Geschichten:Düstere Schatten - Blutiger Schnee

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Kressenforst, Baronie Kressenburg, Tsa 1037 BF

Weilands Familie stellte bereits seit Generationen die Forstmeister im herrschaftlichen Forst von Kressenburg. Seit sein Vater vor wenigen Wochen durch Fieber und Kälte geschwächt zu Boron gerufen worden war, hatte er die Aufsicht über die fünfzehn Dutzend Rückpferde, sowie die fünf Dutzend Holzfäller und Köhler übernommen. Bis zum Tode des Vaters war er selbst jeden Tag mit in den Wald gezogen und hatte als Gespannführer die großen Stämme aus dem Wald geborgen.

Weiland kannte seine Leute und wusste an diesem Abend sofort, dass etwas nicht stimmte. In einer großen Gruppe standen die zurückgekehrten Holzfäller am Waldrand zusammen und diskutierten aufgeregt. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie Weiland, während er sich noch von einem Köhler über den Zustand der Kohlemeiler unterrichten ließ. Schließlich entließ er den Mann und ging zu den Holzfällern hinüber. Die Gruppe teilte sich und ließ ihn in ihre Mitte. Betretenes Schweigen empfing ihn. Offensichtlich wollte keiner zuerst das Wort an ihn richten. Sein Blick fiel auf Irmentrud, die erfahrenste der Gespannführer und Vorarbeiterin der Holzfäller.

„Was gibt es? Ist etwas vorgefallen von dem ich wissen sollte?“

Unbehaglich die Hände ringend trat die breitschultrige Frau einen halben Schritt vor.

„Nun Weiland, es ist so, dass wir noch ein Gespann vermissen. Du weißt, dass wir uns immer hier treffen, wenn die Praiosscheibe hinter den Hügeln versinkt. Jetzt ist es inzwischen fast völlig dunkel und wir haben noch immer kein Zeichen von Herdbald und den anderen.“

„Herdbalds Truppe sagst du? Die waren doch für die südwestlichste Ecke des Forstes eingeteilt. Vier Leute, zwei Pferde, um den alten Saumpfad wieder gangbar zu machen. Können sie sich nicht einfach verspätet haben?“

„Das wollen wir auch gerne glauben. Aber du weißt selbst am besten, dass keiner freiwillig nach Einbruch der Dunkelheit im Wald bleibt. Schon gar nicht so tief drinnen.“

Nachdenklich fuhr sich Weiland durch den dichten blonden Vollbart. Es geschah schon dann und wann, dass sich ein junger Bursche oder ein junges Mädel im Wald von seinem Gespann absetzte, um im nahen Greifenfurt sein Glück zu versuchen. Doch das ein komplettes Gespann verschwand, noch dazu mitten im Winter, davon war ihm noch nie zu Ohren gekommen. Gerade der alte Herdbald hätte nie seine Familie zurückgelassen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Forstmeister blickte im schwindenden Licht noch einmal prüfend zum Waldrand, bevor er seine Entscheidung fällte.

„Geht jetzt nach Hause. Heute können wir nichts mehr tun. Wenn Herdbald und seine Leute bis zum Morgengrauen nicht auftauchen, werde ich mit dir, Irmentrud, und deinem Gespann den alten Saumpfad abgehen. Vielleicht hatten sie einen Unfall und warten nun auf Hilfe.“

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Am nächsten Morgen stapften fünf dick vermummte Gestalten unter Weilands Führung durch den winterlichen Forst. Sie folgten dem kaum erkennbaren Pfad nach Südwesten, immer tiefer in diesen Ausläufer des Reichforstes hinein. Der Wind hatte über Nacht aufgefrischt und die meisten Spuren des Vortages verwischt. Doch zeigte hin und wieder der tiefe Abdruck schwerer Stiefel in einer Schneewehen, dass die Suchenden auf dem richtigen Weg waren. Fast zwei Stunden lang kämpften sie sich durch den Schnee und hatten noch immer keine Spur von den vermissten Holzfällern gefunden.

