Geschichten:Brandspuren - Selbst in die Hand

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Burg Hutt, 13. Boron 1043 BF

Die Runde, die sich am Tag nach dem Schluss des Waffenstillstandes in der beheizbaren Vogteistube der freiherrlichen Administration auf Burg Hutt zu einer Besprechung zusammengefunden hatte, war überschaubar: der Hartsteener Wegevogt Praiodan von Steinfelde, der seit dem Aufbruch Graf Odilberts in den Norden Harsteens zum Kampf gegen Reichsforster und Kaisermärker Fehdescharen auf Hutt die Stellung hielt, sein Neffe Praioswald, Emer von Gneppeldotz, die Witwe des auf dem Erlgardsfeld gefallenen Ritters Kedio, sowie die Kauffrau Feyderike Bugenbühl. Letzterer hatte Praiodan bereits kurzerhand die Regelung der Angelegenheiten mit den heimgesuchten Klosterleuten übertragen. Und auch Praioswald hatte er eine Aufgabe zugedacht, die bei diesem angesichts seines ungläubigen „Was soll ich?!“ offenbar nicht auf Gegenliebe stieß. Ob das Entsetzen in der Stimme seines Neffen tatsächlich echt war, interessierte den Steinfelder indes nicht: „Du hast mich schon richtig verstanden, Praioswald. Jeder muss in diesen harten Zeiten seinen Teil leisten. Da du nicht anderweitig anpacken kannst, wird genau das deine Aufgabe sein – und damit bist du noch gut bedient.“

„Warum nicht die Bier- und Weinvorräte?“

„Weil du nicht der Küchenmeister bist, darum. Außerdem kenne ich dich: Dein Zählen ginge durch den Magen“, würgte Praiodan ein wenig ungehalten den Einspruch seines Neffen ab, als es an der Tür klopfte.

„Verzeiht, Euer Wohlgeboren, der Herr Ettel von Gneppeldotz ist soeben zurückgekehrt“, meldete ein Diener dem Hartsteener Wegevogt.

„Soll sofort reinkommen“, verlangte der Steinfelder unwirsch. Er hatte den ungestümen Ettel Ettelschwert tags zuvor ausgeschickt, um in der ganzen Gegend nach Hinweisen auf jene ominösen Reiter zu suchen, die für den Überfall auf das Traviakloster zu Hutt verantwortlich waren. Kurz darauf trat der Krieger ein und grüßte in die Runde, während er sich, ohne sich lange bitten zu lassen, auf einem der noch freien Stühle nieder ließ. Die Bugenbühl, die ihm nun am nächsten saß, veranlasste das Manöver zu einem verdrießlichen Naserümpfen, denn es war eben nicht nur an seinen vom Wind zerzausten Haaren und dem von der Kälte geröteten Gesicht zu sehen, dass der Gneppeldotz lange und scharf geritten war, sondern auch deutlich zu riechen.

„Ich bin die ganze Gegend abgeritten“, berichtete er sichtlich unzufrieden. „Bertolfshufen, Dornheim, Weideneck, Kesseling, Karras, Bugebühl: Nichts. Keiner in den umliegenden Dörfern will in dieser Nacht oder am Tag zuvor etwas von den Reitern gesehen oder gehört haben.“

„Das klingt fast, als ob... wieder fauler Zauber am Werk war“, mutmaßte Emer von Gneppeldotz, deren Passion für unheimliche und wilde Geschichten genugsam bekannt war, „wie bei der Haldensbrüeler Natterbrücke.“

„Nicht ausgeschlossen, Frau Emer, aber...“, Praidans Finger trommelten nervös auf das Holz der schweren Tischplatte. Der Gedanke an Magie und die Erinnerung an jenes desaströse Ereignis gefiel ihm überhaupt nicht. „Vielleicht sollten wir noch einmal einen Schritt zurückgehen und überlegen, was genau wir eigentlich über die Angreifer wissen.“

„Es könnte auch sein“, warf Praioswald daraufhin ein, „ dass diejenigen sehr gut über Weg und Steg Bescheid wussten. Es gibt ja schon die eine oder andere Möglichkeit, weitestgehend unbemerkt in die Nähe des Klosters zu kommen. Nicht wahr, Onkel?“

Der Wegevogt nickte. Er selbst kannte genug dieser Schleichwege in der Baronie Hutt, hatte er sie doch selbst in den Jahren der Fehde zwischen Hartsteens und Quintian-Quandts ausgiebig genutzt.

„Die Betgeschwister sprachen von über einem Dutzend Bewaffnete. Sie trugen Waffenröcke und Schärpen in Schwarz, Gold und Rot, wie sie die Schlunder bei ihren jüngsten Zügen gezeigt haben. Sie waren gut bewaffnet und gerüstet, allesamt beritten“, ergänzte Feyderike Bugenbühl.

„Und was sagt uns das?“

„Äh. Es waren Schlunder?“

„Das ist das Offensichtliche, auch wenn der Hartwalden-Sturmfels das für die Leute unter seinem Kommando ausgeschlossen hat. “

„Jedenfalls waren es keine einfachen Wegelagerer oder Geächtete aus dem Feidewald. Auch der Eichenblatt kann es nicht gewesen sein. Es sei denn, er hätte urplötzlich seinen Kopf wiedergefunden, den du ihm im Frühjahr höchstpersönlich abgeschlagen hast, Onkel.“

„Der verruchte Melcher vielleicht nicht, aber was ist mit dem anderen?“, gab die Gneppeldotz zu bedenken. „Geron die Geißel? Von dem ist schon so lange nichts mehr zu hören. Vielleicht ist er in seinem Loch verreckt, in das er sich nach der Geschichte mit dem Spendenvogt verkrochen hat. Außerdem: Warum sollte der seine Leute mit Schlunder Schärpen ausrüsten?“

Die Frage blieb im Raum stehen. Praiodan hatte einen Entschluss gefasst: „Ich gedenke nicht, einfach herumzusitzen und abzuwarten, bis Herold Foyerberg seine eigenen Untersuchungen abgeschlossen hat, sondern die Sache selbst in die Hand nehmen. Gneppeldotz?“

„Ja?“, meldeten sich gleichzeitig sowohl die Edle als auch der Krieger.

„Frau Emer, ich überlasse Euch das Kommando hier auf der Burg, bis ich zurück bin. Ettel, du wirst Frau Bugenbühl zum Kloster begleiten und dort nach dem Rechten sehen.“

„Und ich?“, meldete sich Praioswald.

„Du? Du machst dich wie vorhin besprochen an die Aufstellung über die Vorräte an Bolzen und Pfeilen, sowie über die bei der jüngsten Belagerung verbrauchten Bestände, nebst einer Berechnung der Kosten für die Wiederbeschaffung.“

„Mit den Preisen der Reichsstadt Hartsteen oder denen von Bugenhog?“, konnte sich der Einbeinige einer ironischen Frage nicht enthalten.

Da grinste Praiodan: „Beide, mein lieber Praioswald. Beide.“