Geschichten:Das Erbe im Spiegel

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Auf Burg Luringen, 614 BF

„Ihr habt schon zwei Fehlgeburten, meine Gräfin. Und Euer Bruder kann von seinem Gelübde nicht mehr abrücken.“

„Ich weiß – soll doch das Geschlecht in Borons Hallen eingehen und dort für immer in Frieden und Seligkeit ruhen, als hienieden leiden.“ Yalagunde verzog ihr Gesicht gequält und sah die Tränen über ihre Wangen kullern. Machte der hohe Spiegel sie schlank? Oder war sie wirklich so dürr?

„Ihr seid nicht dürr, meine Gräfin“, sagte die Elfe freundlich, aber Ihr müsst des ohngeachtet essen.“

Hatte sie es laut gesagt? Yalagunde war sich nicht sicher. Vor diesem Spiegel war sie beides: stark und schwach, sicher und ungewiss, traurig und zuversichtlich. In dieser hohen Kammer auf Luringen fühlte die junge Gräfin stets die Macht, die das erkorene Grafengeschlecht der Luring umgab. Hier war sie der last ledig, die Generationen von Ahnen auf sie warfen – die letzte Luring, die noch Kinder gebären konnte, nachdem ihr Bruder sich selbst entmannt hatte, Boron zur Ehr. Was für ein Unsinn! Doch nicht nur die Last der Ahnen, sondern auch die erdrückende Bürde der Nachkommen, die das Schicksal ihr auflud, waren dieser Kammer fern. Nur Kharza Mirinai, die schon ihren Vater beraten hatte und seither als Elfe keinen Tag gealtert war, durfte mit Yalagunde in diese Kammer.

„Ihr werdet schon bald wieder bei Eurem Gemahl Drego von Esenfeld liegen, meine Gräfin“, sagte die Mirinai sanft.

„Ich weiß“, schluchzte Yalagunde, „aber was, wenn ich wieder nicht empfange? Oder empfange und nicht gebäre? Oder ..“

„Schschsch“, unterbrach sie die Elfe. Diese Frage führen zu nichts als zu Eurem Unglück. Leicht legte sie der jungen Frau die Hand auf die Schulter. „Wäret Ihr nicht die Gräfin, so wäre Eure Last linder.“

„Aber ich bin die Gräfin. Soll ich die letzte Luring sein? Sollen nach mir die Hirschfurten regieren, die Esenfeld? Die Zweifelfels? Was soll ich tun? Ich würde alles geben, um aus meiner Drangsal fliehen zu können!“

„Alles? Alles werdet Ihr nicht tun müssen, meine Gräfin. Aber gerade heute können wir einen Freund fragen, ob er Euch helfen kann.“

„Einen Freund? Wie kann er helfen?“ Yalagunde blickte die Elfe hoffnungsvoll an.

„Er kann und er wird. Wollt Ihr mit ihm sprechen?“

„Gewisslich! Wo ist er?“

„Hier“, und deutete auf das Spiegelbild. Hinter der schmalen Gestalt der Gräfin und der hochgewachsenen Elfe mit ihrem nachtschwarzen Haar verschwamm die Wand, die Kammer die Welt. Yalagunde war es, als stülpe sich der Spiegel um als sauge er die Wirklichkeit ein, um sie hinter dem Glas wider auszustülpen. Plötzlich wirkte der Spiegel wie ein Fenster zu einer ähnlichen Kammer wie der ihren. Auf einem hochlehnigen Stuhl saß ein Mann von edlem Antlitz und stolzer Gestalt. Er lächelte der jungen Frau zu: „Hochwohlgeboren, seid nicht traurig. Ich spreche zu Euch von ferne durch diesen Zauberspiegel. Ich bin da, um zu helfen und zu dienen.“

„Ein Zauberspiegel? Eines von Rohals Artefakten?“ Yalagunde hatte kaum genug Atem, um zu flüstern.

