Geschichten:Das Jahr des Fuchses

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Wundert es noch irgendwen, wenn heuer die Ingerimmsturnei zu Eslamsgrund besser besucht ist als jemals zu vor? Nun, da fast allerorten die Fehdehandlungen zu kleinen Feuern abgeschwächt sind, wo das Fuchsrudel auf der einen Seite ritterliche Entscheidungen in die Konflikte trägt und die Macht der kaiserlichen Marschallin die anderen Konflikte einfach erdrückt, ist wieder Raum im ritterlichen Leben für Turniere. Und erst recht für dieses Turnier, dass zwei Fehdejahren ihren Namen verpasst hat. Was würde das Schicksal diesem Treffen einschreiben? Was würde auf das Blutige Jahr, was auf das Blinde Jahr folgen?

Ich kann die Liste der Helden gar nicht aufzählen, die sich hier versammeln, kann die Adelstitel kaum zusammentragen, die sich die Ehre auf dem Turnierfeld geben. Hartsteen sind da, Luring sind da, Streitzig und Hirschfurten, Ruchin und Ochs, Sturmfelse – ach, Sturmfelse!

Eslamsgrund quillt über vor Reisenden. Ritterzelte bilden eine Stadt östlich der Reichsstadt, umschließen das Turnierfeld fast vollständig. Behelfsschänken stehen an jeder Kreuzung, darinnen fließen Bier und Wein wie in Rahjens Paradies. Die Eslamsgrunder Bäcker nehmen Fantasiepreise für das Brot – Kuchen gibt es nur noch auf Vorbestellung und nur ab Junker aufwärts. Ersatzpferde werden gehandelt wie Erstgeborene auf dem Heiratsmarkt, Waffen scheinen mit Diamantstaub umhüllt, so teuer sind sie. Feldschere und Waffenschmiede haben sich die großen Turnierlager gesichert: das Haus Eslamsgrund, das Grafenhaus, das Fuchsrudel, die Pfortenritter, die Pulethaner, die Gemmenritter und die Landmannschaften die nicht auf eigene Faust in die Wettkämpfe gehen.

Zu Beginn des Turniers erflehten die Praios-Hofkaplanin Hardane Praioslieb Ginsterbeck (als Erste, das fínden einige befremdlich) und der Großmeister des Zornordens Adran Bredenhag von Aarenstein als ranghöchster Rondra-Geweihter der Grafschaft (wo sind die Rondra-Geweihten Eslamsgrunds, wenn man sie brauchgt?) den Segen der Zwölfgötter auf das Turnier herab. Das ist wieder so eine politische Geste, von der wir Eslamsgrunder alle genug haben: Wir wollen Rondrens Segen auf dem Turnier. Rondrens! Und was gibt uns der Graf: Praios‘ blanke Aufmerksamkeit. Pah! (Nichts gegen Praios, den hätten wir später auch gebrauchen können)

Dann kommt der erste, schon der zweite Turniertag. Glaubert von Eschenrod hat sein Ross im Tjost verloren, muss ausscheiden (gegen Elissa von Vairningen, eine Ritterin aus dem Fuchsrudel). Lechmin Rondara von Luring muss sich dem Baron von Aldenried, ebenfalls im Fuchsrudel, geschlagen geben (und soll sich bei Felan von Schallenberg für einen der schönsten Ritte ihres Lebens bedankt haben, was auch immer das heißen mag). Bemerkenswert: Gisbert Rondrowin von Aurenstein aus der Sighelmsmark, ältester gemeldeter Turnierteilnehmer, lässt sich wegen „Unpässlichkeit“ bei seinem Losgegner Marnion von Rathsamshausen entschuldigen, den er für seinem leichten Sieg zum Bospranjer in sein Zelt lädt – und dort tot gefunden wird, sanft entschlafen. Solche „Unpässlichkeit“ möchte keiner vor der Zeit haben! trifft es einen anderen Ältesten in der Tjostbahn: Des Bundes der Gemmenritter Ältester, der Rondraritter Geldrion Drakan von Sichelaue, wird von der Lanze des Pfalzgrafen Udilbert von Hardt so hart getroffen, dass er böse stürzt und nie wieder aufsteht. Der herbeigeeilte Magier scherzte, Ritter Geldrion jetzt wieder aufstehen zu lassen, sei ihm zwar möglich, es würde aber der der Praioskirche nicht gefallen. In Wahrheit gefiel schon dieser Witz der Praioskirche nicht, und ich habe den Magier bis heute nicht wiedergesehen …

