr euch eines Tages wiederseht“, der alte Ritter ließ offen ob er von einem Wiedersehen mit dem Gatten seiner Tochter oder ihren Kinder sprach, „dann wirst du ihnen aufrecht gegenübertreten können. Mit erhobenen Haupt. Du bist eine Rían. Das wirst du bleiben. Und uns ist zu eigenen, dass wir nicht aufgeben. Wie könnten wir auch? Denn der Tod ist der schnellste Reiter und wir – die Familie Rían – reiten mit ihm.“ Er hielt einen Moment inne und fixierte seine Tochter. „Ganz abgesehen davon, dass du nicht aufhören können wirst um deine Kinder zu kämpfen. Es wird dauern und niemand kann dir sagen, wie lange es dauern wird bis jener Tag kommt, aber eines Tages werdet Ihr euch wiedersehen und du wirst ihnen sagen können, dass du alles in deiner Macht stehende getan hast, um sie an deiner Seite zu haben, auch wenn nichts davon euch zueinander gebracht hat…“

Bitter nickte Meara und wollte mit tonloser Stimme wissen: „Und Bolzer?“

„Ihn musst du gehen lassen.“

„Er ist doch schon fort“, hauchte die Witwe bitter, „Einfach fort.“

„Schon“, meinte der Vater zu seiner Tochter, „Aber auf eine gewisse Art und Weise wird er immer bei dir sein. Du kannst ihn nicht mehr sehen und berühren, aber du trägst ihn in dir. Und das kann dir selbst diese Hexe nicht nehmen. Selbst sie nicht.“

Lange schaute Meara ihren Vater an. Sehr lange.

„Versuch ein bisschen zu schlafen“, schloss Sionnach väterlich, als wäre sie noch das kleine Mädchen von damals, „Ich bleibe noch ein wenig hier und schaue dir dabei zu.“ Und wie auch damals deckte er seine Tochter liebevoll zu, strich ihr das Haar aus der Stirn und wartete, bis sie eingeschlafen war, eher er das Zimmer verließ.

Als Meara am Morgen erwachte, musste sie erfahren, dass ihr Vater in der Nacht gestorben war. Sie weinte nicht, sie war einfach nur ganz starr. Erst ihr Mann, dann ihre Kinder und nun auch noch ihr Vater. Warum bürdeten ihr die Götter nur solch ein Schicksal auf?