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„Diesmal muss es gelingen!“ sagte Drego bestimmt und fasste seine Gattin bei der Hand. Beide standen vor dem Zauberspiegel, die Elfe Kahrza Mirinai hinter ihnen. „Wird unser Freund auch diesmal wieder erscheinen?“

„Er wird“, nickte die Elfe. „Doch erinnert Euch: Er ist ein mächtiger Mann, einer, dessen macht auch Rohal anerkannte. Er wird nicht ohne Gegenleistung Euer Glück beeinflussen.“

„Darüber sprachen wir bereits. Wir sind bereit dazu“, entgegnete Drego zuversichtlich.

„Auch wenn wir seine Vorschläge bisher ein wenig … seltsam fanden“, schränkte Yalagunde ein.

„So sind die Zauberer. Ihr wisst doch, was auch der Reichsbehüter alles verlangte. Nicht wenige haben sich gefragt, wozu ein Erzmagier seine Abgaben verwendet – und doch hat es zu seinen Zeiten keinen Krieg gegeben. Auch wenn am Hof zu Gareth die Kleingläubigen murrten, das soll Euer Glück nicht schmälern.“ Mirinai wies auf den Spiegel, in dem sich wieder einmal die Welt verkrümmte. Jedes Mal musste Yalagunde gegen den Schwindel ankämpfen, bis sie das edle Antlitz des Großen Zagros sah.

„Seid gegrüßt, Ihr zwei Liebenden“, eröffnete Zagros das Gespräch. Den Handel, wenn man es genau nahm, denn bei diesem Zusammentreffen vor des Spiegels Bild ging es um seine Forderungen. Nicht umsonst und nicht kostenlos wollte er seine Mächte herabrufen auf den Leib der Gräfin, auf dass sie Kinder gebäre und das Geschlecht der Luring vor dem Untergang bewahre.

Yalagunde sträubte sich immer wieder, aber Drego hatte ein klares Ziel vor Augen: Viele Kinder seines Samens, mithin Esenfeld auf dem Grafenthrone.

„Aber keines von meinen Kindern!“, widerholte Yalagunde.

„Doch, ich muss darauf bestehen“, widersprach Zagros sanft, „Ihr könnt nicht alle Schulden auf Eure Nachkommen übertragen.“

„Gut, dann sollt Ihr das 13. Kind bekommen!“, rief Yalagunde.

„Das Dreizehnte? Nein, mein Kind. Diese Zahl bringt doch Unglück. Das Zwölfte sei mir recht. Dazu Königin Roanas Grab, die Katakomben unter dem Zwinger. Und schließlich will ich unter Euren Nachkommen einen Grafen.“

„Einen Grafen“, hauchte Yalagunde. „Und die Herrschaft über Reichsforst?“

„Gewiss, die gehört dazu. Nennt die Bedingung, zu der ich dermaleinst einen Grafen bekommen werde.“

Yalagunde überlegte, während Ihr gatte anbot: „Wie wäre es mit der zwölften Generation nach uns?“

„Das wäre gene…“

„Nein“, unterbrach Yalagunde. So geht der Handel nicht. Die zwölfte Generation wäre Euch gewiss. Das erscheint mir zu billig. Denn Ihr seid auch mit Angeboten zufrieden, die ungewiss sind. Wie das zwölfte Kind. Ihr könnt nicht wissen, ob ich zwölf Kinder gebären werde – und doch stimmtet Ihr diesem Handel zu.“

Zagros nickte. Seinem Gesicht war nicht anzusehen, ob er sich ärgerte.