Am vierten Tage ist deutlich: Das Fuchsrudel hat in den letzten zwei Jahren ordentlich geübt und sich nicht nur politisch vorn positioniert und sich die besten Namen gesichert. Auch auf dem Turnierplatz reüssieren die Gefolgsleute des Jungfuchses Sigman reihenweise.

Das Turnier seines Lebens aber macht Bartel Helmdahl von Stolzenfurt. Er siegt zum Teil mit überraschender Leichtigkeit selbst gegen Turnierschwergewichte wie Radegund von Luring-Cronenfurt, Rondradan Helmar von Pfortenstein oder Korhilda von Sturmfels. Den „Hardten Sieg“ gegen Pfalzgraf Udilbert widmet er seinem in der Fehde gefallenen Sohn Barduron (wohl in Sorge, er könne einen wichtigeren Sieg, den im Finale, womöglich nicht mehr erreichen).

Doch es kommt anders. Es kommt zum Höhepunkt. Zum Finale. (Vorher fegt es Malwarth von Eslamsgrund gegen Rukus von Rabicum aus Sattel und Turnier, als es um den dritten Platz geht), aber von der Fuchsentribüne folgt er dem Geschehen aus der ersten Reihe.)

Finale: Es reiten Bartel Helmdahl von Stolzenfurt gegen Nimmgalf von Hirschfurten. Schon jetzt ist die begeisterte Menge auf Seiten des Hartsteener Landvogtes – wohl auch, weil Nimmgalf als Zweiten zu sehen so manchem mehr Freude macht als jeder Sieg (und weil, wie ich weiß, auf diese Platzierung sehr gute Quoten gegeben werden).

Auf der Grafentribüne sitzt der Eslamgrunder Graf Siegeshart von Ehrenstein. Ist er gelangweilt? Sind Turniere nicht seine Welt? Ist er Praios‘ Lichthaus schon näher als dem Staub der Eslamsgrunder Arena? Warum ist seine Gattin Solaria Praiosstolz mit der immerhin schon im Pagenalter befindlichen Tochter Praiodane nicht anwesend? Warum ist er – selbst im Finale! – mehr in das Gespräch mit Ihrer Ehrwürden Ginsterbeck vertieft als bei der Sache. Mann, bei DER Sache! Dem wichtigsten Turniersieg im Jahr!

Alle springen auf, reißen die Arme hoch, schreien sich die Kehlen heiser. Kein Anritt der beiden Paraderitter ohne ohrenbetäubenden Jubel! Auf der Fuchsentribüne ist sowieso kein Halten mehr: Pfortenritter gegen Fuchsrudel, das ist wie aus einem Märchen für Jungfüchse. Sigman hat sich die Kappe schon längst von den Locken gerissen, Leomar von Zweifelfels stehen die haare in alle Richtungen vor Eifer, Malwarth der Rote macht seinem Namen alle Ehre, denn vom Brüllen glüht sein Kopf puterrot.

Und dann!

Und dann!

Und dann!

Nimmgalf wankt im Sattel, die Lanze entgleitet ihm, gerade so hält er sich noch im Sattel, aber Bartel hat gewonnen, gewonnen im achten, neunten oder was weiß den ich in welchem Anritt! Bartels 2tes Jahr!