Gerade als der Forstmeister die Suche aufgeben wollte, hörte er wenige Schritte hinter sich Irmentrud lauthals fluchen. Weiland drehte sich um und sah, dass die Frau über etwas in einer Schneewehe gestolpert sein musste. Während er noch zurückstapfte, hatten es die anderen plötzlich sehr eilig von der Wehe wegzukommen, während sie hastig das Praioszeichen zum Schutz gegen Böses vor sich in die Luft zeichneten. Der junge Forstmeister trat langsam zwischen seine Leute und tat es ihnen sogleich nach, als er sah was sie entdeckt hatten.

Dort wo die alte Irmentrud gestolpert war, war die Schneewehe aufgebrochen und unter der blütenweißen Oberfläche zeigte sich blutroter Schnee. Inmitten des großen roten Flecks lag indes der große Kopf eines der Rückenpferde und schien die wie gebannt blickende Gruppe aus seinen toten Augen anzustarren. Weiland hatte bereits Kadaver von Tieren gesehen, die von Wölfen oder Bären gefressen worden waren, aber das hier war anders. Die Halswirbel waren zermalmt, doch ansonsten schien der Kopf unversehrt zu sein. Der Forstmeister trat nahe heran um die Wundränder genau zu begutachten und irgendwie drängte sich ihm der Gedanke auf, dass der Kopf mit einem einzigen mächtigen Biss vom Rumpf getrennt worden sein musste. Was auch immer das Kaltblut getötet hatte, musste riesenhaft groß gewesen sein.

Weiland unterdrückte einen Schauer und weiß seine Leute an die nähere Umgebung abzusuchen. Nach einer halben Stunde hatten sie kaum fünfzig Schritt entfernt hinter einer dichten Dornenhecke, einen ausgeweideten kopflosen Pferdekadaver gefunden, dazu mehrere blutverschmierte Lumpen, die einmal wärmende Winterkleidung gewesen sein mochten. Aus einem der Kleidungsstücke fischte der Forstmeister ein kleines Bernsteinamulett, welches er und Irmentrud zeitgleich wieder erkannten.

„Das hat Herdbald gehört“, murmelte die Alte unbehaglich. Weiland nickte nur grimmig. Was auch immer das Pferd zerfleischt hatte, hatte offensichtlich auch die ganze Gruppe der Holzfäller erwischt. Doch er konnte sich beim besten Willen kein Tier vorstellen, dass solche Kraft und Grausamkeit an den Tag legte. Irgendetwas Widernatürliches ging hier vor sich und er fühlte sich plötzlich sehr klein und verletzlich.

„Ich denke wir können die Suche hier abbrechen. Unsere Freunde werden wir wohl erst in Borons Hallen wieder sehen. Wir sollten Vögtin Wolfhilde bescheid geben, damit sie oder der Herr Baron sich darum kümmern kann. Das hier übersteigt alles was ich je gesehen habe.“ Er deutete auf das kleine blutige Bündel Kleidung. „Nehmt die Sachen mit. Wenn wir schon unsere Freunde nicht lebend gefunden haben, so sollen ihre Familien doch zumindest nicht im Ungewissen über ihr Schicksal bleiben.“

Hastig klaubten sie zusammen was sie gefunden hatten, banden es in einen sauberen Umhang und machten sich auf den Heimweg. Die alte Irmentrud ging voran, der Forstmeister bildete die Nachhut. Immer wieder blickten sich alle furchtsam um und hetzten fast im Laufschritt zurück gen Kressenforst. Erst als zwischen dem lichter werdenden Unterholz die Hütten ihres Dorfes auftauchten, wagten es die Männer und Frauen langsamer zu gehen. Erst einige Dutzend Schritt nachdem sie die letzten Bäume hinter sich gelassen hatten, wagte Weiland stehen zu bleiben und sich umzudrehen. Die ganze Zeit hatte er nichts gehört und nichts gesehen, doch war es ihm als blicke der Wald mit kalten toten Augen zurück. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinauf. Er schüttelte sich und eilte sich seinen Gefährten zu folgen.