„Gut, dann werde ich meinen heiligen Eid gleich schwören und Euch einen Grafen geben, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sein werden. Seid Ihr einverstanden?“

„Das geht so nicht!“, wollte die Elfe einwenden, aber Zagros gebot ihr zu schweigen: „Es sei.“

„Allfolglich, Großer Zagros, schwöre ich hier den Heiligen Eid bei meinen Ahnen, meinem Blute, meiner Seele, Euch dafür, dass ich mindestens …“ Sie zögerte. „… sechs Kinder gebären werde, die das Erwachsenenalter erreichen und erbfähig sind, dass Ihr folgendes erhaltet: mein zwölftes lebend geborenes Kind, die Verfügungsgewalt über die Katakomben des Zwingers mitsamt dem Grab der Königin Roana, den Jagdbogen aus Greifenhorn von Gräfin Rauhjane sowie den Grafen von Reichsforst, der ein Luring ist, namentlich ein Abkomme meines Gatten Drego von Esenfeld sowie der Sohn eines Königs der Ritter, der ein König der Ritter war, sofern nicht der sagenumwobene Greif Luringan einen anderen Erben erkiese. Schlagt Ihr ein?“

Der Große Zagros zögerte. Die Bedingung war gut erdacht – wann wäre je ein Graf König der Ritter geworden? Erzmagier vielleicht, aber Ritter? Zudem gleich zwei! Und Luringan? Der ward seit Generationen nicht gesehen. Der Elfe Kharza Mirinai war anzusehen, dass sie die Bedingung nicht angenommen hätte, aber Zagros schien ein Spieler zu sein, der die Herausforderung liebte.

„Ich schlage ein, auch wenn ich lange warten muss. Ich habe Zeit. E sei! Liegt beieinander, und in schon 40 Wochen werdet Ihr die erste Frucht unseres Handels ernten!“

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Rumhilde erwachte mit einem erstickten Röcheln. Burg Luringen schien sich ihr auf die Brust gelegt zu haben, Schweiß rann ihr aus allen Poren, doch eiskalter. Endlich konnte sich sich bewegen. Sie sprang voll Panik aus ihrem Bett wie aus dem Grab, zerrte sich die Decke, die Kleider vom Leib und riss sich tiefe Kratzer in die Haut. Schließlich sog sie wie ertrinkend Luft in ihre Lungen, Luft! Luft!

Sie schrie.

Schrie.

Blutend, halb nackt und wie gehetzt floh sie aus dem Schlafgemach und versetzte mit ihren Schreien die mittlerweile Leid gewohnten Bewohner der Grafenfestung in Schrecken. Rumhilde aber rannte nicht ziellos: Sie floh dem Spiegel zu.

Diesem Spiegel.

Da! Er stand dort in diesem Gemach ihrer Schwiegermutter. Er war es. Der Spiegel ihres Traumgesichtes. Der Abgrund, das Loch, der Strudel, in dem das Schicksal der Familie untergehen würde.

Nein!

Untergegangen war!

Mit aller Kraft warf sie sich gegen den Spiegel, dass er barst und splitterte. Tiefe Schnitte drangen in ihr Fleisch, doch Rumhilde hielt nicht inne in ihrem Wahnsinn. Mit bloßen Händen warf sie, zersplitterte sie, zerstieb sie die Stücke des Spiegels.

„Mama, was ist dir?", fragte Drego, der mit einigen in das Gemach gekommen war. „Mama?“ Schrecken und Angst erfüllte die Stimme des Grafen. Sorge um seine Mutter flutete seine Gedanken.

Doch jene, als sie ihren Sohn sah, brüllte nur noch lauter und stürzte sich – aus hundert kleinen Wunden blutend – von Sinnen und wie irre auf ihren Sohn und Erben ihres Gatten, des Königs der Ritter.

Drego wich seiner Mutter nicht aus, sondern versuchte sie zu fassen, zu bändigen, zu trösten, zu beschwichtigen. Doch schien es für Rumhilde keinen Trost zu geben. Sie brüllte und schrie, scglug un dhäömmert auf ihren Sohn ein, der voll Gram und Qual auf die Knie sackte.

Da schlug der Burgsass kräftig zu und beendet das Geschrei mit einem Fausthieb, der der Wahnsinnigen das Bewusstsein nahm.

„Sie ist verrückt geworden, Drego“, sagte der Burgsass mit einem Funkeln in den Augen.

„Mama“, winselte Drego. Er fühlte sich so allein.