Ich gestehe, dass ich so heiser bin, dass ich kaum noch jubeln kann. Meinen Nachbarn auf den Plätzen um mich geht es ähnlich (meine Ohren danken es). Ich habe entsetzlichen Durst und freue mich auf das bald folgende Gelage, auf die ungezählten Becher, die ich auf dieses herrliche Turnier stürzen werde. Nur ein flaues Gefühl verdirbt mir die Vorfreude. Es beschleicht mich, als ich sehe, wie Graf Siegeshart noch immer sitzt, jetzt mit seinen beiden Narren spricht, Wolkenbolt und Feuerborn, über die ich zuletzt gelacht habe, als ich zu besoffen zum Schnarchen gewesen bin. Der Grafschaft Bannerträgerin Luciana Cella von Eychgras lenkt jetzt endlich die Aufmerksamkeit des Grafen auf sich, den Lorbeer des Siegers in Händen. Graf Siegeshart setzt sein Politikerlächeln auf, nimmt den blinden Fredegast bei der Hand und geht vorn an die Balustrade seiner Tribüne. Ritter Bartel hat dort Stellung bezogen, Ritter Nimmgalf bei ihm – einen ritterlicheren Verlierer findet man nicht zwischen Rakula und Darpat – und ein halbes Dutzend Fuchsritter, die den Siegr ebenfalls umringen.

Der Sieger schreitet – seine Freunde dicht bei ihm – zum Grafen, der gebietet Ruhe mit seiner weißen Hand. Ruhe kehrt ein, der Graf erhebt das Wort: „Turnierende! Unter Praios‘ hellem Auge hat der Beste von Euch in diesem Jahr gewonnen. Hochgeboren Bartel von Stolzenfurt, empfang nun aus der Hand des Grünen Ritters, Euren Siegerkranz!“

Erneutes Jubilieren, erneute Stille, als Fredegast von Gauternburg, ein Publikumsliebling seit vielen Knappengenerationen, den Siegerkranz hoch in die Luft reckte: „Ritter Bartel, Glück, Können und Segen der Göttin waren heute mit Euch. Ihr habt Euch diesen Kranz verdient.“

Doch blind wie der Grüne Ritter ist, ist es nicht sein Haupt, auf das er den Kranz senkt, sondern das des roten Malwarth, der just neben seinem Freunde steht und gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Bartel lächelt breit und gönnt im Siegesrausch wohl jedem das Symbol, solange er der Sieger bleibt.
Die Menge aber sieht es und hält kurz den Atem an. Noch ehe der Grüne Ritter dem Jahr seinen Namen geben kann, ruft Malwarth stolz: „Nein, der Ehre zu viel. Bartel hat den Kranz verdient!“
Doch Bartel ruft: „Nimm ihn, Bruder, ein Fuchsritter ist der Ehren wert wie ein anderer!“
Und Malwarth ruft: „Dann weder du noch ich, Bruder, sondern der Fuchs selbst!“ Und schreitet die paar Schritte zu Sigman, hebt den Kranz über dessen Haupt und senkt ihm dem Jüngling auf den Scheitel.
Und alle rufen: „Fuchens Jahr! Fuchsens Jahr!“

Dann schallt es: „Malwarths Jahr! Graf Malwarths Jahr! Graf Malwarth!“

Die, die keine Eslamsgrunder sind, lassen sich von der ritterlichen Geste entflammen und rufen es deshalb. Jene aber, die Eslamsgrunder sind, rufen auch, weil hier eine öffentliche Entscheidung fällt, eine Wahl zwischen zwei seit 50 Jahren verfeindeten Grafenhäusern: Ehrenstein in Gestalt Siegesharts und Eslamgrund in Gestalt Malwarths.

Und wer macht hier die bessere Figur? Der rote Malwarth freilich. Seine Arena, sein Sieg.

„Graf Malwarths! Graf Malwarth! Fuchsens Jahr!“

Wundert es noch irgendwen, wenn heuer die Ingerimmsturnei zu Eslamsgrund noch irrer wird als die letzten beiden Jahre? Irgendwen?

Graf Siegeshart aber machte einen schweren Fehler. Er ging aus der Gegenwart dieses Taumels einfach fort und zog sich auf die Kreusenburg zurück. Und er wirkte wie die Vergangenheit und Graf Malwarth wie die Zukunft.

Jagodar von Galothini