Geschichten:Das Einhorn in Eslamsgrund - Einhorn, Löwe, Borkenbär

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Nahe Eslamsgrund im frühen Travia

"Hilfe. Oh nein, zu Hilfe!"

Das Geschrei hallte über die Hügelkuppe, noch bevor überhaupt der dazugehörige Kopf, in dessen Hals die kreischenden Stimmbänder sich dehnten, und der daruntersitzende Körper in seiner zerschlissenen Bauerntracht dem Rufen nachgestolpert kamen.

"Helft mir. Oh bitte helft mir doch", schickte sich das Schreien nun an, sich leicht inhaltlich zu verändern, als der zerzauste Geselle der kleinen Gruppe gewahr ward, die unweit nahe des Fußes des Hügels just vor wenigen Augenblicken noch mit Schwertern aufeinander eingedroschen hatte, nun aber aufgeschreckt ihre Blicke dem krakeelenden Landmann zuwandten. "Oh Kinder!" - denn solche, oder vielmehr heranwachsende Halbwüchsige, waren es, die dort auf den Feldern die Waffen gegeneinander erhoben - "Bitte Kinder! Ihr habt Waffen,...". Und bei den letzten Worten trat der Flüchtende, so scheints, in ein Kaninchenloch, welches ihn bei seiner Geschwindigkeit gar unglücklich aus dem Tritt brachte, sein linkes Bein für einen Moment nur innehalten ließ, während der restliche Körper samt des rechten Beines weiter den Hügel herunterzustürmen trachtete, auf dass der ganze Geselle schreiend, purzelnd und vollkommen koppheister ging und hügelabwärts rollte.

Unterdessen konnten die Kinder und der einzige Erwachsene, der bei ihnen war, auch das Ungetüm erblicken, dass den Flüchtenden dergestalt hatte das Hasenpanier ergreifen lassen, denn just itzo stürmte ein Borkenbär - für gewöhnlich eigentlich ein ziemlich possierliches Tierchen, wenn nicht in Brunft oder gereizt, - brüllend gleichsam über die Hügelkuppe. Das gut halbe Dutzend Jünglinge und Maiden ergriffen ihren Stahl fester in den noch teils weichen Fäusten, bereit sich dem Untier entgegenzustellen, doch mit einer scharfen Bewegung seiner Hand, deutete der Mann in ihrer Begleitung ihnen an, sich nicht zu rühren, sondern dem Spektakel als stumme Zeugen beizuwohnen.

Denn der Mann erkannte den Flüchtenden wieder. Er hatte ihn gesehen auf dem Markt. "Wider Fron und Götter", schreiend. Bar jedweden Verstandes. Wie eben jetzt sein Kreischen, da er der Kreatur zu entkommen gedachte.

Schluchzend und sein nahes Ende sehend rappelte sich der Landmann nach seinem Sturze auf, um den restlichen Hügel hinabzuhetzen, den Borkenbär nun nah an seinen Fersen. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er erkannte, dass weder die Halbwüchsigen am Fuße des Hügels, noch der Mann, der bei ihnen war, einen Finger rührten, ihm beizustehen. Und der Krieger bei den Kindern sah, dass das fanatische Feuer vom Markte dem düsteren, stumpfen Glosen der Todesangst gewichen war.

Mit einem weiteren Wink schickte der Mann nun doch die Kinder voran, die sich mit ihren Schwertern gewappnet zwischen den Flüchtenden und den Borkenbär stellten. Das Tier sollte die Flucht ergreifen oder den Pelz übergebraten bekommen - ihm war es einerlei. Ihn interessierte nur der Landmann, der jetzt erschöpft vor ihm abermals zu Boden gegangen war und sich Rotz und Tränen gleichzeitig durchs Gesicht wischte, während er zu ihm aufsah... beginnend bei den Stiefeln über die zweckmäßige lederne Hose... über den Wappenrock auf dem das stolze Haupt des roten Löwen auf schwarzem Grund prangte... über das vernarbte Gesicht, in welchem unter schlohweißem Haar den Landmann eisig grau und kalt wie Stahl mitleidlose Augen anblitzen.

"Ich dank Euch, mein Herr", sabbert der zu Boden Gesunkene, doch der Mann will keinen Dank. Stattdessen spricht er mit heiserer Stimme: "Meine Familie war es, die zwischen Euereins und den dunkelsten Mächten seit jeher stand. Der Adel des Reiches Rauls des Großen ist es, ohne den Euresgleichen sich schon selbst zerfleischt hätte. Und diese jungen Kämpen hier sind es, die dereinst für Euch sterben werden."

Für einen langen Moment hält er inne, und das Schluchzen des Landmanns vermischt sich mit den letzten Lauten des sterbenden Borkenbären.

"Sagt das Euren Spießgesellen."

Der Weißhaarige blickt ein letztes Mal auf die armselige Gestalt zu seinen Füßen.

"Und dankt der Herrin Rondra, dass wir niemanden ehrlos verrecken lassen. ... Selbst Ehrlose nicht."

Und dann wendet er sich zum Gehen, der Reichsstadt entgegen, die Jünglinge und Maiden mit borkenbärblutigen Schwerten hinterdreien.