Geschichten:Blutiger Ernst - Kluge Stümper

Aus GaretienWiki
Version vom 9. September 2014, 20:21 Uhr von Hartsteen (D | B) (Vorlage „Briefspielindex“ bearbeitet.)
(U) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (U) | Nächstjüngere Version → (U)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Villa Geldana, einen Tag später

Friedwart Wiesenbach hatte den Brief halblaut vorgelesen, dass alle im Raum Versammelten es hören konnten. Der Burggraf, seine Schwiegertochter Rhodena und Helmfried von Kaiserswohl hatten aufmerksam gelauscht.

"Nein, das sind keine tumben Stümper ...", sagte der Secretarius.

"Ganz recht", knurrte der Burggraf, "es sind kluge ... Stümper!" Er spie das Wort regelrecht aus. Mit giftigem Ton fuhr er fort: "Sie haben nämlich einen ganz gewaltigen Fehler gemacht."

"Welchen?", fragte Helmfried von Kaiserswohl, der junge Hauptmann der Raulsmärker Garde. Nach drei Jahren in Diensten des Burggrafen hatte er offenbar noch nicht ganz gelernt, die Stimme und Stimmung des Burggrafen zu deuten.

"Meinen Sohn zu entführen!", rief Oldebor zornentbrannt. Schon im nächsten Moment fuhr er mit kalter Ruhe fort: "Das werden sie bereuen."

"Oh ja, das werden sie", murmelte Rhodena.

Unvermittelt wandte sich der Burggraf an seinen Hauptmann: "Was habt Ihr herausgefunden?"

"Nicht viel", zuckte Helmfried mit den Schultern. "Eine Wache bewusstlos im Garten. Die anderen haben nichts gehört."

"Wie das?", entfuhr es Friedwart Wiesenbach.

"Ach, da gibt es Möglichkeiten", entgegnete Rhodena und spielte mit dem Fuchsarmband an ihrem Handgelenk. Ihr Schmunzeln wich rasch einem verkniffenen Gesichtsausdruck: "Ich habe auch nichts mitbekommen."

"Im Garten. Also sind sie über die Mauer geklettert", schloss Oldebor.

"Und wie kamen sie ins Haus?"

Wieder zuckte der Hauptmann mit den Schultern. "An den Türen war nichts."

"Hat jemand sie eingelassen?", fragte Meister Wiesenbach mit großen Augen.

Rhodena dachte an die Dienerschaft und schüttelte den Kopf. "Eher gute Nachschlüssel. Oder Magie."

"Ich sag's doch, kluuuge Stümper", knurrte der Burggraf wieder. "Spuren eines Kampfes?"

"Sein Schwert stand nicht am Bett", erwiderte Rhodena. "Es lag draußen im Flur. Kein Blut an der Klinge und keins auf dem Boden. Aber ich schätze, wenn sie es geschafft haben, eine Wache bewusstlos zu schlagen, dann haben sie es vielleicht auch ein zweites Mal geschafft."

"Gut vorbereitet waren sie jedenfalls", brummte Oldebor. "Dieser Brief wurde mir überbracht - nicht mal eine halbe Stunde, bevor Du hier ankamst", sagte er mit Blick zu seiner Schwiegertochter.

"Wer ist eigentlich dieser Yelwyn von Brachenhag?", fragte Helmfried in einen Moment des allgemeinen Schweigens hinein.

"Ein Toter", antwortete Friedwart Wiesenbach geradezu mechanisch. Als er die verblüfften Mienen der anderen bemerkte, setzte er erklärend hinzu: "Ein junger Stadtritter. Man hat ihn vorletztes Jahr gemeuchelt in der Gosse gefunden, wenn ich mich recht entsinne."

Oldebor schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, so dass die anderen drei zusammenfuhren. "Natürlich!", rief er. "Deswegen kam mir der Name so bekannt vor. Ritter Balrik hat mich damals besucht. Seine Leute hatten die Leiche gefunden. Und in den Taschen fand sich ein Zettel mit meinem Namen."

"Das habt Ihr nie erzählt", entfuhr es Friedwart.

"Das hast du nie erzählt", sagte Rhodena im selben Moment. Helmfried schaute verwirrt von dem einen zu der anderen.

"Hab ich nicht? Ach", wunderte sich der Burggraf. "Tja, ich habe es nicht so recht ernst genommen. Ich glaube, ich habe Ritter Balrik damals sogar gefragt, wieso sich jemand den Namen eines Mannes aufschreiben soll, der hier seit vierzig Götterläufen bekannt ist wie ein bunter Hund."

Ritter Helmfried runzelte leicht die Stirn. Auch nach drei Jahren in Diensten des Burggrafen hatte er sich noch nicht ganz daran gewöhnt, wie despektierlich Seine Edelhochgeboren mitunter über sich selber sprach. "Und was sollen wir nun tun?", fragte er, um wieder auf sicheres Terrain zu gelangen.

"Ihr, Ritter Helmfried", sagte Oldebor, "sprecht noch einmal mit allen Wachen. Fragt sie gehörig aus. Jedes Krümelchen kann wichtig sein."

"Einen solchen Plan schüttelt man nicht aus dem Handgelenk", fügte Rhodena hinzu. "Die müssen vorher die Lage ausbaldowert haben. Vielleicht ist jemanden dazu etwas aufgefallen."

Oldebor nickte und fuhr fort: "Du, meine Liebe, lädst einmal diese Adepta von der Akademie ... wie hieß sie noch gleich - ach ja, Gissa Kleehaus, zum Tee ein. Dann soll sie sich einmal umschauen, ob tatsächlich Magie im Spiel war. Da kann sie gleich einen Teil des Stipendiums abgelten."

Rhodena schmunzelte, setzte aber schnell wieder eine entschlossene Miene auf: "Ich werde außerdem mal ein paar Gefallen einfordern."

"Tu das", antwortete der Burggraf, bevor er sich an seinen Secretarius wandte und mit dem Briefchen wedelte: "Ihr, Meister Wiesenbach, reitet damit nach Rohalsweil. Meister Gsevino sollte inzwischen nüchtern genug sein, dass er einen Blick darauf werfen kann. Vielleicht erkennt er die Schrift ja wieder - so einen Brief lässt man nicht von einem Schreiber fertigen."

"Und Ihr, Euer Edelhochgeboren?", wollte Friedwart wissen.

"Ich lade Ritter Balrik zu einer Partie Boltan ein. Und dann lasse ich ihn mal erzählen, was er seinerzeit noch über Yelwyn herausgefunden hat."

Rhodena seufzte tief. Alle Entschlossenheit wich aus ihrer Miene und machte nackter Sorge Platz. "Meinst du, es geht ihm gut?", brachte sie heraus.

"Ich hoffe es", erwiderte der Burggraf zögerlich und mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn. "Immerhin haben sie die Wache leben lassen ..."

Der Gedanke an die bedauernswerte Baronin, die durch Erpressung zum Mord am Spendenvogt gezwungen worden war - den sprach er einstweilen nicht aus. Er holte Luft. "Wir haben zu tun", sagte er.